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Festschrift der Helmholtz-Gemeinschaft

15 Einstweilen war die Euphorie groß genug, um aus heutiger Sicht selbst so riskant anmutende Projekte wie die Entwicklung von kernenergiegetriebenen Handelsschiffen anzugehen. Die mit dem 1960 getroffenen Beschluss zum Bau des Forschungsschif- fes Otto Hahn klar umrissene Projektaufgabe der GKSS wurde 1968 erfüllt. Das nukleargetriebene Schiff ging auf seine Jung- fernfahrt, freilich als Demonstration einer wissenschaftlich-tech- nischen Sackgasse, da an eine kommerzielle Verwertung dieser Innovation aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen nicht mehr zu denken war. Die Abwrackung der Otto Hahn war allerdings nicht das Signal zur Auflösung der GKSS. Wie in den USA wandten sie und die anderen Kernforschungs- einrichtungen sich neuen Themenfeldern zu; die Daseinsberech- tigung der Großforschung hing nicht an der Durchführung ihrer in der Gründungskonstellation verankerten Aufgabenstellung.20 Die Debatte um die Zukunft der Kernforschungseinrichtungen ist Teil des oben erwähnten Prozesses der Neugestaltung der Forschungslandschaft gegen Ende der 1960er Jahre. Im Streben nach einer eigenen institutionellen Basis in der traditionell von den Ländern dominierten Wissenschaftspolitik entdeckte der Bund die Großforschungszentren als seine politische Haus- macht. Die Gründung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg (DKFZ, 1964), der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD, 1968) und die auf massiven staat- lichen Druck 1968/69 abgeschlossene Konzentration der zersplitterten Luft- und Raumfahrtforschung in der Einheitsge- sellschaft Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR, später DLR) sind Ausdruck der neuen, vom Bund bestimmten und von ihm gesteuerten Forschungs- politik. Die vom Bundesforschungsministerium aufgelegten Fachprogramme für Datenverarbeitung (1967), Meeresforschung (1968) und Neue Technologien (1968) manifestierten den politi- schen Willen, die vieldiskutierte „technologische Lücke“ Europas zu den USA zu schließen und strategische Forschungsfelder zu identifizieren, die für die Zukunft von Wirtschaft und Gesell- schaft von zentraler Bedeutung sein würden. Verfassungsrechtlich abgesichert wurde das massiv gestiegene Gewicht des Zentralstaates in der Wissenschaftspolitik im Rah- men der Finanzreform vom 12. Mai 1969. Der neu in das Grund- gesetz eingefügte Artikel 91b bestimmte, dass Bund und Länder bei der Förderung der Forschungseinrichtungen „von überregio- naler Bedeutung“ zusammenwirkten. Katalysator im Prozess der verfassungsrechtlichen Neudefinition der Wissenschaftspoli- tik war die Großforschung. Nichts verdeutlicht den Zugewinn des Zentralstaates an politischer Macht wie auch an Verantwor- tung besser als der 1968/69 im Vorgriff auf die Reform der Finanzverfassung eingeführte und in der „Rahmenvereinbarung Forschungsförderung“ 1975 verbindlich festgeschriebene Finan- zierungsschlüssel, dem zufolge die Großforschungseinrichtun- gen zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent von den jewei- ligen Sitzländern unterhalten werden. Die bundesdeutschen Großforschungseinrichtungen gingen aus der im Vergleich zu den USA mit einer Phasenverschiebung von etwa einem Jahrzehnt geführten Debatte um ihre künftige Rolle im nationalen Innovationssystem gestärkt hervor. Ob die Diversi- fizierung in neue Forschungsfelder hinein von den Einrichtungen selbst ausging (wie in den USA) oder eher von außen, vom Staat, als Forderung an sie herangetragen wurde (wie in Deutschland) – das Resultat war das gleiche: Die Großforschung eroberte sich ihr Terrain in der Innovationslandschaft und sicherte es ab. Bündnispartner in diesem Prozess war das Bundesforschungs- ministerium, das sich von dieser Allianz eine Absicherung seiner noch ungefestigten Position in der Forschungspolitik versprach.21 Die Großforschungseinrichtungen waren und sind die institutio- nelle Hausmacht des Ministeriums, gleichsam seine Ressort- forschungsinstitute, zugleich aber auch seine Sorgenkinder, da sie zwar einen Großteil des Budgets absorbierten, jedoch in ihrer innovationsgenerierenden Wirkung hinter den hochge- steckten Erwartungen der Öffentlichkeit zurückblieben. So gut wie jeder neue Forschungsminister richtete seinen Blick zuvor- derst auf die Großforschung, um sich offen oder verklausuliert zu fragen, ob der wissenschaftliche Output, den sie erbringt, den Input rechtfertigt, den der Staat leistet. An öffentlicher Kritik an der Großforschung fehlte es nicht. Noch zum Ende der 1960er Jahre galt die Großforschung als Speer- spitze der gegen die US-Dominanz gerichteten Technologieoffen- sive. Mitte der 1970er Jahre drehte sich die Wahrnehmung und schlug in Form sich häufender Klagen über die technologische Ineffizienz der Großforschung zu Buche. Diese Kritik kann als Aus- fluss wie als Spiegelbild gesellschaftlicher Problemlagen gese- hen werden. Unter dem Einfluss der Rezession 1973/74 wurde eine stärkere Ausrichtung der Großforschung an den Interessen der Industrie gefordert. Die Überlegungen zur Errichtung von Patent- und Lizenzverwertungsorganisationen, die Präsentation Der Frachter „Otto Hahn“ war weltweit das dritte zivile Hochseeschiff mit nuklearem Antrieb. Foto: GKSS/HZG

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