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Festschrift der Helmholtz-Gemeinschaft

10 Nicht von ungefähr waren es die an den Kernforschungszentren tätigen Wissenschaftler, die den Begriff der Großforschung prägten. Lew Kowarski, Technischer Direktor der Französischen Atomenergiekommission, analysierte bereits 1949 den mit „large scale physical research“ verbundenen Wandel der For- schung. Alvin M. Weinberg, Direktor des Nationallaboratoriums in Oak Ridge, machte schließlich im Verlauf der 1960er Jahre den Begriff big science populär. Der Wissenschaftssoziologe Derek de Solla Price führte den Begriff zur selben Zeit in die Wissenschaftsforschung ein. In der Bundesrepublik setzte sich zu Beginn der 1970er Jahre der formaljuristisch definierte Terminus Großforschung gegenüber der Alternative eines inhalt- lich-politisch gefüllten Begriffs der Projektforschung durch. Der Staatssekretär des Bundesforschungsministeriums, Wolfgang Cartellieri, deutschte big science als „Großforschung“ ein und definierte diesen Typus institutionalisierter Forschung mit den Mitteln von Rechtsform und Satzung. Diese Eindeutschung setzte sich gegen den auf den Projektcharakter von big science abgestellten Alternativvorschlag des Kernphysikers Wolf Häfele durch, der nach seiner Rückkehr als Gastforscher in Oak Ridge im Jahr 1959/60 den Begriff „Projektwissenschaft“ als Bezeich- nung für jene zweckorientierten wissenschaftlich-technischen Großvorhaben vorschlug, wie er sie selbst in Karlsruhe mit dem Schnellen Brüter entwickelte.3 Die Vorgeschichte der Großforschung reicht freilich weit hinter das Manhattan Project zurück. Hierzu gehören säkulare Trends wie die zunehmende Verwissenschaftlichung gesellschaftlicher Teilbereiche, die wachsende Interdependenz von Wissenschaft und Technik, der exponentiell ansteigende finanzielle, personelle und apparative Aufwand für Forschung und ebenso das explo- dierende Wachstum der Forschungsergebnisse mit hoher Rele- vanz für den wissenschaftsbasierten Interventionsstaat, dem immer größere Aufgaben der Leistungsverwaltung, Standardisie- rung und Normung, Versorgung und Zukunftssicherung zuwuch- sen, kurz: die sich im 19. Jahrhundert beschleunigende Heraus- bildung der modernen Wissensgesellschaft.4 Deutschland fungierte dabei als Triebfeder der auf einer starken Forschungsinfrastruktur basierenden Wissenschafts- und Inno- vationssysteme, die sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts herauszubilden begannen. Die Dynamik des Wandels blieb den Zeitgenossen nicht verborgen. Der Historiker Theodor Mommsen meinte 1890 erkannt zu haben, dass auch die Wissenschaft ein soziales Problem habe: „Wie der Grossstaat und die Grossin- dustrie, so ist die Grosswissenschaft, die nicht von einem geleis- tet, aber von Einem geleitet wird, ein nothwendiges Element unserer Culturentwicklung [...]“ Der Theologe und spätere Gründungspräsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Adolf von Harnack sprach 1905 vom „Großbetrieb der Wissenschaft“ und meinte ebenso wie Mommsen das Zusammenwirken von Gelehr- ten in lokalen, nationalen oder internationalen wissenschaftli- chen Vereinigungen zur Bewältigung großer wissenschaftlicher Aufgaben: sei es in den Geisteswissenschaften zur Herausgabe von Quelleneditionen und Wörterbüchern, sei es in den Natur- wissenschaften, etwa in der Metrologie, Meteorologie oder Astronomie.5 Der Erste Weltkrieg kann als Beginn der Inkubationsphase von Großforschung gelten. Während der vier Jahre des great war wurde die Wissenschaft in fundamentaler Weise umgestaltet, sowohl in ihrer inhaltlichen Ausrichtung als auch bezüglich ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung. Inmitten einer existenziellen Krise der nationalen Sicherheit lernten die krieg- führenden Staaten Naturwissenschaft und Technik als überaus bedeutenden Wirkungsfaktor kennen, und sie konzentrierten ihre Ressourcen auf spezifische Projekte.6 Um diesen Wirkungs- faktor möglichst effizient einsetzen zu können, wurden neue For- men der Verknüpfung von Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Staat geschaffen. Diese Formen zeigten sich ebenso stabil wie die Institutionen, in denen die großen wissenschaftlich- technischen Projekte durchgeführt wurden. Als Beispiel kann hier insbesondere das von Fritz Haber geleitete Kaiser-Wilhelm- Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin- Dahlem dienen, das mitten im Ersten Weltkrieg in einen wissen- schaftlichen Großkomplex zur Erforschung von Giftgasen mit zeitweise über 1.500 Mitarbeitern und elf Abteilungen transfor- miert wurde.7 Ähnliches gilt für Russland, wo die nachgerade revolutionäre Transformation des Systems von Wissenschaft und Technik noch vor der Oktoberrevolution von 1917 einsetzte und von der bolschewistischen Regierung weitergeführt und genutzt wurde, um mächtige Forschungskomplexe aufzubauen.8 Meist überlebten diese Institutionen den Krieg und die nachfol- gende Demobilisierung und dienten als Speerspitzen für eine neue Expansion von Wissenschaft und Technik im Zweiten Welt- krieg. Ohne in das Stereotyp vom „Krieg als Vater aller Dinge“ verfallen zu wollen, lässt sich festhalten, dass der Erste Welt- krieg und mehr noch der Zweite Weltkrieg als Scharnierphase der Herausbildung von Großforschung gelten können. Für den Zweiten Weltkrieg lässt sich neben dem Manhattan Project etwa auch der Großforschungskomplex Peenemünde anführen. Das zeitlich parallel zum Manhattan Project verlau- fende Peenemünde-Projekt zielte im Rahmen der nationalsozia- listischen Kriegswirtschaft und Vernichtungspolitik auf die Erforschung, die Entwicklung und den Bau der A 4/V 2-Rakete. Nahe dem kleinen Fischerdorf Peenemünde auf der Insel Usedom begann 1936 der Aufbau des Raketenforschungszen- trums Peenemünde-Ost, das unter der wissenschaftlichen Lei- tung des ebenso jungen wie dynamischen Ingenieurs Wernher von Braun vom Heereswaffenamt finanziert wurde, während die Luftwaffe in Peenemünde-West ein eigenes Forschungs- und Testgelände unterhielt. Als am 3. Oktober 1942 von Peene- münde aus der erste Start einer ballistischen Rakete glückte, bedeutete dies eine neue Qualität zerstörerischer Kriegs- technologie. Dieser gigantische Forschungs- und Entwicklungs- Die Helmholtz-Gemeinschaft in historischer Perspektive

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