Balanceakt Energiewende
Wie gelingt eine nachhaltige Energieversorgung?
Die Energiekrise in Zuge des Ukrainekrieges zeigt, wie abhängig wir immer noch von fossilen Energieträgern sind. Unser Energiesystem muss sich grundlegend ändern. Und das möglichst schnell.
Mit fossilen Energieträgern heizen wir unseren Planeten auf. Wie sehr wir aber eben von diesen Energieträgern abhängig sind, zeigt uns gerade die Energiekrise. Lösungen müssen her. Nicht nur, um über den nächsten Winter zu kommen, sondern auch und vor allem, um den Schaden für Gesellschaft und Klima zu begrenzen.
„Überall auf der Welt suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Möglichkeiten, das Energiesystem der Zukunft nachhaltig und zuverlässig zu gestalten“, sagt Bernd Rech. Als wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB) kennt der Physiker nicht nur die Forschung im eigenen Haus. Er weiß auch, was die Kolleginnen und Kollegen in den anderen Helmholtz-Zentren, aber auch an den Universitäten und Großforschungseinrichtungen leisten. Der Schlüssel für die globale Energieversorgung der Zukunft, da ist er sich sicher, scheint jeden Tag auf die Erde herunter. „Von allen Energiequellen hat die Sonne das größte Potenzial“, sagt Bernd Rech. „Im Sonnenlicht, das die Erde erreicht, steckt zehntausend Mal mehr Energie als wir weltweit als Primärenergie benötigen. Natürlich können wir das nicht alles nutzen. Aber selbst ein winziger Teil davon reicht im Prinzip aus, um uns zu versorgen.“
Technologie im Doppelpack
Auch Steve Albrecht sieht die Sonne als primäre Lösung des Energieproblems. Er leitet die Arbeitsgruppe Perowskit Tandemsolarzellen am HZB. „Heute haben sich vor allem Solarzellen aus Silizium weltweit etabliert“, so Albrecht. Allerdings sei die Herstellung der Scheiben aus dem Halbleitermaterial, auch Wafer genannt, nicht gerade trivial. Sie verlange zum Beispiel nach hochreinen Fabriken wie für die Mikroelektronik. „Wir haben uns daher anderen Materialien verschrieben“, sagt Steve Albrecht „den Metall-Halogenid-Perowskiten.“ Hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich eine ganze Materialgruppe. „Perowskit“ beschreibt eine Struktur, nach der ein Material aufgebaut ist. In eben dieser Struktur lassen sich verschiedene Elemente anordnen.
Wie funktionieren Solarzellen?
Steve Albrecht erklärt im Gespräch mit Moderator Holger Klein in Folge 108 des Resonator-Podcasts, wie eine Solarzelle funktioniert.
„Wir können Perowskite maßschneidern“, erklärt der Materialwissenschaftler. „Mit Art und Verhältnis der Elemente, die wir in die Perowskitstruktur einbauen, verändern wir die Eigenschaften des fertigen Halbleitermaterials.“
Sind Perowskit-Solarzellen die Hoffungsträger der Photovoltaik?
Steve Albrecht forscht an Materialien, die einen besseren Wirkungsgrad haben als Silizium-Solarzellen. Mit Moderator Holger Klein spricht er in Folge 108 des Resonator-Podcasts über Perwoskit-Tandem-Solarzellen.
Perowskit-Solarzellen erreichen im Labor bereits Wirkungsgrade um die 25 Prozent und liegen so fast gleichauf mit Zellen aus Silizium. Das bedeutet, aus 100 Prozent einfallender Strahlungsenergie werden 25 Prozent in Strom umgewandelt. In direkte Konkurrenz mit der etablierten Technologie will Steve Albrecht aber nicht treten. Denn aktuell haben die neuen Materialien noch einen Schwachpunkt, während Siliziumzellen eine Lebensdauer von etwa 20 Jahren haben, schaffen es die Perowskite nur auf einige tausend Stunden so Albrecht: „Wir arbeiten aber daran, die Perowskite stabiler und länger haltbar zu machen.“ Die Forscherinnen und Forscher setzten daher auf die Kombination von neuem mit bekanntem Material. „Wir forschen an Tandem-Solarzellen“, erklärt Albrecht, „dazu tragen wir eine ultradünne Schicht unserer Perowskit-Materialien auf altbewährte Silizium-Solarzellen auf.“ Der Clou dabei: Die Perowskit-Schicht nutzt den kompletten Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes und wandelt ihn in elektrischen Strom um. Nahes Infrarotlicht hingegen durchdringt die Schicht, trifft auf die darunterliegende Siliziumzelle und wird dort ebenfalls in elektrische Energie umgewandelt. Das erhöht den Wirkungsgrad des Duos auf etwa 30 Prozent. Genaugenommen liegt der Weltrekord bei 29,8 Prozent und aufgestellt haben ihn Steve Albrecht und sein Team am HZB. „Natürlich wollen wir den Wirkungsgrad noch weiter in die Höhe schrauben“, gibt der Materialwissenschaftler einen Ausblick. „Theoretisch sind 40 Prozent möglich und in Zukunft könnte man auch mehr als zwei Schichten miteinander kombinieren und die Ausbeute noch weiter erhöhen.“ Dass er für seine Forschung hier am HZB genau richtig ist, davon ist Steve Albrecht überzeugt: „Tandemzellen verbinden zwei verschiedene Technologien, die für sich genommen an vielen Orten der Welt erforscht werden. Es gibt weltweit nur wenige Einrichtungen, die diese beiden Technologien an einem Standort erfolgreich zu Tandemsolarzellen verbinden können. Und das HZB gehört definitiv dazu.“
Visionen vom Energiesystem der Zukunft
Die effizienten Solarzellen, an denen Steve Albrecht arbeitet, fügen sich perfekt in Bernd Rechs Vision von einer sauberen Zukunft: „Unsere Energie werden wir hauptsächlich von der Sonne gewinnen“, sagt Rech. „Es wird sehr viel Photovoltaik geben und auch Solarthermie. Nicht nur in Solarparks. Solarzellen werden auch auf den Dächern und in den Fassaden von Wohnhäusern, Bürogebäuden und Industrieanlagen allgegenwärtig sein.“ Natürlich gebe es auch die Windenergie, und zwar überall dort, wo die Bedingungen dazu besonders günstig sind.
„Wo es sinnvoll ist, wird der Strom direkt genutzt“, führt er weiter aus. „Und natürlich muss er auch gespeichert werden.“ Batteriespeicher sind hier eine Möglichkeit. An deren Herz – dem Elektrolyt – forscht beispielsweise das noch junge Helmholtz-Institut Münster. In diesem haben das Forschungszentrum Jülich, die Westfälische Wilhelms-Universität Münster und Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) ihre Kompetenzen gebündelt. Effiziente Batteriespeicher zusammen mit der Industrie zu entwickeln, ist wiederum das erklärte Ziel des Batterietechnikums am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Mit seinem Batterietechnikum will es helfen, die nächste Generation effizienter Batteriespeicher zu entwickeln. Eine ganz andere Speichertechnik erforscht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Bei dieser soll geschmolzenes Salz die Energie aus Solarparks oder Windfarmen in Form von Wärme speichern und in Bedarfszeiten über Turbinen wieder freigeben. „Die regenerativ erzeugte Energie wird in Zukunft aber auch genutzt werden, um grünen Wasserstoff zu gewinnen“, führt Bernd Rech aus. „Denn der kann nicht nur direkt wieder genutzt werden, sondern wird zusammen mit dem CO2 aus der Luft zu transport- und lagerfähigen Energieträgern in Form grüner Kohlenwasserstoffe.“
Die Komplexität der Natur entschlüsseln
Wasserstoff zu erzeugen, erscheint auf den ersten Blick recht simpel. Die Wasserstoffatome im Wasser müssen nur abgespalten und zu einem Molekül verbunden werden. „In Wirklichkeit ist dieser Prozess aber sehr komplex“, sagt Olga Kasian. „Da gibt es eine Menge Zwischenschritte und viele Energiebarrieren, welche die Atome überwinden müssen.“
Die Chemikerin leitet die Forschungsgruppe „Dynamische Elektrokatalysator-Grenzflächen“ und verbindet dabei die Stärken zweier Helmholtz-Standorte. Olga Kasian und ihr Team schlagen eine Brücke zwischen dem HZB und dem Helmholtz-Institut Erlangen Nürnberg (HI ERN).
„Mit Großforschungsgeräten wie dem Synchrotron haben wir am HZB eine hervorragende Infrastruktur“, sagt sie. „Und in Erlangen haben wir eine exzellente Expertise in Bezug auf Wasserstofferzeugung und -speicherung.“
Dass Wasserstoff eine zentrale Rolle für die Energiewende spielt, da ist sie sich sicher. „Ich denke, eine Technologie allein kann nicht den ganzen Energiesektor bedienen“, sagt sie. „Natürlich auch der Wasserstoff nicht. Aber er ist extrem vielseitig einsetzbar.“ Wasserstoff lässt sich in Brennstoffzellen wieder in elektrische Energie umwandeln; er wird in Motoren in Bewegungsenergie und in Heizkesseln in Wärmeenergie umgewandelt. Der Schlüssel dazu ist eine günstige Herstellung des leichtesten aller Elemente. Hier setzt die Arbeit der Wissenschaftlerin an. „Wir beschäftigen uns mit der Frage, warum die Katalysatormaterialien bei der Elektrolyse mit der Zeit instabil werden“, sagt Olga Kasian. „Das Verständnis dieser Prozesse soll helfen, bessere Materialien zu finden. Das macht dann eine effizientere und damit kostengünstigere Elektrolyse möglich.“ Dazu schaut sich ihr Team die Prozesse bei der Elektrokatalyse genauer an. „Wir erforschen, wie sich die Katalysatormaterialien verhalten. Wie sie sich verändern. Und warum sie das tun“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Diese Komplexität der Natur zu entschlüsseln und zu verstehen, wie die Dinge auf der Ebene der Atome funktionieren, finde ich persönlich sehr aufregend.“
Prozess Energiewende
Effizientere Technologien zur Energieerzeugung und -speicherung sind nur eine Säule der Energiewende. Energieverteilung und -nutzung steht ebenfalls zur Disposition. „Das gesamte Energiesystem muss umgestellt werden“, erklärt Bernd Rech. „Welch enorme gesellschaftliche Aufgabe das ist, haben erst kürzlich Fachkollegen und Fachkolleginnen von der Ariadne-Initiative aufgezeigt.“
Projekt Ariadne
Um sich den Herausforderungen der Energiewende auf wissenschaftlichem Wege zu stellen, hat die Bundesregierung 2016 die vier Kopernikus-Projekte ins Leben gerufen. Ein jedes davon beschäftigt sich mit einem anderen Aspekt der Energiewende. Das Augenmerkt von Ariadne liegt dabei im gesellschaftlichen Bereich. Die Forscherinnen und Forscher verschiedenster Einrichtungen und Fachgebiete wollen ergründen, wie sich bestimmte politische Entscheidungen für die Energiewende eignen und auf welche Akzeptanz sie bei der Bevölkerung stoßen. Ziel ist es, eine optimale Strategie zu entwickeln. In einem ersten Bericht hat die Projektgruppe verschiedene Wege miteinander verglichen, auf denen Deutschland bis 2045 klimaneutral werden könnte.
Auch die Helmholtz-Gemeinschaft forscht an diesem Komplex – zum Beispiel mit dem Energy Lab 2.0, einer Kooperation zwischen KIT, DLR und dem Forschungszentrum Jülich. Letzteres betreibt mit dem Living Lab Energy Campus auch noch ein weiteres Reallabor, in dem Strom, Wärme, Mobilität und chemische Energieträger zum intelligenten Energiesystem zusammengeführt werden.
Leistungsstarke Solarzellen, langlebige Batterien, effiziente Elektrolyse, intelligente Energiesysteme – auch wenn die Forschungsergebnisse vielversprechend klingen, ist der Faktor Zeit weiterhin wichtig. „Wir müssen loslegen und dürfen nicht warten, bis die neuen Technologien reif sind“, mahnt Bernd Rech deshalb. „Uns muss klar sein, dass die Umstellung auf saubere Energien ein Prozess ist und dass es auch eine Energiewende 2.0, 3.0 und 4.0 geben wird.“ Dass wir dazu alle an einem Strang ziehen müssen, trotzdem aber technologieoffen und lösungsoffen sein müssen, ist für ihn ebenfalls klar: „Die Energiewende muss global gelingen – dann aber auch lokal funktionieren.“
In a nutshell
- Von allen Energiequellen hat die Sonne das größte Potenzial, was sie zum Schlüssel für die globale Energieversorgung der Zukunft macht.
- Die Energiewende muss auf globaler Ebene gelingen; und sie muss auf lokaler Ebene funktionieren.
- Wasserstoff ist ein Eckpfeiler der Energiewende, denn er ist Speichermedium, Treibstoff und Rohstoff zugleich.
- Die Energiewende ist ein Prozess, in dessen Verlauf auch die Technologien reifen. Technologieoffenheit ist deshalb wichtig.
Perowskit-Solarzellen effizient und günstig
Infografik
„Wir sollten die Chancen im Morgen erkennen“
Sechs auf einen Streich - Die Gesetze für die Energiewende
EEG - Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird seit dem Jahr 2000 mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, kurz Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesteuert. Das existiert mittlerweile in seiner achten Fassung und schreibt als EEG 2021 das Ausbauziel von 65 Prozent für 2030 fest.
AtG - Mit dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes verabschiedete sich Deutschland 2011 von der Kernenergie.
EnWGÄndG - Das Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften soll seit 2011 die Neutralität des Energienetzes stärken. Die Netzbetreiber werden dadurch von den Bereichen Energieerzeugung und Energievertrieb getrennt.
NABEG - Das Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze soll seit 2011 die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Leitungsausbau verkürzen und schafft ein vereinfachtes bundeseinheitliches Genehmigungsverfahren.
Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ legt fest, woher das Geld für den „Energie- und Klimafonds“ kommt. Aus dem Vermögen des Fonds sollen Maßnahmen für Energie- und Klimawende finanziert werden.
Das Gesetz zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden ändert das Baurecht. Die Modernisierung von Windkraftanlagen und Quartierslösungen für den Klimaschutz werden hier beispielsweise geregelt.
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