
Story #29
Implantate, die sich im Körper auflösen
Nach einem Bruch fixieren heute noch Implantate aus Titan oder Edelstahl den Knochen. Später müssen diese aber oft aufwändig entfernt werden. Wie wäre es, wenn sich Implantate stattdessen einfach zum richtigen Zeitpunkt im Körper auflösten? Das Helmholtz-Zentrum Hereon setzt hier mit weiteren Partnereinrichtungen auf den Werkstoff Magnesium. Digitale Zwillinge können zum Durchbruch verhelfen.
Ein kleines Unglück reicht oftmals schon aus für einen Knochenbruch – und Implantate müssen diesen dann richten. Herkömmliche Metallimplantate können aber Schmerzen und Entzündungen verursachen. Gerade bei Kindern, deren Knochen noch wachsen, können Implantate Probleme bereiten und müssen nach der Heilung mit einer zweiten Operation entfernt werden.
Seit 20 Jahren forscht das Helmholtz-Zentrum Hereon daher an Implantaten und Stents aus Magnesium (Mg). Die lange Expertise wird der komplexen Fragestellung gerecht. Das Ziel: Eine unkomplizierte und körperinterne Auflösung des Materials über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten. Das bioverträgliche Magnesium kann sogar die Heilung fördern.
Bei der Entwicklung von Mg-Implantaten ist neben der Zusammensetzung die Verarbeitung des Materials essenziell. Am Hereon werden zwei Herstellungsketten verfolgt: Einmal die konventionelle aus Legieren, Gießen, Wärmebehandlungen und Umformen bei höherer Temperatur. Zum anderen das sogenannte Sintern, vergleichbar mit dem Brennen von Keramiken. Beim Sintern wird die Legierung als feines Pulver mit einem Bindemittel gefügig gemacht, in eine Form gespritzt oder mit 3D-Druck zu einem Implantat verarbeitet. Ist das Implantat hergestellt, gilt es, das Zusammenspiel von Material und Gewebe zu verstehen. Hierzu setzt das Hereon unter anderem Zellexperimente ein.
360° Wissenschaft: Die Auflösung - Magnesium für die Medizin [Reupload]
Doch die Interaktion von Material und Mensch ist komplex. Daher kommt der Entwicklung von digitalen Zwillingen eine bedeutende Rolle zu: An diesen virtuelle Modellen wird das Materialverhalten bis hin zur Anwendung bei Patient:innen abgebildet. Die Computermodelle simulieren die komplexen Wechselwirkungen des menschlichen Körpers und ahmen den Auflösungs- und Heilungsprozess nach. So lässt sich ein individualisiertes Mg-Implantat mit dem gewünschten Auflösungsverhalten schneller und günstiger herstellen. Um in die Anwendung zu kommen, werden bereits mehrere Demonstratoren erprobt.
Das Hereon erforscht die Wechselwirkungen zwischen Gewebe und Implantat außerdem mit ausgefeilten bildgebenden Methoden an seiner Außenstelle am Helmholtz-Forschungszentrum DESY. Weitere Kooperationspartner sind Helmholtz Munich, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das Forschungszentrum Jülich. Die Helmholtz-Gemeinschaft unterstützt diese Forschung unter anderem mit Mitteln aus den Projekten Helmholtz Imaging (HIP) und der Helmholtz Metadata Collaboration (HMC).
Seit 2024 wird die digitale Implantatentwicklung zudem durch die Kooperation für digitale Implantatforschung (IDIR) besonders vorangetrieben, in der sich das Hereon, die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) zusammengeschlossen haben.
Bild: JEWRO Photography
Beteiligte Zentren
Das Helmholtz-Zentrum Hereon betreibt internationale Spitzenforschung für eine Welt im Wandel: Rund 1.100 Beschäftigte erschaffen Wissen und Innovationen für mehr Resilienz und Nachhaltigkeit. Das wissenschaftliche Spektrum umfasst Hochleistungswerkstoffe, Verfahren und umweltschonende Technologien für die Mobilität und neue Energiesysteme. Darüber hinaus werden Biomaterialien für die Medizin und zur Steigerung der Lebensqualität erforscht. Mithilfe von Forschung und Beratung begegnet das Hereon den Herausforderungen des Klimawandels lösungsorientiert und ermöglicht ein nachhaltiges Management und den Schutz der Küsten- und Meeresumwelt.