Standpunkt
„Wissenschaft kennt keine Grenzen – und das ist gut so“

Jan S. Hesthaven ist seit Oktober 2024 Präsident des Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der gebürtige Däne war, nach Stationen an der Danmarks Tekniske Universitet (DTU) in Kopenhagen und an der Brown University in den USA, zuletzt Provost und Vizepräsident an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) in der Schweiz. Bild: Markus Breig, KIT.
Der Ruf nach nationalen Grenzen wird zunehmend lauter. Doch gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen ist es wichtig, an einer internationalen Wissenschaft festzuhalten – und mehr noch: sie als Mittel zur Völkerverständigung zu nutzen. Ein Standpunkt von Jan S. Hesthaven.
Der freie Austausch von Ideen und die grenzüberschreitende Begegnung von Menschen sind der Motor von Wissenschaft. Wenn das durch politische Ideologien behindert wird, ist mehr in Gefahr als nur einzelne Forschungsprojekte. In den USA – bis vor kurzem der Ort wissenschaftlicher Offenheit – beobachten wir zunehmende Einschränkungen: Forschungen zu Klima, Gender oder öffentlicher Gesundheit werden politisiert, Budgets gekürzt, Kooperationen in Frage gestellt. Wissenschaft wird vereinnahmt – oder sogar bekämpft.
Doch Wissenschaftsfreiheit ist nicht nur ein Wert, sondern auch eine Notwendigkeit – auch und gerade in Zeiten globaler Spannungen. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit sichert wissenschaftliche Qualität und die Resilienz der Gesellschaft weltweit, denken wir etwa an die großen Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel oder die Pandemievorsorge. Selbst während des Kalten Kriegs, einem Tiefpunkt des politischen Dialogs, war ein wissenschaftlicher Austausch zwischen den Nationen weitgehend möglich. Diese Tradition fortzusetzen ist kein Widerspruch zur institutionellen Neutralität, sondern Ausdruck eines klaren Selbstverständnisses: Wissenschaft bleibt gesprächsbereit – auch und gerade mit schwierigen Partnern.
Dazu braucht es Strategien: Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat in diesem Sinne ein klares Zeichen gesetzt. Mit der Berufung eines Dänen zum Präsidenten, mit vorangegangen beruflichen Stationen in der Schweiz und den USA, hat sich das KIT bewusst dafür entschieden, sich international aufzustellen. Dieses Vertrauen ehrt mich – und spricht für eine bemerkenswerte Offenheit.
Doch diese Offenheit ist auch ein Anspruch an uns selbst. Denn gleichzeitig wissen wir: Das KIT ist auf dem Weg, aber noch nicht am Ziel. Als Student in Dänemark habe ich früh erlebt, wie sehr internationale Netzwerke den wissenschaftlichen Fortschritt kleiner Länder prägen. Diese Erfahrung begleitet mich bis heute. Internationale Exzellenz entsteht nicht allein durch Kooperationen, sondern durch ein Umfeld, das Talente aus aller Welt willkommen heißt – und sie hält. Wir müssen auch unsere Studierenden und Mitarbeitenden aus Deutschland so ausbilden, dass sie global anschlussfähig sind. Bilingualität ist dabei ein wichtiger Schritt – Englisch wird wichtiger, aber dennoch bleibt die deutsche Sprache zentral. Die 200-jährige Geschichte des KIT in Karlsruhe und dem badischen Umland ist Teil unserer Identität. Internationalität und Regionalität stehen nicht im Widerspruch – sie bereichern einander.
Das KIT versteht sich als aktiver Partner in einem internationalen Netzwerk – innerhalb Europas ebenso wie darüber hinaus. Die Helmholtz-Gemeinschaft unterstützt uns dabei mit großer Kraft. Doch auch wir selbst müssen dafür die nötigen Strukturen schaffen: offene Karrierezugänge, verlässliche Rahmenbedingungen, internationale Sichtbarkeit.
Deutschland braucht die Internationalisierung ganz konkret – auch aus demografischen Gründen. Für das KIT – mit seiner engen Verbindung zur Wirtschaft – bedeutet das: Internationalisierung ist keine Option, sondern Voraussetzung, um den Bildungs- und Innovationsstandort Deutschland nachhaltig zu sichern. Internationalität ist auch gelebte Diversität: Sie bringt neue Perspektiven, fördert Innovation und verbindet Menschen jenseits von Herkunft, Kultur und Sprache. Sie ist nicht nur ein wissenschaftlicher Gewinn – sie ist eine ökonomische und gesellschaftliche Notwendigkeit. Auch heute.
Wissenschaft kann Brücken bauen, wo Politik versagt. Inmitten geopolitischer Spannungen schafft wissenschaftliche Kooperation Raum für Dialog und Verständigung. Wenn wir Internationalität auch als Haltung begreifen, kann Wissenschaft mehr sein als Erkenntnisgewinn – sie kann zur Hoffnungsträgerin werden.
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