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Therapien von Übermorgen

„Wir müssen das richtige Molekül in der richtigen Form an den richtigen Ort bringen“

Christoph Hagemayer und Michael Bachmann. Bild: Monarch University / HZDR, F. Bierstedt

Mit maßgeschneiderten Antikörpern wollen Forscherinnen und Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf und der australischen Monash University eine universelle Waffe gegen Leiden wie Krebs, Infektions-, Herz-Kreislauf- und Autoimmunerkrankungen erschaffen.

Das Immunsystem ist eine fein abgestimmte Maschinerie, die viele äußere Eindringlinge und fehlgeleitete Körperzellen beseitig, bevor wir überhaupt etwas davon merken. Manchmal braucht es dafür etwas länger. Dann fühlen wir uns krank und es dauert eine Weile, bis wir wieder auf die Beine kommen. Und dann gibt es noch jene Situationen, in denen die Angreifer das Immunsystem in die Irre führen, ausbremsen oder komplett lahmlegen. Krebs zum Beispiel. Oder manche Infektionserreger. Mit ihrer Plattform MHELTHERA wollen das HZDR-Team um Michael Bachmann und das Team der australischen Monash University um Christoph Hagemeyer dem Immunsystem auf die Sprünge helfen. Wie das funktionieren könnte, erzählen die beiden im Interview.

Michael Bachmann: Kern des MHELTHERA-Projekts ist es, eine Möglichkeit der Therapie für solide Tumore zu entwickeln. Die sind bislang mit einer Immuntherapie schwer behandelbar. Das Tumor-Mikroenvironment ist immunsuppressiv. Das heißt, der Tumor schafft sich selbst ein Milieu, das das Immunsystem in seiner Nähe unterdrückt. Dieses zu überwinden, ist eine der Ideen von MHELTHERA.

Michael Bachmann:  Unsere Idee ist es, über bestimmte Targetmoleküle Immunzellen und Tumorzellen miteinander zu vernetzen. Dadurch werden die Immunzellen aktiviert und die Tumorzellen umgebracht. Mit diesem System laufen derzeit bereits einige Phase-1-Studien für die Therapie von Leukämieerkrankungen sehr erfolgreich.

Michael Bachmann: Wir konnten bereits sehr erfolgreich zeigen, dass das Immunsystem mit einem Angriff auf das Tumor-Mikroenvironment durch unsere Technologie auch einen soliden Tumor erreichen kann. Dieser wird dann salopp gesagt „aufgeweicht“. Die Immunzellen werden durch die Verletzungen angelockt und dringen leichter dort ein. Das war unsere Arbeitshypothese, an der wir auch schon relativ nah dran sind. Und da wir ein radiopharmazeutisches Institut sind, gehen wir nicht nur immunologisch vor. Wir können diese Target-Moleküle auch radioaktiv markieren. Damit greifen sie nicht nur das Tumor-Mikroenvironment an, sondern dienen gleichzeitig zur Bildgebung. Dabei ist das Anwendungssystem aber auch sehr flexibel. Und hier kommt Australien ins Spiel. Wir wollen diese Technologie nicht nur für Tumore anwenden, sondern auch für andere Erkrankungen wie Infektionen, Herz-Kreislauf- oder Autoimmunerkrankungen. Wir entwickeln im Projekt also verschiedene Target-Moleküle, die bei solchen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen.

Christoph Hagemeyer: Ich kann verstehen, dass es für den Laien sehr unterschiedliche Therapiegebiete sind. Aber von zugrunde liegenden Mechanismen sind die Krankheiten durchaus verwandt. Nehmen wir zum Beispiel die Gefäßverkalkung und Gefäßentzündung, also die Plaques, die die Herzinfarkte und Schlaganfälle verursachen. Diese haben durchaus auch Merkmale von Tumoren. In ihnen wachsen zum Beispiel neue Gefäße und Immunzellen wandern ein. Die Entzündung oder die fibrotische Veränderung des Herzmuskels wiederum hat auch eine Immun- und Autoimmunkomponente.

Christoph Hagemeyer: In gewisser Weise. Deshalb identifizieren wir die spezifischen Moleküle, die bei all diesen Krankheitsbildern eine Rolle spielen. Dann entwickeln wir Antikörper gegen diese Moleküle, die wir wiederum mit Target-Molekülen koppeln. Auf diese Weise erhalten wir Werkzeuge, mit denen wir die verschiedenen Krankheitsbilder gleichzeitig abdecken können. Dabei geht es aber nicht nur um die Moleküle. In MHELTHERA werden auch grundlegende Technologien für die Identifizierung, Antikörperentwicklung und Target-Kopplung entwickelt. Helmholtz ist schon weiter als wir, wenn es um die Nuklearmedizin geht. Die haben ein eigenes Zyklotron, um radioaktive Substanzen herzustellen. Wir planen, einen in Australien zu bauen, und wir haben sehr viele Gespräche darüber, wie das gemacht werden soll. Da ist eine Menge Austausch zwischen den beiden Gruppen über die Entwicklung der Infrastruktur hier in Australien. Und wir können von den Gruppen in Dresden sehr viel darüber lernen, wie das am besten gemacht werden sollte.

Michael Bachmann: Wir haben in den letzten Jahrzehnten hier das Know-how rund um Antikörper, um Target-Moleküle und um Krebszellen aufgebaut. Das ist der Kern von MHELTHERA ist. Doch das Projekt geht auch auf eine bestehende australisch-deutsche Kooperation zurück, die schon seit vielen Jahren existiert und noch einen weiteren interessanten Aspekt zeigt. Damals ging es um den Bereich von Nanopartikeln. Als ich vor über 10 Jahren hier ans Helmholtz-Zentrum gekommen bin, wollten wir diese reine Grundlagenforschung mit den immunologischen Technologien kombinieren, die ich entwickelt hatte. Wir wollen diese Nanopartikel also mit den Immunmolekülen verbinden, um sie für das Imaging, für die Immuntherapie und für das direkte Targeting von Zellen zu erweitern. In diesem Bereich verfügten unsere australischen Partner schon damals über exzellente Grundlagen, die sie in die Kooperation und nun auch in MHELTERA eingebracht haben. Übrigens haben wir hier am Helmholtz-Zentrum auch eine Ausnahmephysikerin gewinnen können, die im Bereich von Nanoelektronik arbeitet. Sie hat unsere immunologischen Materialien auf Transistoren gebracht und damit Diagnostik ermöglicht, die unterhalb der bisherigen Nachweisgrenzen liegt. Das ist sehr wichtig, wenn wir unsere immuntherapeutischen Anwendungen in die Klinik bringen wollen. Denn dafür müssen wir nachweisen, in welcher Konzentration unsere Moleküle am Einsatzort ankommen. Das ist nicht trivial. Wir versuchen es einerseits durch radioaktive Markierung der Moleküle, auf der anderen Seite aber auch durch elektronische Materialien.

Christoph Hagemeyer: Ja, diese ursprüngliche Zusammenarbeit zwischen der Chemie von Monash und Helmholtz setzt sich auch für MHELTHERA fort. Da leisten wir einen großen Beitrag. Und natürlich im Bereich der kardiovaskulären Erkrankungen, was mein Forschungsschwerpunkt ist. Den bringen wir ebenfalls in das Programm ein. Das sind unsere Tiermodelle und unsere Antikörper. Aber auch unsere Methoden, diese zielgerichtet in die Bereiche des Gewebes zu bringen, in denen wir sie haben wollen. Und unsere Expertise in der Biokonjugation, also wie man zum Beispiel Antikörper mit Radioisotopen zusammenbringt.

Michael Bachmann: Unsere große Vision ist es, dass wir das immunsuppressive Milieu zu überwinden und damit das Hauptproblem der Therapie von soliden Tumoren lösen zu können. Gleichzeitig wollen wir die Technologien so sicher machen, dass man sie auch bei anderen Erkrankungen einsetzen kann. Gefährlichen Viruserkrankungen zum Beispiel. Seit Covid 19 sollte klar sein, dass es da draußen eine Menge Krankheitserreger gibt, die wir nicht kennen und die uns jederzeit wieder überraschen können. Um solche Erkrankungen zu therapieren, wollen wir schnell und einfach Tools bereitstellen. Und dann wollen wir natürlich auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen angehen, die ja zu den schlimmsten, schwierigsten, häufigsten und gefährlichsten Krankheiten gehören.

Michael Bachmann: Ich denke, die wirklich große Herausforderung ist es, das richtige Molekül in der richtigen Form an den richtigen Ort zu bringen. Man muss sich immer vor Augen haben, dass die Natur Millionen Jahre Zeit hatte, das Immunsystem zu optimieren. Dabei hat sie eine Plattform entwickelt, um im Ernstfall schnell ein optimales Antikörpermolekül hervorbringen zu können. Und jetzt kommen Molekularbiologen wie ich daher und meinen es besser machen zu können. Statt komplette Antikörper nehmen wir nur Stücke davon. Wir machen sie kleiner. Wir verändern das Molekül. Das ist nicht einfach, da wir dabei nicht nur seine Haupteigenschaft, das gefährliche Target zu erkennen, sondern auch seine anderen biologischen und biochemischen Eigenschaften nicht verschlechtern dürfen. Und dann gibt es natürlich die „ganz normalen“ wissenschaftlichen Fragestellungen, die es bei einem solchen Projekt zu lösen gilt: Man benötigt die richtigen Radionuklide für eine radioaktive Markierung. Denn die müssen zur Pharmakologie der jeweiligen Moleküle passen. Sie müssen so verpackt werden, dass sie nicht auf ihrem Weg durch den Körper verloren gehen. Und ihre Lebensdauer muss zur Lebenszeit des Moleküls passen. Es nützt nichts, wenn ein Molekül zehn Tage im Körper verweilt und das daran gebunden Nuklid nur fünf Minuten strahlt. Dann braucht man natürlich die passenden Tiermodelle. Hier ist Monash ein idealer Partner. Dort wurden solche Herzmodelle über viele Jahre entwickelt. Und es braucht Großgeräte wie ein Zyklotron und ein Synchrotron, um solch ein Projekt umzusetzen.

Christoph Hagemeyer: Eine Herausforderung ist auch das hohe Maß an Interdisziplinarität in der  Theranostik, wie man die enge Verzahnung von Therapie und Diagnostik bezeichnet. Das heißt, man braucht eine wirklich gute Zusammenarbeit von Chemikern, Medizinern, Biologen, Physikern, Ingenieuren und vielen mehr, um diese Trägersubstanzen herzustellen und mit Molekülen zu beladen. Das haben wir dank unserer Kooperation gut gelöst. Hinzu kommt aber auch, dass die Anforderungen in den einzelnen Krankheitsgebieten höchst unterschiedlich sind. Bei einer Krebserkrankung im letzten Stadium kann man ein höheres Risiko eingehen als bei relativ gut therapierbaren Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei einer gemeinsamen Plattform müssen also die Nebenwirkungen allgemein extrem niedrig sein. Und auch das wollen wir mit MHELTHERA erreichen.

Michael Bachmann: Wir haben einen intensiven Austausch von Kollegen zwischen Australien und Deutschland. So haben wir zum Beispiel seit über einem Jahr einen australischen Postdoc-Chemiker, der bei uns fantastische Arbeit macht. Und umgekehrt haben wir Leute, die in speziell für uns zur Verfügung gestellten Laborbereichen in Melbourne arbeiten. Vor Kurzem hatten wir unser jährliches Meeting, das einmal in Australien und einmal in Deutschland stattfindet. Und wir haben zusätzlich eine Summer School für unsere Studenten.

Christoph Hagemeyer: Wie Michael das gesagt hat, ist es ein intensiver Austausch von Wissenschaftlern, von Projekten und von Materialien. Ein extrem wichtiger Teil ist aber auch der Austausch von Ideen, und zwar über Fachgrenzen hinweg. Denn wir haben ja hier Mediziner, Biologen, Chemiker, Physiker, Ingenieure im Team, um nur einige zu nennen. Und normalerweise sprechen die alle ihre eigene Sprache und leben in ihrer eigenen Welt. Sie in einem Team zu vereinen, schafft riesige Möglichkeiten. Oft ist es der zweite Blick aus einer anderen Fachrichtung, mit dem sich Ideen zu wirklich großen Sachen entwickeln.

Den Biochemiker Christoph Hagemeyer hat es vor 20 Jahren von Deutschland nach Australien gezogen. Nach mehreren Jahren am Baker Heart and Diabetes Institut, einer führende Forschungseinrichtung für Herz-Kreislauferkrankungen, ging er zu Monash, der größten Universität des Landes. Dort ist er Gruppenleiter im Bereich der Thromboseforschung und Bildgebung und ist seit zwei Jahren auch Direktor des Monash Biomedical Imaging, einer Forschungsplattform im Bereich der medizinischen Bildgebung.

Michael Bachmann hat im Bereich der pharmazeutischen Biologie promoviert und in physiologischer Chemie habilitiert. Nach 20 Jahren an der medizinischen Fakultät in Mainz und einer Zeit in den USA hat es ihn nach Dresden zunächst in die Immunologie an der Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden gezogen. Danach erhielt er eine Professur für Translationale Radiopharmakologie ebenda und wurde gleichzeitig Direktor am Institut für Radiopharmazeutische Tumorforschung am HZDR. Gegen Ende dieses Jahres wird er nach über 45 Jahren Forschung in den Ruhestand gehen. Bereits auf seinen Mainzer Arbeiten zu Autoantikörpern basiert die Entwicklung von gentechnisch veränderten, schaltbaren Immunzellen zur Therapie von Tumorerkrankungen, die mittlerweile sogar in der klinischen Prüfung sind und worauf auch das MHELTHERA-Projekt aufbaut.

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