Direkt zum Seiteninhalt springen

Blickwinkel

Sollten Wissenschaftler politischer werden?

Bild: Sylvia Wolf

Forscher haben sich in letzter Zeit so stark politisch geäußert wie lange nicht – vor allem um Thema Klimawandel. Doch sollten sich Wissenschaftler so vehement in politische Debatten einmischen? Oder sollten sie rein ihre Forschungsergebnisse für sich sprechen lassen? Zwei Blickwinkel.


Martina Schäfer ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrums Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin.Bild: Sylvia Wolf

„Nur Wissenschaft kann dazu beitragen, Menschen mit Entscheidungsbefugnissen mutiges Handeln unter Unsicherheit zu erleichtern.“

Manche Wissenschaftlerin und mancher Wissenschaftler reibt sich in den vergangenen Monaten ungläubig die Augen, wie sehr der Wert ihrer Expertise durch die von Fridays for Future angestoßenen Debatten angestiegen ist. Dabei liegen die Fakten zur Dringlichkeit und dem Ausmaß der Klimakrise größtenteils seit vielen Jahren vor. Dies zeigt, dass die bisher praktizierten Formen der Wissenschaftskommunikation häufig noch nicht griffig genug sind.

Mir erscheint es deshalb nötig, dass sich die Wissenschaft mit ihrer Expertise vermehrt in öffentliche Debatten einbringt – allein schon, um polarisierte Debatten zu versachlichen und mögliche Lösungsstrategien auf ihren Gehalt zu überprüfen. Damit ist allerdings das Risiko verbunden, dass die eigene Position in den Medien stark zugespitzt und manchmal sogar verzerrt wiedergegeben wird.

Aus meiner Sicht ist die Wissenschaft noch mehr als bisher gefragt, ihre Ergebnisse so aufzubereiten, dass sie von gesellschaftlichen Akteuren aufgegriffen werden können – sei es von der Politik, sei es von Unternehmen oder Verwaltungen. Damit das gelingt, müssen sich Forscherinnen und Forscher damit vertraut machen, wie sie ihre jeweilige Zielgruppe erreichen können. Denn fest steht: Die Entscheidungswege und die Art, sich zu informieren, sind in Politik und Verwaltung völlig anders als in der Wirtschaft – und als in der Wissenschaft selbst, deren Routinen die Forscherinnen und Forscher von Beginn an kennen. Damit sie sich in die anderen Kommunikationsarten und -wege einarbeiten können, bedarf es der professionellen Unterstützung durch die Abteilungen für Transfer und Öffentlichkeitsarbeit, die es an fast jeder wissenschaftlichen Einrichtung gibt.

Missverständnisse und Verzerrungen lassen sich so nicht verhindern, da mache ich mir keine Illusionen. Ich bin mir aber sicher: Die weit größere Gefahr bei der Bearbeitung der derzeit drängenden und komplexen Problemlagen dieser Welt besteht darin, wissenschaftliche Sachverhalte in öffentlichen Debatten und bei weitreichenden Entscheidungen gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wissenschaft – und nur Wissenschaft – kann dazu beitragen, Menschen mit Entscheidungsbefugnissen mutiges Handeln unter Unsicherheit zu erleichtern. Das ist es wert, als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler die Risiken einzugehen, die damit verbunden sind, sich in öffentliche Debatten einzumischen!


Reinhard Hüttl ist wissenschaftlicher Vorstand und Sprecher des Vorstands am Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ.Bild: Sylvia Wolf

„Ich möchte nicht in einer Szientokratie leben, in der allein wissenschaftliche Argumente zählen.“

Wenn ich in die Humboldt-Universität komme, sehe ich das Karl-Marx-Zitat: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Als Bürger stimme ich ihm zu – wir sollten die Welt zum Besseren hin verändern –, auch wenn wir wohl erst diskutieren müssten, ob wir ein gemeinsames Verständnis einer „besseren Welt“ fänden. Als Wissenschaftler aber widerspreche ich ihm, denn Marx spricht als Aktivist mit einem politischen Ziel. Forschung jedoch muss frei sein.

Natürlich bewegt sich Forschung in einem gesellschaftspolitischen Rahmen und steht in der Pflicht, vor drohenden Gefahren zu warnen. Der Klimawandel ist ebenso real, wie es die planetaren Grenzen sind: Unsere natürlichen Ressourcen sind endlich, und die Aufnahmekapazität der Böden, der Ozeane und der Atmosphäre – etwa für Nitrat oder für Kohlendioxid – ist dann erschöpft, wenn Ökosysteme und die Gesundheit von Menschen bedroht sind. Hier ist die Wissenschaft gefordert, Diagnosen zu liefern und möglichst auch Optionen für Lösungen aufzuzeigen. Doch ich möchte nicht in einer Szientokratie leben, in der allein wissenschaftliche Argumente zählen. Politik muss auf wissenschaftlich fundierter Basis entscheiden, ja – aber sie muss weitere Faktoren bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen, zum Beispiel Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und Durchsetzbarkeit. Das Beispiel Kernenergie zeigt: Die Franzosen haben keine anderen wissenschaftlichen Fakten als wir, aber gesellschaftspolitisch eine völlig andere Debatte dazu.

Es geht bei der Rollentrennung von Wissenschaft und Politik nicht darum, Forschende davon abzuhalten, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Im Gegenteil, politisches Engagement und entschiedenes Eintreten gegen Fake News sind heute wichtiger denn je. Nur müssen die jeweiligen Rollen transparent gemacht werden: Agiere ich gerade als Bürger oder als Wissenschaftler? Forschende sollten als ehrliche Makler auftreten und Grenzen des Wissens benennen. Dazu ist der Dialog mit der Öffentlichkeit entscheidend, auch um Fragen der Gesellschaft aufzunehmen. Wissenschaftskommunikation ist hier eine zentrale Aufgabe – aus der Forschung heraus und professionell unterstützt, aber auch kritisch beobachtet durch unabhängigen Journalismus. Denn bei allem Willen zur Transparenz bleibt die Neutralität der Forschung ein Versprechen, das einer externen Überprüfung standhalten muss.


Leser:innenkommentare