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Forschungspolitik

„Die Politik sollte sich aus der Forschung möglichst raushalten“

Holger Becker und Stephan Albani (v.r.n.l.) sind Physiker, Bundestagsabgeordnete und neue Mitglieder im Helmholtz-Senat. (Bild: Christian Kielmann)

Stephan Albani und Holger Becker sind Physiker, Bundestagsabgeordnete und neue Mitglieder im Helmholtz-Senat. Ein Gespräch über Forschungspolitik, die Stärken der Helmholtz-Gemeinschaft – und darüber, was das alles mit dem Samstag-Abend-Programm im deutschen Fernsehen zu tun hat.

Sie gehören unterschiedlichen Parteien an und sitzen beide im Wissenschafts-Ausschuss des Bundestags. Wenn Sie dort diskutieren: Sind Sie dann vor allem Parteipolitiker oder Physiker?

Albani: Politik ist für mich kein Beruf, Politik ist ein Mandat auf Zeit. Ich schaue mir die Fragen an, um die es geht, und der Naturwissenschaftler in mir berät dann den Politiker in mir, was ein kluger Umgang mit dem jeweiligen Thema ist.

Becker: So scharf kann man das nicht trennen, finde ich: Politik ist ja immer auch eine Interpretation und Einordnung von Daten, und darauf hat natürlich jeder seine persönliche Perspektive.

Albani: In den letzten beiden Legislaturperioden habe ich sehr gut mit einem Kollegen aus Ihrer Fraktion zusammengearbeitet, der Mikrobiologe war. Da redeten und verhandelten wir zumeist unter Naturwissenschaftlern, und das hat manches deutlich vereinfacht (lacht).

Stephan Albani und Holger Becker im Gespräch über Forschungspolitik, die Stärken der Helmholtz-Gemeinschaft sowie Star-Trek und Sherlock Holmes. (Bild: Christian Kielmann)

Warum haben Sie sich eigentlich für ein Physik-Studium entschieden?

Becker: Eines der ersten Ereignisse, an das ich mich erinnere, ist die Mondlandung. Danach habe ich als Kind alles verschlungen, was mit Flugzeugen und Raketen zu tun hatte, und ein sehr guter Physiklehrer hat dann noch zusätzlich unheimlich motivierend gewirkt. Mit 13 stand für mich fest, dass ich Physiker werden will – ich hatte zwar keine Ahnung, was das genau ist, aber ich wusste: Physiker können die Welt erklären.

Albani: Ich bin Sohn eines Mediziners, und manchmal konnte ich bei meinem Vater im Labor dabei sein. Da habe ich dann den Gas-Chromatographen und anderen Gerätschaften beim Piepen und Analysieren zugeschaut und irgendwann, mit acht oder zehn Jahren, durfte ich selbst einmal damit etwas machen. Und noch etwas: Ich habe immer sehr gern Sherlock Holmes gelesen, und wie er aus wenig Informationen viele Schlüsse ziehen und damit Geheimnisse lüften konnte – das fand ich faszinierend. Das scheinbar Unerklärliche zu erklären, ist ja gerade das Wesen der Wissenschaft.

Becker: Das ist ein gutes Stichwort: Als ich viele Jahre später in Australien unterwegs war und auf einem Campingplatz auf Goldsucher traf, erklärte ich abends am Lagerfeuer, was sie da eigentlich suchen: dass das Gold der Rest von explodierten Sternen ist. Die Goldsucher hatten darüber noch nicht nachgedacht, hörten aber gebannt zu.

Albani: To boldly go where no man has gone before – das stammt aus Star-Trek, und ich finde, das ist ein großartiges Motto für die Wissenschaft.

Holger Becker wünscht sich eine Entbürokratisierung von Förderprozessen. (Bild: Christian Kielmann)

Wie passen denn Wissenschaft und Politik zusammen?

Albani: Ich bin erst seit zehn Jahren in der Politik, und so wie ich in der Zeit davor für eine evidenzbasierte Medizin gekämpft habe, kämpfe ich jetzt für eine evidenzbasierte Politik. Und ich sehe: Während ein Teil der Parlamentarier leider wieder mehr in Richtung Dogma und Ideologie abdriftet, hat ein anderer, durchaus signifikanter Teil der Politiker die Wissenschaft als Grundlage für Politik akzeptiert. Es wird viel mehr nach Zahlen, Daten und Fakten gefragt.

Becker: Da stimme ich Ihnen absolut zu: Wir werden zunehmend in Situationen kommen, die wir noch nicht hatten, und da werden der Politik schnellere, folgenschwerere Entscheidungen abverlangt – von der kleinen Kommune bis in die höchsten Ebenen, von Themen wie Energie, Wasserversorgung und Klima bis zur Sicherheitsarchitektur in einer multipolaren Welt. Die Bereitschaft zur Kommunikation mit Wissenschaftlern hat zugenommen, ganz ohne Frage – aber bei der inhaltlichen, tieferen Beschäftigung mit diesen Themen sehe ich nach wie vor ein Defizit.

Albani: Ich veranstalte immer wieder parlamentarische Abende mit der Physikalischen Gesellschaft, um die Wissenschaft für die Politiker-Kollegen zugänglicher zu machen. Und ich stelle fest: Die Offenheit für Fakten und die Bereitschaft, die politische Arbeit auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen – die ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

Stephan Albani findet, dass die Politik die Wissenschaft nicht kujonieren darf. (Bild: Christian Kielmann)

Das eine sind ja die Methoden, wie Politik gestaltet wird. Und das andere die Inhalte, mit denen sich die Politik auseinandersetzt. Schauen wir doch einmal auf diese Inhalte: Was sind Ihrer Meinung nach die offenen Fragen in der Forschungspolitik?

Becker: Die Art und Weise, wie wir Forschungsthemen auswählen und fördern, stammt im Prinzip aus den Zeiten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, und so wie Produkte irgendwann am Ende ihres Lebenszyklus’ ankommen, ist diese Forschungsförderung jetzt organisatorisch auch am Ende. Jeder, wirklich jeder in diesem Wissenschaftsbetrieb beklagt eine überbordende Bürokratisierung, und über die vergangenen paar Jahre sehen wir dann auch noch, dass die Förderwahrscheinlichkeit in vielen Programmen aufgrund dessen zurückgegangen ist. Bei einzelnen Projektaufrufen in Programmen wie Horizon2020 lag die finale Erfolgsquote bei Anträgen nur noch bei drei Prozent. Das bedeutet, dass 97 Prozent der Mühen und der Arbeit von Antragstellern, aber auch von Gutachtern und Programmorganisatoren, einfach weggeworfen werden. Ich glaube, wir brauchen da disruptive Änderungen: Wir müssen uns hinsetzen und überlegen, wie Förderprozesse im 21. Jahrhundert entbürokratisiert werden können.

Albani: Das mag sein. Aber bevor das zu negativ klingt: Wir dürfen auch nicht aus dem Blick verlieren, welche großen Fortschritte es in der deutschen Forschungslandschaft gegeben hat. Als ich noch studierte, war in Deutschland die Rede vom großen Brain Drain. Jeder, der etwas werden wollte in der Physik, musste raus ins Ausland, so hieß es immer. Und heute? Das Gegenteil ist der Fall, wir erleben einen unheimlichen Brain Gain, und wenn in einem Jahr mal kein Nobelpreis nach Deutschland geht, dann führt das schon fast zu Depressionen. Das zeigt doch, dass sich die Rahmenbedingungen unheimlich verbessert haben.

Wo sehen Sie da Aufgaben für die Politik?

Albani: Meine Antwort ist vor allem, dass sich die Politik aus der Forschung möglichst raushalten sollte. Ich finde, die Politik hat in den vergangenen Jahren zu viel eingegriffen. Die große Stärke unserer bundesdeutschen Forschungslandschaft ist doch gerade die Diversität – und die sollten wir dringend erhalten. Politik darf die Wissenschaft nicht kujonieren.

Becker: Das ist tatsächlich ein sehr delikates Spannungsfeld, und ich finde, dass wir mit dem Umschwenken auf die stärkere Missionsorientierung, die man ja auch auf europäischer Ebene sieht, einen guten Ansatz gewählt haben. Einfach ausgedrückt: Die Politik formuliert gesellschaftliche Ziele – und die Wissenschaft bekommt möglichst viel Freiraum, um Lösungen zu finden.

Durch Ihre Aufgabe im Helmholtz-Senat haben Sie ja jetzt direkte Einblicke in die Forschungsgemeinschaft. Wie steht Helmholtz aus Ihrer Sicht da?

Albani: Helmholtz hat als ganz großer Tanker eine gewaltige Stärke: Da steckt eine unheimliche Power dahinter, und das auf jedem Feld, wo die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tätig sind. Aber daraus erwächst auch eine Schwäche: Es liegt eben eine komplexe Struktur dahinter, die die Koordination nicht einfach macht.

Becker: Helmholtz hat in der Öffentlichkeit nicht die gleiche Sichtbarkeit wie etwa die Max-Planck- oder die Fraunhofer-Gesellschaft. So etwas wie die Expedition der Polarstern lässt sich natürlich wunderbar verkaufen…

Albani: …aber da heißt es dann immer: Das war das Alfred-Wegener-Institut. Dass das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört, geht dabei leicht unter.

Becker: Deshalb ist dieses Sichtbar-Machen meiner Meinung nach eine große Aufgabe für die Helmholtz-Gemeinschaft. Bei einer zweiten Aufgabe hat sich in den vergangenen Jahren schon unheimlich viel getan: Helmholtz hat etliche Überlappungsbereiche für interdisziplinäre Forschung ausgemacht, weil ein Großteil der modernen Wissenschaft genau an diesen Schnittstellen stattfindet. Wenn es weiterhin gelingt, die richtigen Themen zu identifizieren und einen gemeinsamen Spirit zu erzeugen – dann liegt darin eine gewaltige Chance, die gerade Helmholtz mit seinem Zusammenschluss von so vielen Großforschungszentren wunderbar nutzen kann.

Werden wir konkret: Die Nachricht ist noch recht jung, dass die Erderwärmung mit einer 50-Prozent-Wahrscheinlichkeit schon im Jahr 2026 das 1,5-Grad-Ziel überschreitet…

Becker: …und gerade da bietet es sich an, auf das Know-How der Helmholtz-Gemeinschaft zurückzugreifen, die ja Erde und Umwelt als eines ihrer Schwerpunktthemen hat. Es wird interessant zu schauen, welche Beiträge die verschiedenen Zentren mit ihrer je eigenen Kompetenz leisten: sei es das DLR mit den Erdbeobachtungs-Möglichkeiten oder das Forschungszentrum Jülich mit dem Quantencomputing. Und in der Politik herrscht übrigens auch kein Dissens darüber, dass das die beherrschenden Themen sind, die die Menschheit global und in erschreckend kurzen Zeiträumen betreffen werden.

Albani: Ich habe erst unlängst bei Helmholtz mit vielen Leuten gesprochen, die sich mit der Klimakrise beschäftigen. Mir ist da nochmal klargeworden: Helmholtz ist da bannig gut aufgestellt, wie wir im Norden sagen. Mit der Kombination der unterschiedlichen Ansätze kann Helmholtz in ganzen Systemen denken und nicht nur in einzelnen Teilen.

Der Klimawandel ist ja bereits unheimlich gut erforscht. Ist jetzt nicht die Politik am Zug?

Becker: Natürlich ist die Politik gefragt! Stichworte sind beispielsweise Klimaneutralität und technologische Souveränität – zwei Felder übrigens, auf denen der Forschung wiederum eine überragende Rolle zukommt. Wir brauchen gute technische Lösungen, die wir dann in der Politik unterstützen und umsetzen können.

Albani: Gute technische Lösungen – das finde ich ein gutes Stichwort. Wissen Sie, was ich immer wieder als ersten Satz höre in meinen Bürgersprechstunden?

Stephan Albani und Holger Becker sind sich einig: "Wir brauchen gute technische Lösungen, die wir dann in der Politik unterstützen und umsetzen können". (Bild: Christian Kielmann)

Nein, verraten Sie’s uns!

Albani: Fast jedes Gespräch beginnt mit dem Satz: „Wenn Sie in der Politik nicht endlich begreifen, dass – und dann kommt das Anliegen –, dann wird die Welt untergehen.“ So fangen Gespräche zu etlichen, völlig unterschiedlichen Themen an. Ich finde, da spricht eine unheimliche und umfassende Zukunftsangst daraus.

Die Lage sieht im Moment ja auch wirklich nicht gerade rosig aus, oder?

Albani: Ich will die Probleme auch keinesfalls kleinreden. Aber Pandemien zum Beispiel gab es in früheren Zeiten auch schon, und die Menschheit stand ihnen wesentlich schutzloser gegenüber als heute. Wir verfügen heute mehr denn je über die Möglichkeiten, diesen Herausforderungen auch innovativ zu begegnen.

Becker: Die Probleme der Gegenwart sind tatsächlich so komplex, dass sie einen Teil der Menschen eine psychologische Misanthropie treiben. Es wäre ungemein hilfreich, wenn die Wissenschaft da noch stärker eine Erklärfunktion übernimmt.

Jetzt klingen Sie beide auf einmal wieder wie Naturwissenschaftler – und Sie sind sich wieder einig….

Albani: Und jetzt komme ich wieder zu den guten technischen Lösungen. Schauen Sie nur mal im Fernsehen, was da am Samstagabend läuft. Während meiner Jugend gab es da Science-Fiction-Sendungen, in denen es um spannende Entdeckungen jenseits der bekannten Horizonte ging. Heute hingegen geht in jedem Film die Welt unter, und die Frage ist nur, woran wir diesmal wieder eingehen. Ich finde, wir sollten die alte Lust auf Entdeckungen wieder zurückgewinnen. Wir sind in der Lage, dank unseres Erfindungsreichtums in der Wissenschaft die Zukunft positiv zu gestalten.

Becker: Und das ist doch eine wunderbare Aufgabe für die Forschung, oder?

Zur Person:

Stephan Albani (Bild: Christian Kielmann)

Stephan Albani

Stephan Albani ist Mitglied der CDU und seit 2013 Bundestagsabgeordneter. Nach seinem Physikstudium in Göttingen gründete er als geschäftsführender Gesellschafter zwei Institute – Hörzentrum Oldenburg und HörTech - an und mit der Universität Oldenburg. Die HörTech erhielt 2012 den Deutschen Zukunftspreis. Zuletzt folgte 2008 die Gründung eines medizinischen Versorgungszentrums. Alle Unternehmen hat Albani inzwischen in die Hände von Nachfolgern gelegt. Im Bundestag ist er Obmann des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Sein Wahlkreis Oldenburg/Ammerland liegt im Nordwesten Niedersachsens.

Holger Becker (Bild: Christian Kielmann)

Holger Becker

Holger Becker ist Mitglied der SPD und seit 2021 Bundestagsabgeordneter. Nach seinem Physikstudium und der Promotion in Heidelberg arbeitete er für mehrere Unternehmen, bevor er 2002 seine eigene Firma gründete. 2004 wurde er für den Deutschen Gründerpreis nominiert. Er ist Fellow der Royal Society of Chemistry und Träger der Ehrennadel der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Sein Wahlkreis ist Jena, Weimarer Land und der Landkreis Sömmerda.

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