Büro Moskau
Gekommen, um zu bleiben
Botschafter, Wegbereiter und Trostspender in einem – das Moskauer Helmholtz-Büro feiert sein zehnjähriges Bestehen.
Die Helmholtz-Gemeinschaft ist seit genau zehn Jahren mit einem Büro in Moskau vertreten. Anlässlich der Jubiläumsveranstaltung am 10. Februar schließt die Forschungsorganisation zwei neue Vereinbarungen mit ihren russischen Partnern. Helmholtz-Präsident Jürgen Mlynek sagte im Vorfeld der Unterzeichnung, trotz der gegenwärtigen Krise in den Beziehungen beider Länder seien die Kooperationen zwischen deutschen und russischen Forschungseinrichtungen so vielfältig wie nie zuvor. Besonderes Merkmal ist der gemeinsame Bau und Betrieb internationaler Großgeräte, zum Beispiel beim European XFEL in Hamburg oder dem FAIR-Projekt in Darmstadt. Bei beiden Projekten sind Deutschland und Russland jeweils die größten Anteilseigner.
Neutrinos und Würstchen, Schwerionen und Leichtbier passen gut zueinander. Zumindest beim alljährlichen Partnertreffen des Moskauer Büros der Helmholtz-Gemeinschaft. Im Herbst stand das vereinte Mittagsmahl unter dem Motto einer weiteren völkerverbindenden Institution deutscher Herkunft: "Oktoberfest". Über den Köpfen der russischen Wissenschaftler und deutschen Forschungsorganisatoren hing der Restaurant-Fernseher und zeigte Livebilder von einem Moskauer Wirtschaftsforum. Ökonomen diskutierten, wie sie in Zeiten der Sanktionen den Kontakt mit der globalisierten Welt erhalten können. Für die Helmholtz-Gäste gab es an diesem Tag jedoch auch andere Themen. "Die Politiker spielen ihre Spiele", sagt der Chef der Abteilung für Internationale Zusammenarbeit des Kernforschungszentrums Dubna, Dmitri Kamanin, "und wir beschäftigen uns derweil mit wissenschaftlichen Fragen."
Zwar spüren einige russische Institute die globalen Spannungen, wenn Geldüberweisungen und die Lieferung von Spezialapparaturen aus dem Westen sich verzögern oder nordamerikanische Staatsinstitute bei internationalen Programmen mit russischer Beteiligung zurückzucken. Doch der deutsch-russische Gesprächskanal der Wissenschaft soll in Zeiten eines ernsten Konflikts offen bleiben. Auch in den Anfangszeiten der Sowjetunion und während des Kalten Krieges war Deutschland wissenschaftlich trotz aller ideologischen Gegensätze in Russland vertreten und hat in den turbulenten neunziger Jahren für manches russische Institut Überlebenshilfe geleistet.
Seit zehn Jahren dient das Moskauer Büro als eine der Leitstellen der deutsch-russischen Forschungsarbeit. Am 7. Februar 2005 wurde es eröffnet. Neben Brüssel und Peking ist es eines von drei Helmholtz-Büros im Ausland. „Russland war sichtbar als ein Partner für die kommenden Jahrzehnte“, sagt Büroleiterin Elena Eremenko in der Rückschau. Zwar haftete der russischen Wissenschaft der Ruf an, unterversorgt und ausgeblutet zu sein, aber eine neue Forschungspolitik und erste Reformen waren damals schon erkennbar. Die Helmholtz-Gemeinschaft brauchte einen Sitz in Moskau. „Wer mit langfristigen Vorhaben nach Russland kommt, muss hier ein Büro haben“, erklärt Eremenko. „Sonst wird er auf russischer Seite schnell als wenig ernsthaft wahrgenommen: für ein kurzfristiges Projekt gekommen und dann basta.“
Eremenko arbeitet auf lange Sicht. Sie versteht sich als eine Botschafterin der deutschen Wissenschaft im anspornenden Wettbewerb mit anderen Organisationen. In Flugzeugen legte sie im vergangenen Jahr eine Strecke zurück, die fast einmal um die Erdkugel reicht. Auf ihren Informationsreisen in die russischen Regionen erzählt sie von ihrer Organisation und dem Wissenschaftler Helmholtz, den viele nur als Namenspatron einer in Russland gerühmten Moskauer Augenklinik kennen. „Eine unserer Aufgaben ist es, diese Gedankenverbindung zu brechen“, sagt Eremenko. „Hermann von Helmholtz war nicht nur Augenkundler, sondern ein Universalwissenschaftler und exzellenter Forschungsmanager.“
Zugleich spürt Eremenko neue Trends in der russischen Wissenschaft auf, die eine Zusammenarbeit nahelegen. Viele Wissenschaftler seien durch die laufende Reform, die eine Evaluierung und Neupositionierung der Forschungsinstitute mit sich bringt, verunsichert. „Helmholtz gilt auch als ein Partner mit breiter Erfahrung bei der Entwicklung von Strategien zur Internationalisierung“, erklärt Eremenko. Sie fehlen manchen russischen Instituten noch.
Eremenko und ihre zwei Mitarbeiter stammen alle aus Russland. Eremenkos Kollegen haben in Deutschland studiert. Sie kommt aus dem sibirischen Krasnojarsk, promovierte in Sankt Petersburg über Literatur (Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt) und arbeitete später acht Jahre lang in der Abteilung Wissenschaft und Bildung an der Deutschen Botschaft in Moskau. Das sei eine wichtige Zeit nicht nur zum Netzwerk-Knüpfen gewesen. Auch die Erfahrung des diplomatischen Auftritts kommt Eremenko bei der Partnerpflege heute zugute – bis hin zum Trösten bei auslaufenden Programmen.
Allein 18 russische Forschungsinstitute arbeiten FAIR zu. In einem FAIR-Russia-Research-Zentrum sollen Nachwuchswissenschaftler speziell für das Projekt ausgebildet werden. Das Kernforschungszentrum in Dubna, mit dem die Helmholtz-Gemeinschaft einen Rahmenvertrag zur Forschungsförderung abgeschlossen hat, wird Spezialmagnete für FAIR herstellen. „Die Fabrik ist bereits mit der notwendigen Technik ausgerüstet“, erzählt Kamanin aus Dubna. „Bald wird mit der Produktion in einer sehr komplizierten kryogenen Technik und der Erprobung der Magnete begonnen. Die deutsche Wissenschaft ist technologisch gut ausgestattet und sehr entwickelt, und unser Institut gehört zu den führenden in der Kernforschung. Da mussten wir einfach zusammenkommen.“
Ein bedeutender Teil der Arbeit des Moskauer Büros allerdings ist Schreibtischwerk: Es gilt, den Kontakt mit den Partnern per Brief und Telefon zu halten – vor allem mit staatlichen Behörden, der Russischen Akademie der Wissenschaften, dem Kurtschatow-Institut, dem Russischen Wissenschaftsfonds oder der Russischen Stiftung für Grundlagenforschung. Eremenko berät, wie Fördermittel aus Deutschland korrekt deklariert und Gerätschaften eingeführt werden, um eventuelle Schwierigkeiten bei Verzollung zu minimieren. Das Moskauer Büro versteht sich dabei als eine Art Service-Zentrum für die Wissenschaftler, die die deutsch-russische Zusammenarbeit auf- und ausbauen möchten. Denn in Russland, versichern die Mitarbeiter, sei die Bürokratie leider noch umfangreicher als in Deutschland.
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