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IceCube

Der Neutrino-Himmel nimmt Konturen an

Künstlerische Darstellung von Neutrinoemission aus der Milchstraße über dem IceCube-Labor am Südpol.

Künstlerische Darstellung von Neutrinoemission aus der Milchstraße über dem IceCube-Labor am Südpol. Bild: IceCube/NSF. Original photo taken by Martin Wolf

Jüngst gelang der Nachweis von Neutrinos aus der galaktischen Scheibe der Milchstraße. Jetzt gehen die Forscherinnen und Forscher neue Ziele an.

Sie gelten als die Exoten unter den Elementarteilchen: Neutrinos wechselwirken nur extrem selten mit normaler Materie und sind deshalb immens schwierig nachzuweisen. Meist sausen sie ohne jede Interaktion quer durch die Erde. Sie fliegen auch quer durch galaktische Gas- und Staubwolken, die für andere Teilchen undurchsichtig sind. Sie können sogar aus dem Zentrum eines Sterns entkommen und dadurch Aufschluss über den Brennzyklus unserer Sonne oder über Sternexplosionen – die sogenannten Supernovae – bringen.

Marek Kowalski Leitender Wissenschaftler in der IceCube-Gruppe des DESY in Zeuthen. Bild: DESY/ Gesine Born

Doch was die Arbeit mit ihnen so erschwert, eröffnet zugleich spannende Möglichkeiten für die Forschung. „Neutrinos gelangen von Orten zu uns, von denen uns nichts anderes Kunde geben kann“, sagt Marek Kowalski vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY. Der Astrophysiker leitet die IceCube-Gruppe am DESY, die eine führende Rolle im IceCube-Experiment spielt.

IceCube besteht aus über 5.000 hochempfindlichen Fotodetektoren, die über einen Kilometer tief im Eis der Antarktis verteilt sind. In dieser Tiefe sind die meisten Arten kosmischer Strahlung hervorragend abgeschirmt. Die Detektoren registrieren hier die winzigen Lichtblitze, die bei den seltenen Neutrino-Reaktionen im durchsichtigen Eis entstehen. Um dieses schwache Licht zu messen, ist ein klares Medium nötig – hier Eis. Deshalb ist die Technik in der Antarktis aufgebaut. Es gibt aber auch unter Wasser ähnliche, kleinere Neutrinodetektoren. IceCube ist mit einem Volumen von rund einem Kubikkilometer der mit Abstand größte Neutrino-Detektor und spezialisiert auf besonders hochenergetische Neutrinos.

Die optischen Module wurden bisher in 80 Bohrlöcher in eine Eistiefe zwischen 1.450 und 2.450 m versenkt. Bild: DESY/Bernhard Voigt

Nur unter extremen astrophysikalischen Bedingungen wie Supernovae oder in den Jets supermassereicher Schwarzer Löcher in Galaxienzentren können derart energiereiche Teilchen entstehen. „In den letzten Jahren konnten wir einige extrem energiereiche Neutrinos mit IceCube nachweisen, deren Ursprung in besonders starken aktiven Galaxienkernen liegt“, so Kowalski. Diese Neutrinos werden als Sekundärprodukte erzeugt, nachdem erst ein Proton im Jet des riesigen Schwarzen Loches im Zentrum dieser Galaxien zu enormen Energien beschleunigt wurde. Das hochenergetische Proton knallt dann auf einen Atomkern der interstellaren Materie, woraufhin unter anderem extrem hochenergetische Neutrinos gebildet werden.

Der Ursprung eines solchen Neutrino-Ereignisses deutet sogar auf einen gewaltsamen Sternentod hin: Beim Vorbeiflug an einem Schwarzen Loch wurde ein Stern vollständig von diesem zerrissen und dann verschluckt. Dabei wurden neben elektromagnetischer Strahlung auch hochenergetische Neutrinos freigesetzt, von denen IceCube eines nachweisen konnte. Die elektromagnetische Komponente wurde unter anderem von Röngten- und Gammastrahlen-Detektoren aufgefangen. Anhand dieser Daten ließ sich das Ereignis rekonstruieren. Der gleichzeitige Nachweis hochenergetischer Neutrinos liefert den Wissenschaftlern wichtige Erkenntnisse, welche Prozesse in solchen extremen kosmischen Umgebungen am Werk sind.

„Da Neutrinos elektrisch neutral sind und fast gar nicht mit Materie wechselwirken, können sie aus riesigen Distanzen quer durch das Universum zu uns gelangen“, erklärt der Forscher. Geladene hochenergetische Teilchen wie Protonen oder Elektronen werden durch die intergalaktischen Magnetfelder abgelenkt. Ihr Ursprung lässt sich deshalb nicht einfach ermitteln. Nur ungeladene Teilchen wie Gammastrahlung oder Neutrinos fliegen auf direktem Weg von ihrer Quelle bis zu uns. „Aber sehr energiereiche Gammastrahlung wird über kosmische Distanzen absorbiert, so dass auf sehr großen Entfernungen nur Neutrinos als Botschafter der höchstenergetischen Prozesse übrigbleiben“, führt Kowalski aus.

Die exakte Bestimmung der Richtung, aus der die Neutrinos stammen, ist dennoch nicht einfach: Neutrinodetektoren erreichen bei weitem nicht die Winkelauflösung von optischen oder Radioteleskopen. Dennoch konnten mit den Aktiven Galaxienkernen bereits einige extragalaktische Quellen ausgemacht werden.

Kürzlich konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von IceCube auch die Neutrino-Emission unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, dingfest machen. „Wir haben hierzu ganz neue Methoden des maschinellen Lernens eingesetzt und damit rund 60.000 Neutrino-Ereignisse aus zehn Jahren Messzeit ausgewertet“, so Kowalski. Dabei zeigte sich ein Überschuss von Neutrinos aus der galaktischen Scheibe. Deren Ursprung liegt vermutlich in den Überresten von Supernovae oder in den Jets von stellaren Schwarzen Löchern, die Materie von einem Begleitstern abziehen und dabei einen Teil des einfallenden Gases in beinahe lichtschnellen Teilchenstrahlen ausstoßen.

Neutrinos aus der Milchstraße: Helle Bereiche symbolisieren Messungen mit hoher Signifikanz, dunkle solche mit geringer Signifikanz. Bild: Science Communication Lab für DESY/Milchstraßenpanorama: ESO/S. Brunier CC BY 4.0

Noch lassen sich in der Neutrino-Himmelskarte keine einzelnen Quellen innerhalb der Milchstraße ausmachen. Nur einige extragalaktische Quellen finden sich im Panorama. Doch das soll sich in Zukunft ändern. Einerseits werden mit längerer Beobachtungszeit die Winkelangaben schärfer werden. „Und andererseits wird IceCube noch ausgebaut werden“, sagt Kowalski. Im Zentrum der Anlage sollen neue, hochempfindliche Fotodetektoren dafür sorgen, dass IceCube mehr niederenergetische Neutrinos aufspüren kann. In einigen Jahren soll auch das instrumentierte Volumen im Eis deutlich erhöht werden und damit die Datenrate insgesamt um das Mehrfache steigen.


Das wird helfen, einige der Rätsel der Hochenergie-Astrophysik zu lösen. „Wir wissen noch nicht genau, wie die extrem energiereiche kosmische Strahlung entsteht“, gesteht Kowalski. So ist unter anderem nicht klar, wie etwa Protonen auf derart enorme Energien beschleunigt werden können, bevor sie durch Kernprozesse Neutrinos erzeugen. Es gibt einige plausible Modelle. Doch nur mit besseren Daten wird man die dahinterstehenden astrophysikalischen Prozesse besser eingrenzen können. „Man braucht etwas Geduld, bis sich die Neutrino-Himmelskarte aus jahrelangen Beobachtungsreihen Stück für Stück zusammensetzt“, schließt Kowalski. „Aber das Warten lohnt sich, denn das, was wir anhand der Neutrinos über den Kosmos lernen, kann uns kein anderer kosmischer Botschafter mitteilen.“

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