Antibiotika

Der Kampf gegen multiresistente Keime

HZI-Forschende im Chemielabor. Credit: HZI/Frank Bierstedt

Ein aktueller WHO-Report zeigt: Multiresistente Keime sind eine massive Bedrohung – doch die Forschung entwickelt neue Gegenstrategien.

Der Kampf gegen krankmachende Bakterien läuft seit Jahrzehnten nach dem gleichen Schema: Die Forschung bringt ein neues Antibiotikum auf den Markt, das mit neuen Ansätzen die Bakterien bekämpft. Am Anfang funktioniert das sehr gut, bis diejenigen Bakterienstämme übrigbleiben und sich vermehren, die durch Mutationen gegen das Antibiotikum widerstandsfähig geworden sind. Dann braucht es wieder neue Antibiotika...

Ein neuer Bericht der WHO zeigt nun, dass Antibiotika immer seltener wirken: Demnach war jede sechste laborbestätigte bakterielle Infektion weltweit 2023 resistent gegen Antibiotika Allein im Jahr 2021 sind nach WHO-Angaben weltweit 7,7 Millionen Menschen an einer bakteriellen Infektion gestorben, mehr als eine Million dieser Todesfälle seien direkt auf Antibiotikaresistenzen zurückzuführen gewesen, so ein weiteres Ergebnis des WHO-Berichts. In Deutschland sterben nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts fast 10.000 Menschen jährlich an einem resistenten Krankheitserreger.

Es wird also Zeit, dass die medizinische Forschung aufholt. Tatsächlich tut sich hier gerade in Deutschland einiges: Im Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken etwa arbeiten gleich mehrere Arbeitsgruppen daran, Substanzen zu entwickeln, die alle bekannten Resistenzmechanismen von Bakterien umgehen. „Dabei gibt es vor allem zwei zentrale Herangehensweisen: Entweder man versucht Naturstoffe zu finden, die eine entsprechende Wirkung gegen Bakterien haben. Oder man versucht im Labor Substanzen zu designen, die speziell gegen Bakterien wirksam sind“, sagt Rolf Müller, Geschäftsführende Direktor des HIPS in Saarbrücken, das wiederum ein Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig in Kooperation mit der Universität des Saarlandes ist.

Rolf Müller ist Geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und Professor für Pharmazeutische Biologie der Universität des Saarlandes. Bild: Oliver Dietze

In allen Bereichen hat die Antibiotikaforschung durch die Künstliche Intelligenz (KI) enorm an Fahrt gewonnen. KI kann heute Millionen genetischer Sequenzen, chemischer Strukturen und Laborbefunde in kürzester Zeit analysieren und so Muster erkennen. Dadurch lassen sich beispielsweise bei den Naturstoffen potenziell wirksame Substanzen viel schneller finden – ein entscheidender Vorteil, weil die Herstellung und Testung tausender Naturstoffe sonst Jahre dauern würde. So lernen KI-Modelle, welche molekularen Merkmale mit Resistenz oder Wirksamkeit verknüpft sind, und können so vorhersagen, welche Stoffe am ehesten gegen multiresistente Keime anschlagen. Damit beschleunigt die KI das Screening, reduziert Fehlschläge und hilft, Ressourcen gezielter einzusetzen.

Auch Müller und sein Forschungsteam arbeiten mit KI daran, Naturstoffe zu finden, die gegen Bakterien wirksam sind. Diese Natursubstanzen entstehen dort, wo Mikroorganismen in Konkurrenz stehen – zum Beispiel im Boden. Dort produzieren viele Bakterien und Pilze antibiotische Stoffe, um sich gegen andere durchzusetzen. Eine Grundlage für die Auffindung solcher neuen Antibiotika ist das Projekt MICROBELIX. Es ist zunächst pure Citizen Science: Freiwillige können Bodenproben aus möglichst vielen natürlichen Lebensräumen einsenden. Das HIPS prüft die gesammelten Proben mittels Metagenom-Analyse, um neue Bodenbakterien zu entdecken – mit dem Ziel, sowohl Hinweise zur Biodiversität im Boden als auch potenzielle neue Wirkstoffe gegen Infektionen zu finden. „Wir haben bereits weit mehr als 1000 Proben zugesendet bekommen und so dank ‚Mircobelix‘ einige vielversprechende Kandidaten gefunden, deren Wirkung wir nun in der vorklinischen Forschung erproben“, sagt Müller.

Einer klinischen Zulassung am nächsten ist die Substanz Corallopyronin A. Sie wirkt als Hemmstoff der bakteriellen DNA-abhängigen RNA-Polymerase (RNAP) – also gegen jenes Enzym, das bei Bakterien die Übersetzung von DNA zu RNA ermöglicht. Müller und sein Team entwickeln Corallopyronin A gemeinsam mit Bonner Forschenden vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). „Wir stehen mit Corallopyronin A zurzeit vor dem Eintritt in die klinische Forschung und sind sehr optimistisch, dass unsere Substanz die Hürden nehmen wird“, sagt Müller.

Im Myxobakterium Corallococcus coralloides wurde Corallopyronin A erstmals entdeckt. Bild: HZI

Vor einigen Jahren noch hätte sich angesichts der überzeugenden vorklinischen Studiendaten bereits ein Pharmaunternehmen eingeschaltet und von hier an die weiteren Entwicklungsschritte übernommen. Doch bislang können Müller und seine Forschungskolleginnen und -kollegen beim aktuellen Stand ihrer Substanzen kaum darauf hoffen, dass die Wirtschaft sich engagiert. Vor allem die großen Pharmaunternehmen ziehen sich zunehmend zurück aus der Antibiotikaforschung, weil das Feld als nicht mehr lukrativ angesehen wird. Das hat mehrere Gründe, unter anderem gelten die erzielten Preise als deutlich zu niedrig. Hinzu kommt, dass eine Infektion in der Regel innerhalb weniger Tage geheilt werden kann und damit nur eine begrenzte Medikamentengabe notwendig ist – ganz anders als Medikamente bei einer chronischen Krankheit wie Insulin bei Diabetes, das meist lebenslang verabreicht werden muss.

Dieses Problem wurde mittlerweile erkannt und man versucht auch von regulatorischer Seite gegenzusteuern: Es gibt von staatlichen Seiten mehrere Lösungsansätze. Das sogenannte Voucher-Modell etwa befindet sich gerade in der Erprobung. „Es besagt, dass die Industrie, wenn sie ein Antibiotikum entwickelt, dafür für ein anderes Medikament eine schnellere Zulassung beantragen kann“, sagt Mark Brönstrup, Leiter der Abteilung für Chemische Biologie am HZI in Braunschweig. Eine andere Variante ist das sogenannte Netflix-Modell: Die Unternehmen bekommen einen festgelegten Betrag dafür, dass sie ein Antibiotikum entwickeln und zur Verfügung stellen – egal, wie viel das Antibiotikum tatsächlich eingesetzt wird. „Es werden zurzeit viele Ideen diskutiert, um die Pharmaindustrie bei der Antibiotika-Forschung wieder ins Boot zu holen, aber der große Wurf steht noch aus“, sagt Brönstrup.

Immerhin gibt es vor allem kleinere Pharma- und Biotechunternehmen, die sich angesichts dieser Anreize sogar auf die Antibiotikaforschung spezialisieren. Doch bis hier nachhaltige Erfolge gefeiert werden und die großen Pharmariesen wieder aktiv mit einsteigen, dürfte es noch etwas dauern. Bis dahin lastet der Druck, neue Substanzen mit antibiotischer Wirkung zu finden, vor allem auf der akademischen Forschung.

Hier haben sich Forschungsprogramme im Rahmen von sogenannten Public Partnerships bewährt: Ist ein aussichtsreicher Kandidat identifiziert, gibt es Förderung von öffentlichen Institutionen oder Stiftungen, um die Entwicklung weiter voranzutreiben. So wird die Entwicklung von Corallopyronin A unter anderem mit 5,6 Millionen Euro vom japanischen Global Health Innovative Technology (GHIT) Fund gefördert.

Anna K. H. Hirsch ist Leiterin der Abteilung Wirkstoffdesign und Optimierung am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS). Bild: Oliver Dietze

Wenige Räume von Müllers Arbeitsgruppen entfernt wählt ein Forschungsteam um Anna Hirsch die zweite Herangehensweise an das Problem: „Wir haben nicht ein Molekül und schauen, was der Wirkmechanismus sein könnte, sondern wir haben eine biologische Zielstruktur und versuchen mit computergestützten und experimentellen Methoden ein Molekül zu designen und herzustellen, das passen könnte“, sagt Hirsch. Auch sie hat eine Reihe von Substanzklassen in der Entwicklung. Am weitesten vorangeschritten ist eine Substanzklasse, die gegen den Erreger Pseudomonas aeruginosa wirkt, einen weit verbreiteten Keim im Krankenhaus, der immer häufiger gegen die gängigen Antibiotika resistent ist.

Hirsch und ihr Team wählen zur Behandlung von Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa einen ungewöhnlichen Ansatz: Sie haben eine Substanzklasse entwickelt, die das Bakterium nicht auslöscht, sondern nur seine sogenannte Virulenz, also seine schädliche Wirkung auf den menschlichen Körper, eindämmt: Die entwickelte Substanzklasse hat ein Enzym von Pseudomonas aeruginosa im Visier, mit dem das Bakterium menschliches Gewebe aufbrechen und der Immunantwort eher entkommen kann. Elastase – in der Fachsprache auch häufig mit LasB abgekürzt – heißt das Molekül. „Wir hemmen dieses Protein, was wiederum dazu führt, dass sich Pseudomonas aeruginosa im Menschen nicht mehr verbreiten kann und das Immunsystem eingreift.“

Das ist gewissermaßen ein pazifistischer Ansatz: „Wir wollen das Bakterium selbst gar nicht zerstören, sondern nur entwaffnen, unschädlich machen, so dass es nicht weiter stört und vom Immunsystem schließlich beseitigt werden kann“, erklärt Hirsch.

Der große Vorteil dieser Methode: Resistenzen dürften sich deutlich langsamer entwickeln. Denn zu Resistenzen kommt es deshalb, weil bestimmte Bakterienstämme von einem Antibiotikum abgetötet werden – nur diejenigen nicht, die derart mutiert sind, dass für sie das Antibiotikum nicht mehr schädlich ist. Wenn die Bakterienstämme aber ohnehin nicht beseitigt werden, dann sinkt der Druck zur Entwicklung einer Resistenz.

Neben der Suche nach Natursubstanzen und dem Designen neuer Wirkstoffe – beides wird weltweit an einigen Standorten vor allem der akademischen Forschung derzeit vorangetrieben – gibt es auch andere, kleinere Zweige der antibiotischen Forschung, die ebenfalls neue Wege hervorbringen könnten, um multiresistente Keime zu besiegen. Dazu zählt etwa die Bakteriophagen-Forschung, die in Deutschland unter anderem am DZIF und auch am HZI betrieben wird: Vereinfacht gesagt geht es darum, Bakterien-Viren zu entdecken, die speziell gegen multiresistente Keime gerichtet sind. Andere Forscherteams versuchen, mit leichten Anpassungen bestehende Antibiotika wie Penicillin wieder gegen multiresistente Keime wirksam zu machen.

In allen Bereichen hat der Einsatz Künstlicher Intelligenz die Forschung deutlich beschleunigt. „Dank KI können wir deutlich früher und mit weniger Experimenten abschätzen, wie aussichtsreich ein Wirkstoffkandidat tatsächlich ist. Auf diese Weise sparen wir Ressourcen ein, die wir wiederum gezielt bei den aussichtsreichsten Substanzen einsetzen können“, sagt Müller.

Dank dieser Entwicklungen kommt in Sachen multiresistenter Keime also langsam wieder Schwung  – zu Gunsten der Medikamente. Eine gute Nachricht. Die allerdings, das zeigt der neue Report der WHO, auch dringend gebraucht wird und genau zur richtigen Zeit kommt.

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