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Porträt

Mit KI zum „super expert doctor“

Narges Ahmidi leitet das Team ‚Machine Learning for Optimization of Patient Treatment’ am Institute for Computational Biology (ICB) des HMGU (Bild: Ahmidi).

Die Ingenieurin und Informatikerin Narges Ahmidi musste einige Hürden überwinden, seit sie in ihrer iranischen Heimat ein wissenschaftliches Studium begann. Heute arbeitet sie in München daran, mit künstlicher Intelligenz (KI) medizinische Entscheidungen zu optimieren. 

Die erste Herausforderung während ihres Studiums war es, an einen Computer zu kommen. Narges Ahmidi schüttelt den Kopf, wenn sie an diese Zeit zurückdenkt: „In Teheran war es damals nicht ganz einfach, als Frau allein in der Stadt unterwegs zu sein oder den gleichen Zugang zu Bildung zu haben wie meine männlichen Bekannten“, sagt sie. Und dann studierte sie auch noch „Computer Engineering“ und „Artificial Intelligence“; zwei Fächer also, in denen sie als Frau nochmals stärker aufgefallen ist. „Meine Familie hat mich immer sehr unterstützt“, sagt Narges Ahmidi im Rückblick und fügt an: „Was alle anderen für das Beste für mich hielten, hat mich nie interessiert.“

Dieser Kampfgeist ist etwas, das sich wie ein roter Faden durch das Leben von Narges Ahmidi zieht. Heute wohnt die 42-Jährige mit ihrer Familie rund 4.000 Kilometer westlich von Teheran in einem Haus vor den Toren Münchens. Am Institute for Computational Biology (ICB) des Helmholtz Zentrums München – Deutsches Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit leitet sie ein Forschungsteam, das die Vorteile des maschinellen Lernens auf die Patientenbehandlung anwenden will – ein Thema, auf das sie sich während eines langen Aufenthalts in den USA spezialisiert hatte. Auf ihrem Feld gehört sie zu den Pionierinnen, noch im Iran wurde sie mit hochkarätigen Wissenschaftspreisen wie dem „Iranian Presidential Award of Young Scientists“ ausgezeichnet.

Während ihrer Karriere trotzte sie immer wieder aufkommenden Widrigkeiten, denen Frauen in der Wissenschaft begegnen: „Manchmal gibt es größere Hindernisse wie sexuelle Belästigung im Büro oder auf Kongressen – wie beim bekannten Beispiel der weltgrößten Konferenz für Künstliche Intelligenz NIPS, bei der es anzügliche Witze wegen des Konferenznamens gab“, sagt Narges Ahmidi. Die Konferenz wurde dann auf öffentlichen Druck hin umbenannt in NeurIPS. Meistens aber seien Wissenschaftlerinnen Mikroaggressionen, Schikanen oder Diskriminierungen ausgesetzt, die schwieriger zu dokumentieren und zu beweisen sind als etwa Nötigungen. „Manchmal sind wir uns als Frauen der Diskriminierung gar nicht bewusst und nehmen an, es sei ganz normal, so behandelt zu werden“, konstatiert Narges Ahmidi.

„Chancengleichheit entsteht, wenn wir selbst wichtige Rollen in der Gesellschaft einnehmen.“

Bild: Helmholtz Zentrum München

Zusätzlich ist ein soziales Stigma mit jungen, berufstätigen Müttern assoziiert: Manchmal werde sie schief angeschaut, wenn sie oder ihr Ehemann ihre beiden Töchter erst später von der Betreuung abholen. „Es gibt Leute, die der Meinung sind, dass ich als Mutter mein Leben anders führen sollte“, sagt sie. Und ganz trocken ergänzt sie: „Aber ich weiß, dass sie falsch liegen. Chancengleichheit für Frauen – und für unsere Töchter – entsteht nicht von selbst, wenn wir nicht wichtige Rollen in der Gesellschaft einnehmen.“

Medizinische Behandlung mit künstlicher Intelligenz verbessern

Narges Ahmidi ist es gewohnt, Gas zu geben. Sie will etwas erreichen mit ihrer Forschung, und diesen Ehrgeiz versteckt sie nicht. „Ich bin sehr karriereorientiert“, sagt sie über sich selbst, und wenn sie über ihre Arbeit spricht, hört man ihr die gewaltige Aufbruchsstimmung an, die im Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung herrscht. „Es hat sich unglaublich viel getan in den vergangenen fünf Jahren“, sagt sie.

Mit ihrem Team arbeitet sie mit Patientendaten, um die Behandlung zu verbessern: „Stellen Sie sich junge Ärzte vor. Sie lernen ihr Handwerk am besten, wenn sie erfahrenen Kollegen über die Schulter schauen.“ Dieses intuitive Wissen von hochspezialisierten Profis will sie in eine Datenbank übertragen, die mit Daten von Krankenhäusern aus aller Welt gefüttert wird. Der Computer werde so zu etwas, was sie auf Englisch den „super expert doctor“ nennt. Das werde besonders wertvoll, wenn Standardabläufe bei der Behandlung nicht greifen. „Bei Herzoperationen zum Beispiel wird den Patienten oft ein Medikament gegeben, das die Bildung von Blutgerinnseln verhindert“, sagt Narges Ahmidi. Bei den meisten Patienten funktioniert es genau nach Plan – „aber dann gibt es immer wenige Menschen, deren Körper ganz anders darauf reagiert, bei manchen bilden sich sogar durch das Medikament Blutgerinnsel.“ Mit künstlicher Intelligenz, so ist ihr Ansatz, könnte sich eines Tages allein schon aufgrund der Angaben zum Patienten und seinen Vorerkrankungen herausfiltern lassen, wer mit großer Wahrscheinlichkeit falsch auf die Medikamente ansprechen wird – und zwar rechtzeitig, noch vor der Operation. Solche Beispiele, fügt sie hinzu, gebe es in allen medizinischen Bereichen.

IT-Expertin in der medizinischen Forschung 

„Ich bin stolz darauf, dass wir mit unserer Arbeit sehr nah an der klinischen Anwendung sind“, sagt Narges Ahmidi. Genau so ist sie am Anfang ihrer Karriere auch von der IT-Expertin in den medizinischen Bereich gekommen: Sie machte sich auf den langen Weg von Teheran zur Johns-Hopkins-Universität in der US-Stadt Baltimore – einer Hochschule, die insbesondere für ihre medizinische Forschung berühmt ist und an der sie bis heute eine Arbeitsgruppe leitet. „Da hatte ich einen Professor, der mich sehr inspiriert hat“, erinnert sich Ahmidi, und so spezialisierte sie sich wie auch ihr Mentor auf die Arbeit mit Daten zur Gesundheit. Und auch das liege in ihrer Familie, sagt sie schmunzelnd: Es gebe Ingenieure in ihrer Familie, aber ihr älterer Bruder sei Arzt. Sie ist jetzt diejenige, die beide Stränge verbindet.

Mut statt Bequemlichkeit

Wenn sie darüber erzählt, tut sie das am liebsten auf Englisch. „Mein Deutsch wird immer noch besser“, sagt sie dann. Und wechselt dann doch ins Deutsche, wenn sie über ihr Leben in München spricht. Drei Stichworte fallen ihr da gleich ein, sagt sie strahlend: „Radfahren, Museen, Biergärten.“ Diese Münchner Lebens- und Ausbildungsqualität war für sie ein entscheidender Faktor, vor drei Jahren nach Bayern zu ziehen. „Mein deutscher Mann wollte unserer Familie auch Deutschland zeigen, nachdem wir gemeinsam zehn Jahre in den USA gelebt haben“, sagt sie.

„Ich bin stolz darauf, dass wir mit unserer Arbeit sehr nah an der klinischen Anwendung sind.“

Eine Vorstellung von den Herausforderungen hatte sie noch nicht, als die Entscheidung für den Umzug fiel. Sie machte es so, wie es sich in ihrer Karriere immer wieder bewährt hat: Sie krempelte die Ärmel hoch und legte einfach los. Angst vor Widerständen oder Rückschlägen hat sie schon lange nicht mehr. Das hat sich auch in ihrem kämpferischen Motto niedergeschlagen, das sie über ihre Arbeit stellt: „Sei tapfer im Leben! Wenn wir uns für Mut statt für Bequemlichkeit entscheiden, können wir etwas bewegen.“

Career Talk „Women in Data Science”

Narges Ahmidi ist eine der Wissenschaftlerinnen, die am 14. April beim Career Talk „How to become a Data Scientist? Career paths of women in Data Science” spricht. Helmholtz organisiert die digitale Veranstaltung als Pre-Event im Vorfeld des Gender Summit.

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