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Kommentar

Jammern auf hohem Niveau?

Hauke Harms ist Leiter des Departments Umweltmikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig.

Wie steht es wirklich um die Forschungsbedingungen in Deutschland?

Ein Kommentar von Hauke Harms

Ein Forschungsumfeld ist gut, wenn sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihrem ganzen kreativen Potenzial einbringen können, wenn ihre Erkenntnisse nutzbar werden – und wenn das alles für sie selbst mit einer sicheren Lebensperspektive verbunden ist. Die finanzielle Ausstattung des Forschungsstandorts spielt dabei eine entscheidende Rolle. Schließlich muss Forschung bezahlt werden. In den meisten OECD-Ländern dürfte das der Fall sein. Die Forschungsmittel sollten ausreichen, um wissenschaftliche Fortschritte zu ermöglichen, Fortschritte, die der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Weiterentwicklung unserer Welt nützen.

Alles gut also in unserer Wissenschaftswelt? Ein Wissenschaftssystem wie das unsere kann nur erfolgreich sein, wenn es auch die von den Forschenden mitgebrachte Motivation ein Forscherleben lang aufrechterhält – und darum ist mehr nötig als Geld. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, individuelle Sinnerfüllung dauerhaft mit den gesellschaftlichen Zielen der Forschung zu vereinbaren. Die Crux liegt in der Vielfältigkeit der Motivationslagen. Was Forschende neben dem Bedürfnis nach materieller Sicherheit antreibt, ist Neugier, Gestaltungswille, Ehrgeiz, der Wunsch nach einem Ausleben von Kreativität.

Ich behaupte, dass das deutsche Wissenschaftssystem diesen vielfältigen Motivationslagen gut gerecht werden kann. Die Bandbreite der Missionen der großen Forschungsorganisationen, der Universitäten, der Ressortforschungseinrichtungen und der privatwirtschaftlichen Forschung ist so groß, dass für jede und jeden das Passende dabei sein kann und sich interessante Karrierepfade entdecken lassen, sofern die Forschung an sich die richtige Berufswahl war.

Hauke Harms ist Leiter des Departments Umweltmikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig.

Die Forschungsbedingungen in Deutschland sind herausragend. Wir haben eine vielfältige, freie Wissenschaftslandschaft. Forschung genießt wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch einen hohen Stellenwert, denn wir alle wissen, dass unser Wohlstand wesentlich darauf beruht. Warum gibt es dann so viel Wehklagen in der deutschen Wissenschaft? Es ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Nicht für jede und jeden kann es eine dauerhafte Perspektive im Wissenschaftssystem geben. So manche Karriere endet in einer späten Lebensphase. Wirtschaftliche Sicherheit gibt es oft nur für eine kurze Zeit. Noch viel deutlicher und rechtzeitiger brauchen deshalb diejenigen Alternativen, die keine Zukunft in der Wissenschaft haben, also einen anderen Karrierepfad einschlagen müssen. Und diejenigen, die im System eine Zukunft haben, brauchen noch viel mehr Orientierungshilfe.

Schon die Stellenausschreibungen, mit denen wissenschaftlicher Nachwuchs gesucht wird, machen die Vielfältigkeit der Forschungslandschaft nicht ausreichend sichtbar. Es ist fast unmöglich, anonymisierte Anforderungsprofile so unterschiedlichen Arbeitgebern wie Max-Planck-Instituten, Fraunhofer-Instituten oder Helmholtz-Zentren zuzuordnen. In der Vermittlung unserer Missionen und der Bedingungen, unter denen diese erfüllt werden, können wir also noch besser werden.

Damit würden wir den Forschenden ebenso helfen wie den wissenschaftlich Qualifizierten, die in der Verwaltung oder Wirtschaft eine Perspektive haben. Sie könnten leichter den für sie besten Weg einschlagen – und selbst mehr Verantwortung tragen. Denn Jammern resultiert oft aus dem Gefühl der Fremdbestimmtheit. Dem lässt sich durch die rechtzeitige und klare Artikulation der Anforderungen und Beschränkungen wissenschaftlicher Laufbahnen am besten beikommen. 

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