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Theater trifft Wissenschaft

Vorhang auf für Fake News

Theater trifft Wissenschaft am Sonntag, 7. April 2019 im Berliner Ensemble. Bild: Moritz Haase

In der Kooperationsreihe des Berliner Ensembles mit Helmholtz fand am Sonntag ein Thementag zu Wissenschaft zwischen Misstrauen und Verantwortung statt. Dabei ging es um den Klimawandel, Künstliche Intelligenz und die Frage, was der Mensch von winzigen Würmern lernen kann.

Mails von Wutbürgern bekommt Antje Boetius nahezu täglich. Dass deren Inhalte nicht immer sachlich und auch nicht immer freundlich sind, kann man sich gut vorstellen. Die Wissenschaftlerin ist auf einem Feld tätig, das polarisiert: Die Ergebnisse ihrer Forschung und die ihrer Kollegen belegen den massiven Klimawandel, den wir derzeit erleben, das Abschmelzen des Polareises, der Gletscher, den Anstieg des Meeresspiegels. Und damit kratzen sie an der heutigen Aufstellung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse; an den Grundlagen unserer Wirtschaft und unseres Wohlstands, an unseren ethischen Grundsätzen.

So erging es Wissenschaftlern in den vergangenen Jahrhunderten schon oft. Allein das 20. Jahrhundert ist voller Anfeindungen, sagt Hans-Jörg Rheinberger. Der Wissenschaftshistoriker und ehemalige Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin nahm am Sonntag, 7. April 2019 gemeinsam mit Antje Boetius an einem Podiumsgespräch zu „Wissenschaft als Fake News“ im Berliner Ensemble teil. Dieses Gespräch wiederum war Teil eines ganzen Nachmittags voller Diskussionen, Workshops und Science Slams zum Thema Wissenschaft zwischen Misstrauen und Verantwortung.

Was fängt die Gesellschaft mit Forschungsergebnissen an?

Die Frage, woher der Widerstand gegen wissenschaftliche Erkenntnisse kommt, war da bei weitem nicht die einzige, über die das Publikum mit den Diskutanten sprechen wollte. Wie können wir etwas ändern? Wer ist in der Verantwortung? Und woher kommt der Vertrauensverlust in die Wissenschaft? Das waren einige der Fragen, denen sich die Helmholtz-Forscherin und der Max-Planck-Forscher stellen mussten. „Wissenschaft bietet ein Portfolio an Möglichkeiten, sie spricht Probleme klar an“, sagte Boetius, die Meeresbiologin und Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. „Wir wissen, dass sich die Erderwärmung physikalisch aus dem Anstieg des Kohlendioxidausstoßes ableiten lässt. Wissenschaft bringt diese Erkenntnisse in die Gesellschaft. Doch was sich davon durchsetzt, welche Erkenntnisse umgesetzt werden, entscheidet sie nicht.“ Wer ist dann aber in der Pflicht?, wollte das Publikum wissen.

„Die Kunst“, rief Boetius augenzwinkernd dem Ensemble-Dramaturgen Frank Raddatz zu, der das Gespräch gemeinsam mit Andreas Kosmider von der Helmholtz-Gemeinschaft moderierte. Aber das war natürlich nur eine Teil-Antwort. Viele gesellschaftliche Akteure sind in der Pflicht: neben der Wissenschaft und der Kunst auch die Politik, jeder einzelne Bürger, lautete das Fazit der Runde. Und dennoch blieb ein Unbehagen: „Wir sehen all diese Veränderungen und das Leid, wir sehen es in den Nachrichten, in Talkshows. Wir leben auf Kosten unserer Kinder, aber das macht nichts mit uns“, resümierte Boetius. „Kommt diese Nachricht wirklich bei uns an?“

Science Slam bei Theater trifft Wissenschaft. Bild: Moritz Haase

Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch den Nachmittag. Sechs junge Nachwuchswissenschaftler versuchten auf unterhaltsame Art eine Antwort zu geben. Beim Science Slam ging es darum, dass sie dem Publikum ihr Forschungsfeld in sieben Minuten möglichst unterhaltsam präsentierten. Und so erfuhren die Gäste, wie Elementarteilchen entdeckt werden, wie sich Mathematik mit Hilfe einer Ukulele vertexten lässt oder was die Erfindung der Pizza mit der Erfindung verbesserter Solarzellen auf sich hat. Der Sieger des Slams hieß Andreas Ofenbauer. Er erklärte, was wir über die Identität unserer Zellen von winzigen Würmern lernen können.

Die Verantwortung der Algorithmen-Programmierung

Fluch und Segen der Künstlichen Intelligenz war das Thema eines Talks zwischen dem Bioinformatiker Uwe Ohler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und Frank Rieger, einem Kryptologen, Buchautoren, Internet-Aktivisten und Sprecher des Chaos Computer Clubs. Wird uns Wissenschaft auf diesem Gebiet weiterbringen oder bringt sie die Menschheit an den Abgrund? Es sind nicht die Maschinen, die entscheiden, was passiert. Es sind die Menschen, die diese Maschinen programmieren, sagte Frank Rieger. Je weiter die Technik voranschreite, desto größer werde die Macht-Asymmetrie. „Immer weniger Menschen haben dann die Macht, darüber zu entscheiden, wie Maschinen mit anderen Menschen umgehen.“ Gleichzeitig biete Künstliche Intelligenz wunderbare Möglichkeiten der Datenauswertung etwa in der Medizin, sagte Ohler. Wenn wir sie zum Wohle der Gesellschaft einsetzen, könnten wir damit enorme Fortschritte erzielen.

In diesem Spannungsfeld forschte einst auch Galileo Galilei. Viele Entdeckungen des italienischen Universalgelehrten waren im 17. Jahrhundert zu bahnbrechend. Seine wissenschaftlich begründeten Zweifel am Weltbild der katholischen Kirche musste er in der Inquisition zurücknehmen. Zum Abschluss des Wissenschaftstags am Berliner Ensemble wurde die Inszenierung von „Galileo Galilei – Das Theater und die Pest“ in der Inszenierung von Frank Castorf aufgeführt. Ein eindrucksvoller Abschluss eines Tages, den sich viele Gäste in dieser Form bald wieder wünschten.

„Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ heißt es im Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes, das vor 70 Jahren in Kraft trat. Die deutsche Wissenschaft nimmt den Jahrestag zum Anlass, über Chancen, Verantwortung und Gefährdungen dieser Freiheit zu debattieren. In einer Reihe von Veranstaltungen, Reden, Debatten und Meinungsbeiträgen will sie für die unabhängige Arbeitsweise von Forschung und Lehre werben, sich kritisch mit dem eigenen System auseinandersetzen und weltweite Gefahren für die Wissenschaftsfreiheit anmahnen. 

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