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Standpunkte

Lässt sich der Wert der Natur in Euro messen?

Illustration: Jindrich Novotny

Lassen sich Umweltgüter wie Auen, die vor Überschwemmungen schützen, in Geldwerte umrechnen? Ist das Erfassen von Naturleistungen vielleicht sogar eine gesellschaftliche Aufgabe? Oder sollten wir erst in die in die Natur eingreifen, wenn die Folgen absehbar sind? Zwei Blickwinkel

„Wir sollten wissen, welche ökonomischen Leistungen die Natur erbringt – und welcher Schaden entsteht, wenn sie wegfallen", sagt Bernd Hansjürgens, Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig

Die vielfältigen Leistungen der Natur zu erfassen, ihren Wert für den Menschen - seine Gesundheit und sein Wohlbefinden - aufzuzeigen und in Entscheidungen zu integrieren, sei daher eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe, sagt Bernd Hansjürgens, Studienleiter des Vorhabens "Naturkapital Deutschland - TEEB DE". Illustration: Jindrich Novotny

Die Natur spielt bei den meisten unserer Entscheidungen keine Rolle. Wir berücksichtigen sie allenfalls, wenn es um unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln, Holz oder Trinkwasser geht - oder wenn wir uns an ihrer Schönheit erfreuen. Dass die Natur aber weitere zentrale Leistungen erbringt, übersehen wir allzu oft: Flächen werden für Industrie oder Siedlungen freigegeben, ohne dass die Wirkungen auf das Mikroklima, den Wasserhaushalt oder die biologische Vielfalt berücksichtigt werden. Dass Auen vor Überschwemmungen schützen können, registrieren wir erst, wenn unsere Keller wieder einmal unter Wasser stehen. Und dass eine Stadt ohne Grün auch einen Verlust von Wohlbefinden und Lebensqualität bedeutet, merken wir dann, wenn es im Sommer unerträglich heiß wird und wir uns kaum noch draußen bewegen können.

Die vielfältigen Leistungen der Natur zu erfassen, ihren Wert für den Menschen - seine Gesundheit und sein Wohlbefinden - aufzuzeigen und in Entscheidungen zu integrieren, ist daher eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. Eine ökonomische Betrachtung kann da sehr hilfreich sein. Es geht dabei nicht um Monetarisierung, darum, Bäumen und Tieren Preisschilder aufzudrücken; das ist zweitrangig. Viel wichtiger ist es, eine Übersicht zu bekommen: Welche Leistungen erbringt die Natur? Wer profitiert von ihnen in welcher Form? Und was passiert, wenn die Leistungen verloren gehen? Dafür braucht man eine ökonomische Bewertung, eine sachliche Kosten-Nutzen-Analyse. Durch sie werden bessere Entscheidungen möglich.

Diese Sicht verfolgt auch die internationale TEEB-Studie „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“. Zahlreiche Beispiele in dieser Studie zeigen: Der Schutz der Natur lohnt sich auch ökonomisch. Allein dafür ist es wichtig, dass eine wirtschaftliche Bewertung von Naturgütern überhaupt stattfindet - einfach, damit der Nutzen des Schutzes nachweis- und belegbar ist. In Deutschland haben wir dies bereits für Moorgebiete, artenreiches Grünland oder die Wirkungen des urbanen Grüns auf Gesundheit und Wohlbefinden aufgezeigt. Als Studienleiter des deutschen Vorhabens „Naturkapital Deutschland - TEEB DE“ versuche ich mit meinem Team, weitere Beispiele zu finden, die zeigen: Eine volkswirtschaftliche Perspektive hilft dabei, die Umwelt zu bewahren.?


„Besser keinen Wert für Umweltgüter angeben, als einen, der in die Irre führt“, sagt Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld

Statt einer Monetarisierung von Umweltgütern ziehe er eine konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips vor, meint Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier. Illustration: Jindrich Novotny

Kann man Nutzen und Kosten von Natur­gütern beziffern? Kann man beispielsweise sagen, was das Verschwinden einer hiesigen Bienenart die Menschheit kosten würde? Ich meine: Nein. Ein solches Verschwinden – zum Beispiel durch ein Pestizid – betrifft auch die Lebensgrundlagen eines nordafrikanischen Kleinbauern, da seine Anbauflächen im Verbreitungs­gebiet der westlichen Honigbiene liegen. Er müsste befragt werden, wollte man einen Markt für Umweltgüter simulieren. Ist dabei seine Einschätzung weniger wert als die seines mitteleuropäischen Kollegen, nur weil er in einem simulierten Markt weniger Geld aufbringen könnte? Solche Verteilungsfragen fallen bei Umweltbewertungen gerne unter den Tisch. Eigentlich müssten sogar alle Menschen gehört werden, selbst wenn sie nicht unmittelbar betroffen sind – schließlich könnten auch sie sich an den Folgen stören und das Verschwinden der Bienenart in einer Kosten-Nutzen-Abwägung auf der Verlustseite einordnen. Eine solche Befragung ist schlicht unmöglich. Und ob jeder Beteiligte wohl die Höhe des möglichen Schadens in einer Zahl ausdrücken könnte? Was ist mit künftigen Generationen, die ebenfalls betroffen wären? Und wie sollte all das in einem einzigen monetären Wert zusammengefasst werden?
Um ein anderes Beispiel zu nennen: Eine neue Start- und Landebahn an einem Flughafen führt zu mehr Lärm, möglicherweise eröffnen sich aber auch Nischen für seltene Arten, die sich vorher dort nicht ansiedeln konnten. Der Lärm erzeugt Gesundheitsschäden bei Anwohnern und zugleich neue Arbeitsplätze in der Region. Wie sollte man all das messen, bewerten und gegeneinander aufwiegen?

Statt einer Monetarisierung von Umweltgütern ziehe ich eine konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips vor: In ein System sollte nur eingegriffen werden, wenn man die Folgen absehen kann – was zum Beispiel beim Einsatz von Gentechnik noch nicht der Fall ist. Ist die Umwelt betroffen, so müssen Grenzen gesetzt werden, die sich an außerökonomischen, naturwissenschaftlichen Kriterien orientieren. Hierfür braucht man aber keine Umweltbewertung. Hilfreich sind stattdessen Umweltindikatoren – etwa die Entwicklung der Gewässerqualität. Ergänzt werden können diese durch monetäre Indikatoren, wenn sie geeignet sind – wie die Kosten, die anfallen würden, wenn man sich für weniger umweltschädigende Maßnahmen entscheiden würde. Dominieren dürfen diese Indikatoren aber nicht.

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