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Open Science

Alles kostenlos für alle?

Illustration: Jindrich Novotny

Open Science ist eine Verheißung: Alles, was Wissenschaftler veröffentlichen, soll jedem ohne Bezahlung zur Verfügung stehen. Und noch mehr als das: Wissenschaftler sollen alle ihre Forschungsdaten offenlegen. Kann das wirklich funktionieren? Und ist das fair? Zwei Blickwinkel

„Schon die Bezeichnung Open Access, die freien Zugang suggeriert, ist streng genommen eine Irreführung“, sagt Wolfram Koch, Geschäftsführer der Gesellschaft Deutscher Chemiker.
Wissenschaft so zu gestalten, dass alle Interessierten möglichst barrierefrei daran teilhaben können, ist ein anerkanntes wissenschafts- und gesellschaftspolitisches Ziel. Allerdings gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie dieses Ziel so erreicht werden kann, dass auch die Wissen¬schaft Fortschritte macht. Prominentestes Beispiel in dieser Diskussion ist Open Access und dort insbesondere der „goldene Weg“ – das ist der für den Leser kostenlose Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln in einer Open-Access-Zeitschrift. Schon die Bezeichnung Open Access, die freien Zugang suggeriert, ist streng genommen eine Irreführung. Die Gebührenschranke verschwindet ja nicht. Sie wird lediglich vom Leser zum Autor verschoben, der durch Publikationsgebühren – die sogenannte Article Processing Charge – die Veröffentlichung bezahlt. Die potenziellen Auswirkungen dieser Autorenschranke auf die Wissenschaft sind noch nicht abschließend diskutiert. Sie könnten aber unliebsame Folgen haben: Während im herkömmlichen Modell ein wissenschaftliches Ergebnis im Extremfall nicht von jedem rezipiert werden kann, weil der Zugang zur Publikation kostenpflichtig ist, kann dieses Ergebnis im goldenen Open Access erst gar nicht publiziert werden und wird so dem wissenschaftlichen Diskurs ganz entzogen.

Wolfram Koch ist Geschäftsführer der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Illustration: Jindrich Novotny

Open Data, also das Zugänglichmachen von Forschungsdaten, ist ein zweites Beispiel für Open Science. Es wird weniger kontrovers diskutiert; nicht zuletzt deshalb, weil seine unmittelbaren ökonomischen Auswirkungen geringer sind. Zudem wird Open Data bereits an vielen Stellen praktiziert, etwa durch das meist kostenfrei verfügbare Zusatzmaterial in Publikationen. Die Vorteile des offenen Zugangs zu Forschungsdaten sind unumstritten: Sie reichen von der Validierung der publizierten Forschungsresultate bis hin zur Verwendung der Daten in anderen Forschungskontexten. Doch sollte die Freiheit des Wissenschaftlers nicht ausgehebelt werden, über die Verwendung seiner Daten selbst zu entscheiden. Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine entsprechende Infrastruktur nötig ist, wenn Forschungsdaten vermehrt dokumentiert werden sollen. Die Daten sollen schließlich auffindbar und langfristig verfügbar sein, und das gibt es nicht umsonst. Zusätzliche Mittel müssen also bereitgestellt werden: There ain’t no such thing as a free lunch!

„Forschungsdaten werden durch den Einsatz von Steuergeldern gewonnen und sollten daher der Gemeinschaft zur Verfügung stehen“, sagt Doris Wedlich, Mitglied des Wissenschaftsrats und Professorin am Karlsruher Institut für Technologie
Schon seit Jahren ist Open Access, also der kostenfreie Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen, eine zentrale Forderung an Verlage. Bei dem verwandten Begriff Open Science geht es um deutlich mehr: Er meint, dass auch die Forschungsdaten, die die Grundlage von Publikationen bilden, allen zugänglich sein sollen. Im weitesten Sinn schließt Open Science sogar Bürgerbeteiligung, also Citizen Science, ein. So helfen Hobbyforscher in zahlreichen Projekten bei der Erhebung von Umweltdaten. Zusammen mit dem technologischen Fortschritt führen solche neuen Ansätze vor allem zu einer extremen Zunahme von Forschungsdaten. Gewonnen werden sie durch den Einsatz von Steuergeldern. Eine logische Konsequenz wäre also, dass sie der Gemeinschaft, und nicht nur Einzelnen, zur Verfügung stehen. Ermöglicht man zudem eine effiziente Nutzung der Daten auch in anderen wissenschaftlichen Kontexten, würden ihre Entstehungskosten auf mehrere Schultern verteilt – und umso lohnender wäre der Einsatz der Steuergelder.

Doris Wedlich ist Mitglied des Wissenschaftsrats und Professorin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Illustration: Jindrich Novotny

Komplexe gesellschaftliche Fragenstellungen sind ein weiteres Argument dafür, einmal erhobene Forschungsdaten allgemein zugänglich zu machen. An ihrer Lösung kann nur disziplinübergreifend unter Auswertung großer Datenmengen gearbeitet werden. So lässt sich die Frage nach der Auswirkung des Klimawandels auf die Verfügbarkeit von Nährstoffen und nachwachsenden Rohstoffen nur beantworten, wenn man vorhandene und neu erhobene Daten durchforstet und miteinander in Beziehung setzt. Selbst der einzelne Wissenschaftler profitiert davon, dass vorhandene Daten verfügbar gemacht werden, weil er dadurch eine schnellere und umfassendere Analyse im eigenen Forschungsprojekt vornehmen kann.

Einmal erhobene Forschungsdaten sind also äußerst wertvoll, sofern sie klar definiert und standardisiert abgelegt sind und ihre Validität geprüft ist. Dazu braucht es internationale Abstimmungen oder Regelwerke, auch mit Blick auf den Datenschutz. Ist das der Fall, können sie ökonomisch zur Wertschöpfung beitragen: Sie fördern innovative Geschäftsideen und schaffen Arbeitsplätze. Im Gesundheitsbereich, der Logistik oder der Energieversorgung sind viele neue Dienstleistungsfirmen entstanden, die Daten wiederverwenden und neu kombinieren. Hätten Sie gewusst, dass der Datenaustausch zwischen Wissenschaft, staatlichen und privaten Unternehmen inzwischen mit einem wirtschaftlichen Gewinn von drei Billionen US-Dollar pro Jahr kalkuliert wird?

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