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Sibylle Anderl über Kunst und Wissenschaft

Bild: Sibylle Anderl (privat)

Hermann von Helmholtz war leidenschaftlicher Pianist und brachte Kunst und Wissenschaft in seiner Forschung immer wieder zusammen. Seine Schriften dazu waren bahnbrechend und gelten bis heute als Standardwerke. Wir sprachen mit Sibylle Anderl über Universalgelehrte wie Hermann von Helmholtz, die Kunst und Wissenschaft noch in sich vereinigen konnten, und das Verhältnis dieser Disziplinen heute.

Sibylle Anderl ist Wissenschaftsjournalistin der FAZ mit einem besonderen Faible für die Kunst. Die studierte Philosophin und promovierte Astrophysikerin entstammt einem Künstlerhaushalt und stand nach eigenem Bekunden selbst kurz davor, sich für ein Kunststudium zu bewerben. Für ihr Projekt WissensARTen hat sie unlängst Akteure aus Kunst und Wissenschaft zusammengeführt.

Liebe Frau Anderl, zunächst bitte die einleitende Frage: Was ist Kunst, was ist Wissenschaft?

(Lacht.) Das ist als Einleitungsfrage gleich eine, die aus zwei komplexen Doppelfragen besteht, die selbst wiederum ganze philosophische Unterdisziplinen und Fragestellungen begründen. Insofern könnte man mit der Antwort vermutlich viele Wochen Interview-Zeit verbringen. Es gibt viele Teilantworten auf die Frage: Was ist "Kunst", was ist "Wissenschaft", die vermutlich vor allem zeigen, dass beide Bereiche recht vielfältig sind, sodass es schwerfällt, einen einfachen inhaltlich-definitorischen Ansatz zu finden. Es fällt also schwer, das Wesen von Kunst und Wissenschaft auf einen einfachen, knackigen Definitionssatz zu bringen.

Wenn man auf die Ästhetik der Bildenden Kunst schaut, also wie Kunst im Laufe der Zeit durchexerziert wurde, dann sieht man: Es gab diese lang zurückreichende Tradition, sie über ihren ›abbildenden Charakter‹ zu definieren, sprich anhand der Fähigkeit der Künstler, etwas in der Welt zu repräsentieren. Wenn man allerdings auf die Musik schaut, dann lässt sich sofort erahnen, dass es hier wiederum sehr viele Gegenbeispiele gibt, die nicht nach diesem Schema funktionieren (ausgenommen vielleicht die Programm-Musik). Denn in der Musik geht es offenbar eher darum, etwas zum Ausdruck zu bringen, eine bestimmte Stimmung usw. Die Musik würde somit offenbar eine etwas andere Definition erfordern.

Wenden wir uns deshalb wieder der Bildenden Kunst zu und noch spezifischer der Modernen Kunst. Hier sehen wir, dass sie anders als die Musik funktioniert. Betrachten wir zum Beispiel die „Ready Made“-Werke von Marcel Duchamp oder die „Brillo Box“ von Andy Warhol. Bei dieser Art der Kunst spielt der Kontext eine große Rolle, weniger das Kunstwerk selber. Vielmehr dient es der Praxis der Kunst-Community.

Vor dem Hintergrund der Vielfalt von Kunst stellt sich damit die Frage: Gibt es überhaupt irgendetwas, was die Kunst grundsätzlich ausmacht? Oder gibt es bloß etwas (in Anlehnung an Wittgenstein), das als eine gewisse Familienähnlichkeit gelten kann? Denken wir an zwei Kunstwerke, die zwar vielleicht etwas Verbindendes aufweisen, aber erst mal nichts an sich haben, was alle Kunstwerke als solche definiert. Wenn man sich also Begriffe der Philosophie und der Ästhetik zu bedienen versucht, ist es schwierig, eine gemeinsame Definition für die Kunst zu finden.

Und gibt es eine Definition für die Wissenschaft?

Das Problem bei der Definition von Wissenschaft ist ähnlich wie bei der Kunst. In der Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftstheorie gibt es ebenfalls sehr unterschiedliche Ansätze, ›Wissenschaft‹ zu definieren. Vor 100 Jahren war da zum Beispiel der logische Empirismus, der sehr stark von der Klassischen Physik ausging, wo die Dinge noch relativ einfach verortet schienen. Man hat eine mathematische Theorie, macht eine Beobachtung, und man versucht beides am Ende zusammenzubringen. Ein Stichwort, das viele in diesem Zusammenhang kennen: Karl Poppers bekanntes Abgrenzungskriterium, dass nämlich eine empirische Wissenschaft falsifiziert und wahre Aussagen liefert mit dem Ziel sagen zu können: etwas stimmt oder stimmt nicht. Wenn etwas nicht stimmt, muss man die Theorie eben anpassen. Aber auch hier sieht man bei näherer Betrachtung: So richtig trifft es nicht das, was in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen tatsächlich abläuft. Und das hat schließlich auch die Philosophie festgestellt. Es gibt eben auch in der Wissenschaft eine ganz enorme Vielfalt. Die Biologen arbeiten anders als die Physiker, und die arbeiten wiederum anders als die Archäologen, und dann gibt es noch die Geisteswissenschaften mit ihrer ganz eigenen Logik.

In der Philosophie hat man schließlich festgestellt, dass selbstverständlich auch in der Wissenschaft soziale und politische Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Dass vieles sehr viel weniger geordnet abläuft als lange angenommen. Dennoch muss man sagen, dass Wissenschaft nicht beliebig exerziert wird, und in den meisten Fällen nicht ungenau und fehlerhaft. Es gibt zweifellos bestimmte Ansprüche, denen die Wissenschaft auch erfolgreich nachkommt. Aber auch bei den Wissenschaften lautet das Fazit: eine Definition zur Beantwortung der Frage »was ist Wissenschaft?« ist nicht ganz einfach. Und insofern lautet man Zwischenfazit: Man muss ein Schritt zurücktreten und sich vielleicht erst einmal damit zufriedengeben, dass man Eigenschaften identifiziert, die einem zumindest für einen großen Teil von Aktivitäten von Kunst und Wissenschaft passend erscheinen.

In dem Sinne kann man vielleicht sagen, dass es in der Wissenschaft sehr oft um Kategorisierung geht, also um Verallgemeinerungen bzw. Zuordnungen. Und in der Kunst recht oft - als Ausdruck der Vielfalt - um Individualität. Und vielleicht ist das etwas, was die zwei wichtigen Pole von Kunst und Wissenschaft charakterisiert. Aber diese Erkenntnis ist natürlich keine neue, sie geht zurück auf den Philosophen Gottlieb Baumgarten im 18. Jahrhundert. Sie liefert aber vielleicht einen Ausgangspunkt, der helfen kann zu erklären, weshalb die Erkenntnisansprüche von beiden Disziplinen dann doch oft so unterschiedlich sind und es eben doch diesen Unterschied gibt zwischen Kunst und Wissenschaft.

Zudem gibt es einen den Unterschied zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften. In den 1960er Jahren stellt der englische Wissenschaftler, Romancier und Forschungspolitiker C. P. Snow die provokante These der »Two Cultures« auf, wonach Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften nicht miteinander sprechen können. Und was bedeutet das für Kunst und Wissenschaft?

Das stimmt, wenn man diese Binnendifferenzierung der Wissenschaften in Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften miteinbezieht, dann wird es noch schwieriger, eine umfassende Definition für die ›Wissenschaften‹ zu finden, was auch ein Argument sein kann für C. P. Snows These. Wenn man jedoch nur auf die Naturwissenschaften schaut, dann hat man es etwas einfacher, gewisse methodische Gemeinsamkeiten festzustellen. Und trotzdem: Wenn man hineingeht und abtaucht in die einzelnen unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen, dann findet man sogar bereits dort ganz erstaunliche Variationen.

In der Tat ist es so, dass die Geisteswissenschaften eine Zwischenrolle einnehmen, weil sie methodisch sehr viel mehr Freiheiten haben. Das ist ein Gesichtspunkt, den man nutzen könnte für den Vergleich von Kunst und Wissenschaft und der Frage, wie die Methoden jeweils festgelegt sind. Ein interessanter Gegensatz.

Aber nochmal: In den Naturwissenschaften habe ich sehr wenig Spielräume, mir neue Methoden auszudenken. Hier gibt es ganz klare Regeln, was unter dem Label ›Wissenschaftliche Methodik‹ fällt und was nicht. In den Geisteswissenschaften stehen einem dagegen deutlich mehr Freiheiten zur Verfügung. Dementsprechend gibt es dort immer wieder Neuerungen, zuweilen auch interessante Methodenstreits. Beispielsweise, ob man wissenschaftlich mehr quantitativ oder qualitativ vorgehen sollte. Solchen Grundsatzkontroversen finden sich in den Naturwissenschaften relativ selten. Hier sehen wir also in den Geisteswissenschaften eine Verbindung zu der Kunst, in der ebenfalls eine ganz andere Freiheit des Kunstschaffens besteht. Eine Freiheit, die die Künstler ausschöpfen können und müssen. Was aber die Künstler meiner Meinung nach auch als großen Vorteil ihrer Disziplin ansehen und begreifen.

In Ihrem Artikel ›Die Sprache der Kunst‹ nennen Sie auch historische Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, die noch beide Disziplinen in sich vereinten. Und auch Hermann von Helmholtz, unser Jubilar, war leidenschaftlicher Pianist und brachte sogar Kunst und Wissenschaft in seiner Forschung zusammen. Weshalb scheint so etwas heute nicht mehr zu gehen?

Historisch betrachtet lagen diese Disziplinen einmal sehr eng bei einander, denken wir an Leonardo da Vinci und die Zeit der Renaissance. Im Laufe der Etablierung der Naturwissenschaften, die bereits in die Zeit von Hermann von Helmholtz fällt, erfolgte dann eine zunehmend stärkere Trennung. Mein genereller Eindruck ist aber, dass wir uns augenblicklich wieder in einer Phase der relativen Annäherung befinden. Es gibt viele Stiftungen, die den Dialog zwischen Wissenschaft fördern, es gibt ausgewiesene Förderprogramme mit diesem Ziel der Zusammenführung dieser Disziplinen, es gibt überdies viele einzelne Veranstaltungen dazu, auch im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Das alles ist erst mal sehr positiv.

Dennoch stimmt diese Grundthese, dass es praktisch keine Personen mehr gibt, die gleichzeitig an der Spitze beider Felder stehen können – als führender Wissenschaftler, der gleichzeitig auch ein großer Künstler ist. Aber das ist meines Erachtens auch nicht verwunderlich, weil sich die Wissenschaft im Laufe der Zeit derart massiv spezialisiert hat. Hier kann ich insbesondere aus der Perspektive der Forschung sprechen. Ich habe selbst viele Jahre geforscht und damit am eigenen Leibe erfahren, wie schwierig es sogar innerhalb der Wissenschaften ist, interdisziplinär zu arbeiten. Da fällt es mitunter schwer, mit dem Kollegen am andern Ende des Flures zu sprechen. Zwei Astrophysiker, die Schwierigkeiten einander zu verstehen, weil der eine sich für die Milchstraße interessiert, der andere für Galaxien im Allgemeinen.

Insofern haben wir es auf der einen Seite mit einem Phänomen zu tun, das sich inhaltlich erklärt durch den wissenschaftlichen Fortschritt und die damit einhergehende extreme Spezialisierung. Das noch verstärkt durch eine institutionellen Ebene und die hohen Anforderungen an die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen heutzutage, sich sehr stark zu spezialisieren und in einem abgesteckten wissenschaftlichen Umfeld so früh wie möglich sehr viel zu publizieren und zu leisten. Insofern ist es aus wissenschaftlicher Perspektive gesprochen sehr schwierig, sich persönlich gewisse Freiheiten herauszunehmen und sich neben der eigenen Spezialexpertise mit ausgefallenen Sonderthemen zu beschäftigen. Themen, die nicht direkt oder offensichtlich zum eigenen Spezialgebiet gehören. Erschwert wird dies noch durch den Umstand, dass es für junge Frauen und Männer im Wissenschaftsbetrieb einen unglaublichen Druck gibt, schnell die eigene Karriere abzusichern, so dass abseitig erscheinende Aktivitäten frühzeitig unterbunden werden. Das hat zur Folge, dass viele Wissenschaftler erst im hohen Alter darauf zurückkommen.

Im besagten Artikel beschreiben Sie auch die Arbeiten von Nelson Goodman zur Sprache von Kunst und Wissenschaft. Inwiefern kann sein Ansatz helfen, das Spannungsfeld zu verstehen und aufzulösen?

Unabhängig von Goodmans Ansatz würde ich zunächst einmal salopp feststellen, dass die ›Sprache‹ bei interdisziplinären Projekten und beim interdisziplinären Austausch ganz allgemein eine zentrale Rolle spielt. In dem Sinne, dass es oft große Missverständnisse zwischen den Akteuren gibt, weil Begriffe unterschiedlich verwendet werden, einen unterschiedlichen Kontext haben und unterschiedliche Assoziationen wecken. Da erhält Sprache neben ihrer kommunikativen Funktion manchmal leider auch einen Abschottungseffekt. Jede ›Community‹ hat ihre eigene Sprache. Das ist in den Naturwissenschaften zu beobachten, gilt aber auch bei interdisziplinären, wissenschaftlichen Projekten. Meines Erachtens benutzen Philosophen tatsächlich die Sprache viel präziser als Naturwissenschaftler. In der Naturwissenschaft, so mein Eindruck, kann Sprache sogar der Kommunikation und der Verständigung regelrecht im Wege stehen.

Wenn man nun mit Nelson Goodman etwas grundlegender auf die Zeichensysteme schaut, die in Kunst und Wissenschaft zu finden sind (dies hat er 1968 in seinem Buch ›Die Sprache der Kunst‹ eindrucksvoll gezeigt), dann lassen sich unterschiedliche Arten und Weisen der Bezugnahme ausmachen. Man geht davon aus, dass in solchen Zeichensystemen immer irgendeine Form von Bezugnahme vorliegt, sprich ›Bezug auf etwas‹ genommen wird, was repräsentiert oder zum Ausdruck gebracht werden soll. Goodman verwendet hier insbesondere die Begriffe der ›Dichte‹ und der ›Fülle‹ eines Zeichensystems.

Schauen wir zunächst einmal auf den Begriff der ›Dichte‹: Es gibt nach Goodman zunächst einmal analoge und digitale Zeichensysteme. Solche Zeichensysteme kennen wir auch aus dem Alltag, zum Beispiel ein Thermometer mit einer Quecksilbersäule, oder eines (mit einem Bi-Metallstreifen), das digitalisiert arbeitet. Solche digitalen Zeichensysteme sind endlich differenziert, es gibt bestimmte Kategorien. Bei analogen Systemen passt zwischen zwei Elemente stets noch ein weiteres - die Elemente lassen sich sozusagen beliebig auffüllen. In der Wissenschaft wird viel mit digitalen Zeichensystemen gearbeitet, die entsprechend weniger dicht sind. Das ist das, was ich vorhin auch mit dem Begriff der ›Kategorisierung‹ meinte, dass man Phänomene in Gruppen einteilt und sie insofern verallgemeinert und handhabbar macht. Dies ist in der Kunst jedoch weniger der Fall als in der Wissenschaft, könnte man sagen.

Neben der ›Dichte‹ spricht Goodman auch von der ›Fülle‹. Diese Beobachtung Goodmans finde ich auch sehr interessant. ›Fülle‹ bezeichnet hier die Menge an Aspekten, die für den Zeichenbezug bedeutsam sind. Vergleichen wir beispielsweise eine wissenschaftliche Abbildung mit einer künstlerischen. Mit Abbildungen aus Kunst und Wissenschaft gehen wir als Betrachter völlig unterschiedlich um.

Dazu ein paar Beispiele: Blicken wir zunächst auf ein künstlerisches Gemälde (das kennen wir auch aus dem Kunstunterricht und der Bildinterpretation): Wir haben ein solches Bild vor uns und fragen uns, welche Details spielen eine Bedeutung? Ist die Farbe wichtig? Welche Rolle spielt der Rahmen, oder ist seine Auswahl ein Zufall? Ist da eine bestimmte Linie, die wir sehen, die von besonderer Bedeutung ist? Wir sind also bei der künstlerischen Betrachtung sofort in einem interpretativen Unsicherheitsbereich, weil potentiell erst einmal alles eine Bedeutung haben könnte. Das ist in der Wissenschaft ganz anders. In der Wissenschaft ist meistens relativ klar, was wichtig ist und was nicht, was eine Bedeutung hat und was keine. Wenn wir eine wissenschaftliche Grafik betrachten, dann dürfte ziemlich selten der Fall auftreten, dass die Farbwahl einer Linie eine tiefergehende Bedeutung hat als bloß die, dass verschiedene Gruppen von Linien voneinander unterschieden werden müssen. Wenn also die oberste Kurve rot ist, muss das nicht unbedingt bedeuten, dass da irgendetwas ›Warmes‹ dahintersteckt, oder etwas ›Wärmeres‹ als bei der grünen Kurve. Das lernt man als Wissenschaftler in der Ausbildung, weiß genau, wie wissenschaftliche Abbildungen zu lesen sind, was relevant ist und was nicht.

Dass das Phänomen der ›Fülle‹ ist ganz unterschiedlich in Kunst und Wissenschaft, das ist eine wirklich interessante Feststellung. Das ist kein absolutes, aber ein relevantes Unterscheidungskriterium, das es erlaubt zurückzuschließen auf das, was ich anfangs gesagt hatte, auch mit Blick auf die Missverständnisse, die oft zwischen Kunst und Wissenschaft auftauchen: Das wissenschaftliche Betrachten führt in der Wissenschaft zu einem ›Insider‹-Wissen - man lernt in der Wissenschaft, wie man auf die wissenschaftlichen Abbildungen blicken muss, lernt einzuschätzen, wie Grafiken zu lesen sind. Das ist schwierig für Außenstehende, die all diese Konventionen nicht genau kennen.

Inwiefern suchen Kunst und Wissenschaft nicht eigentlich dasselbe, nämlich der Wahrheit auf den Grund zu kommen?

Die Frage nach der ›Wahrheit‹ ist natürlich etwas einschüchternd. Mit ihr ist etwas ganz Fundamentales verbunden, was im Zentrum unserer Diskussion steht und vielleicht heute wichtiger zu klären ist denn je. Aber grundsätzlich würde ich auch hier erst einmal sagen: Es kommt ganz drauf an, denn auch hier gibt es keine allgemeinverbindliche Antwort.

Ich habe beispielsweise viele Künstler kennengelernt, die schon sagen würden, dass sie in ihren Werken und mit ihren Werken nach etwas suchen, was man vielleicht hochtrabend gesprochen als ›Wahrheit‹ bezeichnen könnte. Künstler, die schon einen bestimmten Erkenntnisanspruch verfolgen. Das wird umgekehrt häufig auch daran deutlich, wie Leute Kunstwerke beurteilen, wenn sie nämlich sagen, dass »Werke funktionieren« oder eben »nicht funktionieren«. Das klingt dann fast so, als würde es da tatsächlich etwas ›Objektives‹ geben, was einen Prüfstein abgibt, um die Angemessenheit der Werke im Kontext ihres Erkenntniszweckes zu bewerten. Das kennt man auch selber aus der eigenen Rezipienten-Perspektive, dass man manchmal den Eindruck hat, dass es da Dinge bei der Betrachtung von Kunst gibt, die durchaus objektiven Charakter zu besitzen scheinen. Gleichzeitig ist auch in der Kunst diese Eigenschaft ganz wesentlich, und wir hatten es vorhin schon angesprochen, nämlich diese große methodische Breite und Offenheit, die dem gerade Gesagten völlig entgegenzustehen scheint - dass da irgendetwas Objektives in irgendeiner Art und Weise eine Rolle spielen kann. Insofern gibt es hier tatsächlich auch wieder beides - Objektive Kriterien versus Subjektivität.

Und welche Rolle spielt ›Wahrheit‹ in der Wissenschaft?

Wenn man nun diese Frage für die Wissenschaft stellt, dann ist sie ebenfalls nicht einfach zu beantworten. Jedoch würde ich der Behauptung widersprechen, dass die Wissenschaft einfach immer nach objektiven Wahrheiten strebt. Wie bereits angesprochen, hat die Wissenschaftstheorie gezeigt, dass es tatsächlich sehr viel schwieriger ist.

Wenn man beispielsweise die Popper-Perspektive einnimmt, und das tun sehr viele Wissenschaftler, dann kann man tatsächlich sagen: Wahrheit ist so etwas wie ein Fluchtpunkt. Und auf den bewegt sich die Wissenschaft zu. Wir können immer nur sagen, wir haben eine relative Annäherung. Wir wissen nie, wie weit wir sind. Aber das ist das vielleicht optimistische Selbstbild der Wissenschaftler, dass wir uns auf diese Wahrheit zumindest zu bewegen. Auf die Wahrheit aus einer historischen Perspektive heraus. Das ist die sogenannte Kübeltheorie der Wissenschaft. So heißt es manchmal salopp in der Wissenschaftstheorie: Wir haben einen großen Kübel, und in den schmeißen wir mit der Zeit all unser Wissen hinein. Und die Menge des Wissens wird immer größer.

Wenn man sich dagegen Philosophen anguckt wie Ludwik Fleck, ein polnisch-österreichischer Mediziner des 20. Jahrhunderts, oder auf die Arbeiten von Thomas Kuhn in den 1960er Jahren schaut, der noch sehr viel prominenter ist als Fleck, oder noch weitergeht und an Imre Lakatos oder Paul Feyerabend denkt: Dann muss man schon sagen, sind da einige Gedanken dabei, die nicht ganz verkehrt sind oder zumindest nicht ganz blöde. Denn natürlich ist auch Wissenschaft stets ihrer Zeit verhaftet. Sie entsteht immer auch vor dem Hintergrund eines bestimmten Weltbildes. Oder bestimmter Konventionen, die, wie wir wissen, in Prinzip auch anders aussehen könnten. Insofern hat man immer auch politische und soziale Aspekte, die Wissenschaft mitformen. Und deshalb ist das, glaube ich, eine der zentralen Fragen, die schwierig zu beantworten ist, nämlich: Wie bringt man diese sich scheinbar widersprechenden Aspekte zusammen bei der gleichzeitigen Erkenntnis, dass Wissenschaft objektiv betrachtet große Erfolge vorweisen kann, dass unsere Technologien ganz offensichtlich sehr gut funktionieren.

Stellt sich die Frage nach ›Wahrheit‹ in Zeiten der Diskussion von ›Fake News‹ noch mal ganz besonders?  

Absolut. Es ist wichtig hervorzuheben, dass unsere Wissenschaft nicht völlig beliebig vorgeht. Oder anders gesagt: Egal wie mein kulturpolitisches Weltbild aussieht, kann ich nicht durch Wände laufen. Es ist also mitnichten alles beliebig in den Wissenschaften. Und es zeigt sich: Wissenschaft ist eine sehr gute Methode, um zu Ergebnissen zu kommen, die in unserer Welt erfolgreich sind.

Das ist allerdings mit Herausforderungen verbunden, die wir zurzeit in den aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen sehen. Sei es in der Pandemie und bei der Frage, wie wichtig und ernst Wissenschaft auch politisch genommen werden sollte, oder beim kontroversen Umgang mit den sogenannten ›alternativen Fakten‹. Nämlich die Frage, wie Wissenschaftler kommunizieren, und welchen Wahrheitsanspruch sie in ihrer Tätigkeit verfolgen können. Und hier muss man leider - und dies ist besonders schwierig - eine differenzierte Position entwickeln, die in der Mitte liegt zwischen einem einerseits naiven Realismus: ›Wissenschaft als Faktenfabrik nach dem Motto: Wissenschaftler produzieren Wahrheiten‹. Denn das ist es ja offensichtlich nicht, was es ist. Und andererseits die ihr entgegenstehende radikale Einstellung, ›ein völliger Konstruktivismus‹ im Feyerabendschen Sinne. »Anything goes«, nach dem Motto, Wissenschaft ist ein relativ beliebiges System, da kommt irgendwie etwas dabei heraus, aber es könnte auch ganz anders sein. Denn so ist es ja offensichtlich auch nicht.

Und zwischen diesen beiden Positionen die richtige Mitte zu finden, und diese dann auch entsprechend zu kommunizieren, das ist eine große Herausforderung. Eine wichtige Aufgabe für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heutzutage. Und das ist eine Stelle, an der meiner Meinung nach die Philosophie sehr wichtig wird für die Wissenschaft, und wir auch den Bogen zur Kunst schlagen können. Uns Wissenschaftlern kann die Kunst helfen, um einen differenzierten und aufgeklärten Blick auf die eigene Disziplin zu entwickeln.

Gibt es ein Fazit, eine besondere Erkenntnis, dass sich aus ihrem Projekt WissensARTen hinsichtlich der Beziehung von Kunst und Wissenschaft ziehen lässt?

Bei diesem Projekt bestand die Grundidee darin, Paare von Künstlern und Wissenschaftlern zusammenzubringen, die sich aus der jeweils eigenen Perspektive mit einem gemeinsamen Thema beschäftigen. Voraussetzung war die Annahme, dass die Akteure in beiden Disziplinen einen wie auch immer gearteten Erkenntnisanspruch verfolgen.

Zum Beispiel hatten wir eine Wissenschaftlerin und eine Künstlerin, die sich beide mit dem Phänomen ›Klang‹ beschäftigen. Ein anderes Paar bestand aus einer Wissenschaftlerin und einer Künstlerin, die beide das Thema ›Leben‹ in ihren Arbeiten untersuchen (wobei eine der beiden Beteiligten eine Physikerin ist). Es ließ sich nun beobachten, wie sich jeweils beide diesem gemeinsamen Thema annähern - im Rahmen der ganz eigenen Annahmen, Methoden, Fragen, Interessen. Das war sehr spannend, auch, sich daraufhin die Ergebnisse der Akteure anzuschauen. Und in einem dritten Schritt zu untersuchen, wie die beiden miteinander kommunizieren. Was passiert, wenn man ein solches Paar zusammenbringt, sie ohne Moderation, ohne Anleitung, ohne ihnen Fragen oder Aufgaben mit auf den Weg zu geben, zusammenführt und verfolgt, was sie sich zu sagen haben. Und genau das wurde im Rahmen des Projekts mit vier unterschiedlichen Themen und vier mal zwei Personen gemacht.

Ich sehe folgendes Gesamtergebnis: Zunächst mal war das Projekt sehr erfolgreich, in dem Sinne, dass es sehr gut angenommen wurde, es ganz toll funktioniert hat, finde ich. Das war nicht unbedingt absehbar. Was ich dabei besonders interessant finde, ist der Umstand, dass die Gespräche zwischen den Antagonisten – den Künstlern und Wissenschaftlern - jeweils sehr schnell auf eine philosophische Ebene gekommen sind. Das schien ein gemeinsamer Boden zu sein, auf dem sich die Akteure aus Kunst und Wissenschaft treffen können. Die Künstler haben beispielsweise durch das Hinterfragen der wissenschaftlichen Methoden und der wissenschaftlichen Ergebnisse zu einer philosophisch-kritischen Haltung und Betrachtungsweise beigetragen. Die Wissenschaftler haben sich in allen Fällen darauf eingelassen und umgekehrt den Künstlern auch zu neuen Einsichten verholfen. Es gab zwar Reibung zwischen den Paaren. Aber die Auseinandersetzung zu den Themen aus den unterschiedlichen Perspektiven war sehr konstruktiv. Ein Fazit, dass ich ziehen würde, lautet also: Philosophie als Verbindung. Das zweite ist meines Erachtens, wie fruchtbar diese Diskussionen insgesamt verlaufen sind.

Und das, obwohl bei allen Beteiligten zu Beginn die große Befürchtung bestand, dass man sich eventuell wenig oder gar nichts zu sagen hat. Meine Ankündigung, nicht moderieren zu wollen, damit sich beide Partner so austauschen können, wie sie wollen, hat dementsprechend zunächst zu einer weiteren Verunsicherung geführt. Doch nach anfänglichem Hadern ging es los, kam die Diskussion ins Rollen, bei allen sehr intensiv, bis sich die Paare am Ende kaum mehr trennen ließen. Das zu beobachten, war für mich eine sehr schöne Erfahrung. Auch, dass der Kontakt bei den Paaren anschließend weiterging, dass der Austausch erhalten blieb über die WissensARTen hinaus.

WissensARTen zeigt horizonterweiternde Wirkung bei der Begegnung der Akteure aus Kunst und Wissenschaft.

Um hier auch noch mal auf die Begriffe von Nelson Goodman der ›Fülle‹ und der ›Dichte‹ zurückzukommen: Was Wissenschaftler inspirierend finden, wenn sie mit Künstlern in Berührung kommen, ist nämlich, dass sie eine sehr viel schärfere Wahrnehmung erfahren beziehungsweise erleben. Sie werden quasi in die Lage versetzt, Dinge anders zu sehen und zu hinterfragen. Insbesondere Wissenschaftler aus Forschungsgebieten, die sich erkenntnistheoretisch gerade in einer schwierigen Gesamtsituation befinden, wie es beispielsweise in der Teilchenphysik der Fall ist, nehmen die Inspiration von Künstlern sehr dankbar auf. Das ist ein weiteres Resümee, das ich ziehen kann.

Ein anderer spannender Aspekt, den ich aber in diesem Projekt nicht explizit verfolgt, um nicht zu sagen zu meiden versucht habe, ist allerdings ebenso wichtig, und er taucht immer wieder auf, wenn es um Kunst und Wissenschaft geht: Nämlich, dass es bei der Begegnung von Kunst und Wissenschaft auch eine pragmatische, funktionale Motivation gibt, diese beiden Disziplinen zusammenzubringen. Wenn man nämlich die Verbindung von Kunst und Wissenschaft als Kommunikationswerkzeug für die Öffentlichkeit ansieht. Das mag ich aber persönlich nicht so sehr, weil dann eine Hierarchieebene eingeführt wird, bei der die Kunst schlimmstenfalls bloß als Vermittler dient. Nichtsdestotrotz ist es eine wichtige Rolle für Kunst und Wissenschaft in der Wissenschaftskommunikation, die man auch anerkennen muss.

Die Kommunikation von Wissenschaft funktioniert manchmal eben besonders gut, wenn sich Künstler als Vermittler dazwischenschalten lassen. Was manchmal den wichtigen und erfreulichen Zusatzeffekt hat, dass sich eine kritische Diskussion über die Wissenschaft anschließt. Das ist das, was viele Kooperationen aus Kunst und Wissenschaft, die momentan sehr stark gefördert werden, anstreben. Wissenschaftskommunikation wird immer mitgedacht.

Man bedient sich quasi künstlerischer Methoden, um Wissenschaft zu kommunizieren. Im schlimmsten Fall wird Kunst zur Dekoration degradiert.

Ja, das ist der schlimmste Fall, wenn der Wissenschaftler dem Künstler sagt: »Mach mal etwas Schönes daraus!« Ein solcher Auftrag wird der Kunst nicht gerecht. Tatsächlich schwang die Frage der Hierarchisierung und wie sie vermieden werden kann, in der Diskussion in dem Projekt WissensARTen die ganze Zeit mit. Eine Frage, die auch in der Kommunikation große Rolle gespielt hat, und die ich selbst sehr interessiert beobachtet habe, weil Kunst und Wissenschaft nicht in einer gleichberechtigten Beziehung stehen. Das muss man einfach konstatieren. Die Wissenschaft ist weniger bereit, Impulse aus der Kunst aufzunehmen. Nicht aus schnöder Einbildung, sondern, weil es weniger Spielräume gibt in wissenschaftlichen Systemen. Im Gegensatz zu den Künstlern, die sehr viel offener sind für Impulse von außen, für Resultate und Methoden und so weiter. Und diese Asymmetrie zu überwinden, das zumindest zu thematisieren, war und ist mir ein großes Anliegen.

Hermann von Helmholtz sprach auch von der Inspiration, die der Wissenschaftler durch die Kunst erhalten könne. Helmholtz gilt ja nicht nur als Vollender der Klassischen Physik, sondern auch als Begründer des modernen Wissenschaftsbetriebs. Es selbst gründete beispielsweise die Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR), aus der die heutige PTB hervorgegangen ist. Wäre es nicht sinnvoll, an diese Tradition anzuschließen und Kunst und Wissenschaft institutionell zu vereinen?

Damit stellt sich natürlich sofort die Frage, was man mit einer solchen Institutionalisierung erreichen will. Auch eine Institution, die beide Disziplinen vereint, stünde vor den Problemen, die wir in den vorangegangenen Fragen angesprochen haben. Die konkreten Aufgabenstellungen für eine solche Institution wären doch sehr unterschiedlich für künstlerische Themenfelder einerseits und wissenschaftliche andererseits.

Doch grundsätzlich befürworte ich, wie das auch in den vereinigten Staaten (mit der American Academy of Science and Arts) inzwischen passiert, sich diese Fragen zu Kunst und Wissenschaft sehr explizit zu stellen und zu überlegen, wie eine stärkere Kommunikation, ein stärkerer Austausch zwischen den beiden Disziplinen vonstattengehen kann, um sie einander näherzubringen. Das ist auf jeden Fall etwas, was in Deutschland stärker verfolgt werden sollte - in welcher Art und Weise dann auch immer. Ob dies institutionell erfolgen muss, weiß ich nicht, oder ob man nicht lieber zunächst einmal anfangen sollte, diese sehr unterschiedlichen Gruppen behutsam zusammenzuführen. Und da sehe ich aus meinen begrenzten Erfahrungen heraus in der Praxis unterschiedlich erfolgreiche Beispiele.

Und auch wenn Annäherungsversuche interdisziplinärer Art offenbar erst mal sehr schön und für alle Beteiligten förderlich wirken, sind sie tatsächlich sehr viel schwieriger und anstrengender, als man es naiv betrachtet vielleicht vorhersehen kann. Deshalb kann ich keine klare Einschätzung geben, wie hier idealerweise zu verfahren ist. Ich glaube, man muss eben schauen, wie solche Versuche in die bereits existierenden Institutionen von Kunst und Wissenschaft hineinpassen. Denn solche Begegnungen müssen ja vereinbar sein mit dem, was Künstler und Wissenschaftler in ihrem sonstigen Arbeitsalltag machen und treiben. Es sollte nichts sein, was den Beteiligten von oben aufgedrückt wird. Meiner Meinung nach befinden wir uns zurzeit in einem Stadium, in dem viel ausprobiert wird. Wir sehen viele Erfolge, aber wir müssen auf diesem Feld noch viel lernen.

Danke für diese vielleicht nüchtern klingende Einschätzung, aber es ist wohl so, wie Sie sagen: Die Schaffung einer Institution hebt das eigentliche Problem der Kluft zwischen Kunst und Wissenschaft nicht auf. Wir probieren das ein klein wenig mit dem Artikel im Helmholtz-Magazin und dieser Interview-Reihe zur Kunst und Wissenschaft, und begeben uns damit ebenfalls auf fremdes Terrain.

Das finde ich toll und bin sehr gespannt auf das Ergebnis. Und typischerweise freuen sich auch alle sonstigen Beteiligten auf diese Art der untypischen Konfrontation. Für mich persönlich ist es nun so, dass ich selbst viele Jahre im Wissenschaftsbetrieb war und in den Forschungszusammenhängen immer wieder an die Grenzen des Machbaren gestoßen bin - vor dem Hintergrund der Zwänge und des Drucks, denen man als Wissenschaftler ausgesetzt ist. Vielleicht habe ich auch deshalb an manchen Stellen eine eher desillusionierte Einschätzung - bei allem Enthusiasmus, den ich ansonsten für dieses Thema hege.

Damit nehmen Sie ein wenig die abschließende Frage vorweg, die darauf abzielen sollte, wie Sie persönlich zu dieser Auseinandersetzung mit Kunst und Wissenschaft gekommen sind.

Die Auseinandersetzung mit Kunst und Wissenschaft reicht in meiner Biographie weit zurück. Ich komme nämlich aus einer Künstlerfamilie. Mein Vater ist Künstler, und wir haben in meiner Kindheit sehr viel gemeinsam gezeichnet. Für mich war damit die Kunst zunächst der natürliche Weg der Auseinandersetzung mit der Welt, für mich die Art und Weise, mich kreativ mit ihr auseinanderzusetzen. Dann stellte sich irgendwann die Frage: Was ist eigentlich Kunst? Ich konnte inzwischen tadellos zeichnen, geriet aber irgendwann an eine Grenze, bei der sich mir die Frage stellte: Ist das Kunst, was ich da zeichne? Könnte ich nicht stattdessen einfach Fotos machen? Was fange ich an mit meiner handwerklichen Tätigkeit? Wie verhält es sich zu einem künstlerischen Anspruch? Wie komme ich überhaupt zu so etwas wie einem eigenen Stil? Diese Fragen haben mich schließlich derart blockiert, dass ich erst einmal aufgehört habe zu zeichnen.

Darüber bin ich aber zu Philosophie gekommen. Ich habe dann einen Sommerkurs besucht, bei dem ebenfalls die Frage nach der Kunst gestellt wurde, und ich habe mich erst einmal theoretisch damit auseinandergesetzt - womit der Kontakt zur Philosophie geschaffen war. Parallel dazu entwickelte sich bei mir die Faszination für die Naturwissenschaften und die Mathematik.

Schließlich stand ich vor der Entscheidung: Studiere ich Kunst oder studiere ich Physik? Und hier hat mich schließlich meine Schüchternheit und auch ein bisschen meine Faulheit davon abgehalten, eine Kunstmappe zu kreieren und mich damit für ein Kunststudium zu bewerben. Stattdessen habe ich mich an der Universität für die Physik eingeschrieben, was problemlos ging. Meine künstlerischen Aktivitäten habe ich dann noch ein wenig nebenher weiterbetrieben, weshalb sich irgendwann die Frage des Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft auf eine ganz natürliche Weise für mich stellte.

Deshalb gab es für mich immer auch einen sehr intuitiven Impuls, mit Künstlern ins Gespräch zu kommen und zuzuschauen, was die eigentlich machen, und mich zu fragen: Wie verhält sich das, was sie machen, zu dem Schaffen in meiner Physik? Sofern hat die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wissenschaft für mich eine ganz lange Geschichte. Eine Fragestellung, die mich wohl mein Leben lang umtreiben wird, eine, die sich vermutlich nie abschließend klären lässt für mich - was ja vielleicht auch schön ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

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