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Blickwinkel

Citizen Science

<b> Laienforscher</b> Frank Clemens zählt in seiner Freizeit Schmetterlinge für die Wissenschaft. Bild: David Ausserhofer

Immer mehr Menschen greifen in ihrer Freizeit zu Fernglas, Notizblock oder Smartphone und helfen Forschern bei ihrer Arbeit. Doch inwieweit bereichern die Erkenntnisse der Hobbyforscher die Wissenschaft? Zwei Blickwinkel

Ja – sagt Johannes Vogel, Leiter des Museums für Naturkunde in Berlin.
Wenn wir in einer aufgeklärten, demokratischen Wissens- und Technologiegesellschaft leben wollen, müssen Wissenschaft und Gesellschaft die möglichen Zukunftsszenarien immer wieder neu verhandeln – am bestem weit im Vorfeld von technischen Anwendungen. In der Fachsprache nennt man das ‚upstream public engagement‘. Denn einerseits hat die Öffentlichkeit großes Interesse an Wissenschaft. Andererseits hat die Wissenschaft auch die Aufgabe, ihre Arbeit im Dialog zu kommunizieren. Sie muss sich allerdings noch mehr dabei anstrengen, diese Bringschuld im Bereich Wissenschaftskommunikation und -vermittlung einzulösen. Den Bürgern einfach nur erklären, was sie macht, reicht dazu nicht. Der Prozess von Wissenschaft kann und muss für die Menschen außerhalb der Labore erlebbar, erfahrbar werden. Nur so können sie solch fundamentale Dinge wie Experiment, Analyse, Unsicherheit oder Risiko verstehen.

Johannes Vogel leitet dass Museums für Naturkunde in Berlin. Foto: Ernst Fesseler

Außerdem muss sich Wissenschaft noch mehr gegenüber den Beiträgen von interessierten Laien öffnen – denn hier bietet sich ein bisher nicht beachtetes Innovationspotenzial für Forschung und Anwendung. Wissenschaft muss also zum Mitmachen einladen. Bürgerwissenschaft versucht genau das. In den Natur- und Kulturwissenschaften will sie interessierte Bürger, Laien, Amateure einbinden, sie für das wissenschaftliche Arbeiten begeistern. Für das Gelingen gibt es keinen Königsweg, aber viel Raum für ‚Experimente mit Wissen‘. Bürgerwissenschaft sollte aber nicht nur das Verhältnis von Gesellschaft zu Wissenschaft beeinflussen. Sie sollte auch die selbstreflexive Kapazität von Wissenschaft stärken, Chancen zur Weiterentwicklung wecken und Spaß machen. Das könnte dann auch die Wissenschaft verändern.

Ja, aber in gewissen Grenzen – sagt Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Citizen Science ist eine Bewegung, die eine lange Tradition hat. Vogel- oder astronomische Beobachtungen zum Beispiel haben schon immer auch interessierte Laien angestellt. Solche Unternehmungen sind einerseits ein ausgezeichnetes Medium, um Interesse an der Wissenschaft zu verbreitern. Andererseits bereichern die gewonnenen Daten auch die Wissenschaft, sofern sie nach entsprechenden Kriterien gesammelt, geordnet und dokumentiert werden.

Günter Stock ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Foto: Noel Tovia Matoff

Skeptischer bin ich gegenüber einer anderen Bewegung, die nach meinen Beobachtungen vor allem in den USA um sich greift. Es ist das Phänomen, dass verschiedene Experimente, etwa biologische, biochemische oder auch gentechnische, durch Privatleute durchgeführt werden.  Ich sehe das kritisch, weil eventuell Sicherheitsstandards weder eingehalten noch kontrolliert werden können. Aufgrund mangelnder umfassender Kenntnis der möglichen Folgen könnte es also zu unerwünschten Nebeneffekten kommen, was wiederum der Wissenschaft selbst schaden könnte. Also ein klares Ja zu Citizen Science, sofern es um wissenschaftlich basiertes sorgfältiges Beobachten von Naturphänomenen geht.

Außerordentliche Zurückhaltung übe ich, wenn es um experimentelles Arbeiten geht, das in dafür speziell ausgerichtete Laboratorien mit großen Sicherheitsauflagen gehört. Im Übrigen gilt: Wissenschaftliches Beurteilungsvermögen gewinnt man nicht allein durch das Sammeln von Daten, durch das Experiment. Wissenschaftliche Beurteilungsfähigkeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass man die Bedingungen des Experiments sowie die Ergebnisse kontextualisieren, sie in vorhandenes Wissen einbinden und kritisch reflektieren kann.

Fokus@Helmholtz: Ist Citizen Science eine Gefahr für die Wissenschaft?

Am 19. Januar diskutierten Johannes Vogel und Günter Stock bei Fokus@Helmholtz in Berlin mit Befürwortern und Kritikern über die so genannte Bürgerwissenschaft. Seien Sie dabei, wenn wir die Frage aufwerfen: Ist Citizen Science eine Gefahr für die Wissenschaft? Mehr Informationen zur Veranstaltung...

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