Wissenschaftsjournalismus
Zeit für einen Neustart
Der Wissenschaftsjournalismus steckt in der Krise. In einem Kommentar rät Reinhard Hüttl, Vorstand des Helmholtz-Zentrums Potsdam und Präsident der acatech, Journalisten wie Wissenschaftlern, liebgewordene Selbsteinschätzungen abzulegen
Bereits mit der Einführung privater Radio- und Fersehsender begann eine bis heute andauernde, grundlegende Umstrukturierung der konventionellen Mediennutzung. Die eigentliche Revolution aber wurde durch das Internet in Gang gesetzt. Überall und jederzeit nutzbare Informationstechnologien führen zu einem völlig neuen Informationsverhalten über das gesamte gesellschaftliche Spektrum hinweg. Alle klassischen Massenmedien, insbesondere aber die Printmedien, wurden und werden von diesen Veränderungen getroffen. Der Begriff des Zeitungssterbens mag als Metapher dafür dienen.
Als Konsequenz ergibt sich ein ständig zunehmender Spardruck in Verlagen und Sendeanstalten - und hier stehen besonders die Wissenschaftsressorts im Visier. Nur sehr vereinzelt ist es den Wissenschaftsjournalisten gelungen, ihren Stellenwert als Querschnittsexperten zu verankern. Wissenschaftsressorts gelten vielerorts als nettes, im Zweifel aber verzichtbares Anhängsel. Allzu schnell gerät dabei aus dem Blick, dass eine Nachrichtenredaktion nur dann fundiert über Naturereignisse oder Naturkatastrophen berichten kann, wenn die wissenschaftlichen Fakten bekannt sind. Das ist kein Selbstzweck: Allein eine adäquat informierte - also auch wissenschaftlich aufgeklärte - Bevölkerung kann zu Themen wie Klimawandel, Gen- und Nanotechnologie, Energiewende oder Präimplantationsdiagnostik eine Entscheidung treffen. Kurzum: Die sachgerechte Information über Forschung, Wissenschaft und Technologie ist eine conditio sine qua non, eine unerlässliche Vorbedingung für ein funktionierendes Gemeinwesen.
Parallel zur Krise des Wissenschaftsjournalismus, aber durchaus nicht unabhängig davon, professionalisierten sich die Kommunikationsabteilungen der Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Das PUSH-Manifest der großen deutschen Forschungsorganisationen forderte bereits 1999 von den Pressestellen, dass sich die Wissenschaft öffnet, mehr und professioneller informiert und sich dem gesellschaftlichen Dialog stellt. Die Qualität in den Kommunikationsbüros stieg in der Folge rasant - und zugleich der Druck, sich im Wettbewerb miteinander zu positionieren und dafür das eigene Erscheinungsbild aufzupolieren.
Die Folgen beider Entwicklungen liegen auf der Hand: Die Medien müssen sich durch interessante Informationen im Markt behaupten, die Forschungseinrichtungen bieten ihnen den Stoff, den sie dazu brauchen, und laufen dabei Gefahr, durch Zuspitzungen ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zu überhöhen: Übertreibungen sind daher systembedingt vorprogrammiert, neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden schnell zu nobelpreiswürdigen, revolutionären Änderungen des Weltbildes vergrößert.
Dieser Ökonomisierungsdruck ist eine der wesentlichen Ursachen für den derzeitigen Erosionsprozess in der Qualität der Wissenschaftsberichterstattung. Betroffen sind beide Seiten des Schreibtischs, Wissenschaftsjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Und beide Seiten müssen liebgewonnene Selbsteinschätzungen ablegen.
Wissenschaftler stellen sich vielfach so dar, als ob sie nur der reinen, unabhängigen Forschung verpflichtet seien. Journalisten sehen sich häufig als neutrale, allein der Wahrheit dienende vierte Gewalt im Staat. Aber weder ist die Wissenschaft unabhängig von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, politischen Meinungen und eigenen Weltanschauungen, noch sind die Redaktionen frei von Redaktionsstatuten, Haupt-Anzeigenkunden und der Meinung der Leserschaft. Mehr Ehrlichkeit täte hüben wie drüben gut.
Daher brauchen wir eine neue Qualitätskontrolle für die Aufrichtigkeit der Berichterstattung auf beiden Seiten. Die Zeit dafür scheint reif zu sein, es gibt bereits Ansätze zur Entwicklung solcher Kriterien. Am Lehrstuhl für Wissenschaftsjournalismus der Uni Dortmund überprüft das Mediendoktor-Projekt die Güte von Journalismus und Pressemitteilungen und entwickelt dabei Qualitätsmaßstäbe, die vermutlich nicht für beide Seiten die gleichen Maßgrößen werden enthalten können. Wissenschaftskommunikatoren von ZEIT bis Wissenschaft im Dialog fordern in ihrem so genannten Siggener Denkanstoß eine Charta der Wissenschaftskommunikation als leitendes Regelwerk für alle Beteiligten. Die deutschen Akademien (Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und acatech Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) erarbeiten derzeit Empfehlungen zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien. Daraus abgeleitete Maßnahmen können Qualitätslabel für Pressestellen sein, genauso wie umgekehrt eine Ahndung übertriebener Sensationsmeldungen. Auf der Seite des Wissenschaftsjournalismus könnte ein Ombudssystem eingerichtet werden; Stiftungen sollten sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob es nicht an der Zeit ist, vergleichbar mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch von Werbeeinnahmen unabhängige Wissenschaftsmagazine zu finanzieren.
Es scheint, dass die Verantwortlichen auf beiden Seiten des Schreibtischs endlich zu begreifen beginnen: Wissenschaftskommunikation ist ein Gesamtprozess; sie ist die Klammer, die den Wissenschaftsjournalismus der Medien mit der Öffentlichkeitsarbeit der Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen miteinander verbindet.
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