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Energiesystem 2050

„Wir wollen Antworten liefern“

Bioliq-Anlage am KIT, eine Versuchsanlage zur Nutzung von Reststoffen aus der Agrar- und Forstwirtschaft. Bild: KIT

Das Energiesystem der Zukunft wird in vielen Bereichen völlig anders aussehen als das heutige. Wir sprachen mit Holger Hanselka, Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie und Vizepräsident für den Forschungsbereich Energie der Helmholtz-Gemeinschaft, über die Herausforderungen der Energiewende, das Netz der Zukunft und den Beitrag, den die Wissenschaft leisten kann.

Was sind die großen Herausforderungen beim Umbau des Energiesystems? 

Wir stehen als Gesellschaft vor der großen Herausforderung, die Energiewende zu bewältigen. Das bedeutet einerseits Herausforderungen im Bereich der Wissenschaft aber auch im Bereich von Politik und Gesellschaft. Eine sehr große Herausforderung ist es aber auch, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft bei einer so großen, übergreifenden Aufgabe zusammenzubringen. 

In wenigen Sätzen: Wie wird unser Energiesystem 2050 aussehen?

Das Jahr 2050 ist zwar noch lange hin, was wir aber sicher wissen, ist, dass der Anteil der Erneuerbaren deutlich höher sein wird als heute. Das ist politisch gesetzt. Wenn der Anteil der Erneuerbaren deutlich höher liegt, dann werden die Erzeugung und der Verbrauch von Energie deutlich dezentraler sein. Denn Erzeugung und Verbrauch sind dann idealerweise an einem Ort gekoppelt. Zeitlich ist das aber häufig nicht der Fall. Energie wird nicht genau dann gebraucht, wenn sie erzeugt wird. Darum braucht man ein Netz, das den Verzug abpuffert. Das Netz der Zukunft ist aber kein Stromnetz, sondern ein Energienetz. Es gilt also Strom, Gas und Wärme zu koppeln und so miteinander zu verknüpfen, dass Überschuss in dem einen Netz auf das andere übertragen werden kann. Das Netz der Zukunft wird zudem extrem stark  IT-gesteuert sein. Die Digitalisierung wird die Energiewelt genauso durchfluten wie alle anderen Lebensbereiche auch.

Wie will die Initiative Energie System 2050 dazu beitragen?

Es gibt fünf Forschungsthemen, auf denen wir Antworten liefen wollen, um dann mit der Politik und der Gesellschaft den Dialog zu führen. Das wichtigste Themenfeld sind Speicher und Netze. Das Energiesystem der Zukunft wird dezentral sein und mit volatilen Quellen wie Sonne und Wind umgehen müssen. Gleichzeitig muss die Versorgungssicherheit sichergestellt sein. Das geht nur, wenn man entsprechende Energie-Speicher hat. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Man muss den Speicher immer zusammen mit dem Netz sehen, denn der Speicher ist ja Teil des Netzes.

Das zweite wichtige Thema ist die gesamte Kette chemischer Energieträger, die letztendlich fossile Rohstoffe im Bereich der Mobilität ersetzen sollen. Es gibt diese alternativen Energieträger ja schon länger – Stichwort Biomasse. Hier stellt sich aber noch die große Frage nach der Wirtschaftlichkeit und nach dem verantwortbaren Nutzen. Soll man die auf einem Feld angebaute Biomasse zur Ernährung nutzen oder als Energieträger? Und sind Biokraftstoffe der zweiten Generation die bessere Alternative, weil keine Konkurrenz zwischen Tank und Teller besteht?

Im dritten großen Bereich geht es um die Rolle von Wasserstoff im Energiesystem. Nicht nur im Stromsektor, sondern auch im Bereich Mobilität und Industrie. Hier geht es darum, Energiepfade aufzuzeigen, welche die gesamte Wertschöpfungskette abbilden und die den Wasserstoff nutzen, der ja ein sehr hohes Speicherpotenzial hat.

Das vierte und fünfte Forschungsthema ist für uns als Helmholtz-Gemeinschaft neben den wissenschaftlichen Themen von besonderer Relevanz, denn hier geht es darum, wie wir als Gesellschaft mit diesen Fragen umgehen. Wie übertragen wir Technik in die Gesellschaft und wie kann die Gesellschaft Technik verstehen? Im vierten Themenblock beschäftigen wir uns daher mit den nicht-technischen Effekten der Energiewende, beispielsweise mit der gesellschaftlichen Akzeptanz. Außerdem geht es hier um die Bewertung technisch-naturwissenschaftlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aspekte und die Wahl geeigneter Indikatoren hierfür. Denn dies stellt eine weitere große Herausforderung der Transformation des Energiesystems dar. Im fünften Bereich geht es um die dahinterliegende IT und die Frage, wie wir mit den Daten, den Informationen, den volatilen Netzen auf dieser Ebene umgehen. Hier erfassen wir die Strukturen und Wechselwirkungen in einheitlichen Datenbanken systemisch, beschreiben sie und werten sie aus, um einen optimalen Betrieb im künftigen Energiesystem zu gewährleisten.

Was muss geschehen, damit wir dahin kommen?

Technologisch müssen wir in den Feldern, die ich angesprochen habe, vorankommen. Das zweite ist wie gesagt die gesellschaftliche Akzeptanz und die hat eine ökonomische Komponente: Das Ganze muss am Ende bezahlt werden von denen, die Energie verbrauchen. Das ist auf der einen Seite der Endverbraucher und auf der anderen die Industrie. Hier geht es auch um die Frage, wie Energiepreise designt werden. Was ist der Preis für die Erzeugung und was sind Umlagen, Steuern und Abgaben irgendwelcher Art.

Geht es bei der gesellschaftlichen Akzeptanz der Veränderungen in erster Linie um den Preis?

Das ist schon ein wichtiger Punkt. Aber nicht der Einzige. Ein anderer ist die Frage, wie die Verbraucher mit schwankender Verfügbarkeit umgehen. Sind sie bereit sich ein Stück weit in ihr Leben hineinregieren zu lassen. Ein Beispiel ist die Waschmaschine, die ich zwar anschalte, die aber erst dann wäscht, wenn genug Strom im Netz ist, also unter Umständen ein paar Stunden später. Hier muss der Verbraucher in gewisser Weise Autonomie abgeben an das System, bekommt dafür aber vom System Verlässlichkeit und Preisstabilität. Was der Verbraucher zudem unbedingt haben will, ist Transparenz bei der Preisgestaltung. Ein weiterer Punkt ist die Akzeptanz von notwendigen Bauvorhaben: Die Debatte kennen wir. Wenn wir das Energienetz der Zukunft gestalten, wird es natürlich notwendig sein, die Energie von A nach B zu transportieren. Hierzu sind z.B. Oberleitungen notwendig und das geht nur, wenn die Bevölkerung es auch möchte.

Die Initiative hat sich vorgenommen, bis 2019 greifbare Ergebnisse zu liefern. Was ist damit gemeint?

Energiesystem 2050 ist eine Helmholtz interne Initiative im Forschungsbereich Energie. Bei der Helmholtz-Gemeinschaft findet die Forschung in übergreifenden Forschungsprogrammen statt. Der Forschungsbereich Energie ist in sieben Programmen aufgestellt. Den Forschern und den Gutachtern ist aufgefallen, dass die Programme stärker miteinander vernetzt werden müssen. Beim Aufsetzen des neuen Forschungsprogramms Energiesystem 2050 haben wir darauf geachtet, dass wir diese Vernetzung hinbekommen, ohne dass wir das tun, was ohnehin schon in den Programmen getan wird. Die greifbaren Ergebnisse, die für die nächsten drei bis vier Jahre vorgenommen haben, können wir nur liefern, weil wir die Arbeit in den anderen Programmen schon geleistet haben bzw. gerade leisten und wir diese Ergebnisse zusammenführen. Ein gutes Beispiel ist eine IT-Systemarchitektur mit entsprechenden Tools und Datensystemen, in der wir die Modellierung des Netzes mit der Modellierung der Speicher mit der Modellierung fossiler Ströme darstellen können. Hier wollen wir Werkzeuge als Service-Leistung für die Politik und die Gesellschaft zur Verfügung stellen, welche die Fragen beantwortet, wie eine reale Anlage designt werden muss.

Was ist der politische Hintergrund der Initiative?

Die Grundidee bei der Helmholtz-Gemeinschaft ist ja die, dass sich unsere Forschung an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientiert. Alles was wir tun, läuft durch bestimmte Gremien, in denen neben Vertretern aus der Wissenschaft Vertreter aus Gesellschaft und Politik sitzen. Hier wurde auf der Grundlage der unabhängigen wissenschaftlichen Begutachtung der Forschungsprogramme die Initiative Energiesystem 2050 auf den Weg gebracht. Die politischen Wünsche und Anforderungen aus der Gesellschaft an die Wissenschaft sind auf diesem Weg eingebracht worden.

Wie sorgen Sie dafür, dass die gewonnenen Erkenntnisse in Politik und Gesellschaft ankommen?

Das ist ein sehr wichtiges Thema für uns. Die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft ist nicht das Problem, die beherrschen wir alle. Um auch die Kommunikation in die Gesellschaft und die Politik hinzubekommen, gehen wir mit den erarbeiten Ergebnisse aktiv auf Politik und Gesellschaft zu und haben wir eine Reihe von Formaten und Maßnahmen geplant: Das reicht von einer eigenen Homepage mit den neusten Ergebnisse und Veröffentlichungen über Veranstaltungen im regionalen Raum bis zu Gesprächskreisen mit Abgeordneten. Und wir veranstalten zwei große Konferenzen 2017 und 2019, wo wir ganz bewusst Wissenschaftler mit Vertretern aus Politik, Gesellschaft, Industrie und Medien zusammenbringen und auf denen die Ergebnisse diskutiert werden sollen.

Gibt es schon erste Ergebnisse?

Die gibt es. Ein Beispiel aus dem Bereich Speicher und Netze ist die Plattform Energy Lab 2.0. Hier haben wir eine Infrastruktur geschaffen, mit der wir auf dem Campus des KIT modellhaft zeigen, wie die verschiedenen Verbraucher und Erzeuger auf der einen und das Netz auf der anderen Seite zusammenarbeiten. Wenn Sie das mit einer IT-Welt koppeln, stellt sich immer die Frage, was ist real abgebildet und was virtuell. Hierbei haben wir uns etwas aus dem Automobilbau abgeschaut: In der Motorenentwicklung ist der Motor als Hardware da, die Steuerelektronik wird dagegen simuliert. Genau diesen Prozess haben wir wissenschaftlich umgesetzt. Wir simulieren die gesamte Umgebung - Hardwarekomponenten und Softwarekomponenten. So können wir z. B. im Falle einer neu entwickelten Speichertechnologie simulieren, wie sich diese neue Technologie im Netz verhält. Das ist auch ein Beispiel dafür, wie wir Antworten auf Fragen, die aus Gesellschaft und Politik an uns gerichtet werden – in diesem Fall die Frage, welche Auswirkungen eine neue Speichertechnologie hat – beantworten können. 

Bild: KIT

Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka, Jahrgang 1961, ist Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Vizepräsident für den Forschungsbereich Energie der Helmholtz-Gemeinschaft. 2001 folgte er dem Ruf nach Darmstadt als Direktor des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit und Leiter des Fachgebiets „Systemzuverlässigkeit und Maschinenakustik“ an der TU Darmstadt. Von 2006 bis 2012 war Hanselka Mitglied des Präsidiums der Fraunhofer Gesellschaft. Zwischen 2011 und 2013 hatte er das Amt des Vizepräsidenten der TU Darmstadt inne. Seit 1. Oktober 2013 ist Holger Hanselka Präsident des KIT.

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