Strategische Mobilitätsplanung
„Wir stellen die gängigen Modelle auf den Kopf“

von links: Dr. Viktoriya Kolarova, Dr. Kerstin Stark, Nina Thomsen. Bild: atSTAKE
Drei Gründerinnen haben eine Software für die effiziente Verkehrsplanung entwickelt. Im Interview erklären sie, warum es ein kleines, schnelles Tool braucht und wie die Software helfen kann, Automatisierung und Digitalisierung der Verkehrsangebote im ländlichen Raum zu beschleunigen.
Die Sozialwissenschaftlerin Kerstin Stark und die Psychologin Viktoriya Kolarova haben zusammen mit der Verkehrsingenieurin Nina Thomsen das Startup atSTAKE gegründet. Im Interview geben sie Einblicke in ihre Software und erzählen, warum effiziente Verkehrsplanung für sie nicht nur mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz, sondern auch soziale Gerechtigkeit bedeutet.
Im Januar haben Sie das Startup atSTAKE gegründet. Was hat es damit auf sich?
Viktoriya Kolarova: Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer kleinen Kommune für die Verkehrsplanung zuständig. Für Ihre Bürgerinnen und Bürger möchten Sie nun etwas Neues – zum Beispiel einen Rufbus – einführen. Natürlich sollten Sie vorher sicher sein, dass sich das auch lohnt. Doch wegen der begrenzten Ressourcen sind komplexe Verkehrssimulationen für die meisten kommunalen Planerinnen und Planer keine Option. Und an genau dieser Stelle kommen wir ins Spiel.
Kerstin Stark: Wir haben eine Software für die strategische Mobilitätsplanung entwickelt, mit der wir auf Knopfdruck präzise, zuverlässige und verständliche Ergebnisse liefern. Andere Software für die Verkehrsmodellierung und -simulation auf dem Markt benötigt viel Knowhow und einen Wust an Daten, sodass mehrere Monate ins Land gehen können, bis ein Ergebnis vorliegt. Die Kommunen können das in der Regel auch nicht selbst machen, sondern müssen Ingenieursbüros beauftragen. Der Schlüssel für unseren Ansatz ist ein effizientes und schlankes Verkehrsmodell, eine intuitive Bedienbarkeit und eine gute Visualisierung der Ergebnisse.
Wen wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?
Kerstin Stark: Wir fokussieren uns auf kleine und mittlere Kommunen bis etwa 100.000 Einwohner, hier gibt es viel Bedarf für Verbesserungen besonders im öffentlichen Verkehrsangebot.
Viktoriya Kolarova: Genau. Denn der öffentliche Verkehr gehört ja zur Daseinsvorsorge. Diesen aufrecht zu erhalten und so wirtschaftlich wie möglich zu betreiben, stellt besonders die Kommunen im ländlichen Raum vor große Herausforderungen. Denn im Gegensatz zu großen Städten haben sie in der Regel wesentlich weniger Mittel und Personal für eine umfassende Planung. Städte wie Hamburg oder Berlin verfügen über eigene Verkehrsplanungstools und Mitarbeitende, die sich damit gut auskennen. Mit unserer Software können auch die kleineren Kommunen fundierte Entscheidungen treffen und wirtschaftlich optimierte Verkehrsangebote für ihre Bürgerinnen und Bürger schaffen.
Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz?
Kerstin Stark: Aufgrund von Personalmangel findet in großen wie in kleinen Kommunen seit Jahrzehnten eine Art Outsourcing statt. Das bedeutet, auch für kleinere Aufgaben müssen externe Berater oder Planungsbüros beauftragt werden. Oder man macht es selber, weiß aber nicht so richtig, wie man vorgehen soll und wie man die zur Verfügung stehenden Daten eigentlich nutzen kann. So verschenken die Gemeinden oft die Chance auf eine zukunftsfähige Verkehrsplanung. Wir wollen den Gemeinden eine Alternative an die Hand geben. Unsere Software ist verständlich, einfach zugänglich und liefert schnell Ergebnisse. Das erlaubt den Gemeinden, auch einen wesentlichen Teil der strategischen Planung mit ihrem eigenen Personal umzusetzen.
Viktoriya Kolarova: Wir gehen mit unserem Ansatz einen etwas anderen Weg als die gängigen Verkehrsplanungssoftwares. Wir fokussieren uns stärker darauf, das Verhaltens verschiedener Nutzersegmente möglichst realitätsnah zu modellieren, anstatt lediglich das durchschnittliche Verhalten darzustellen. Für die strategische Planung ist es wichtig, die Faktoren und Bevölkerungsmerkmale zu kennen, von denen abhängt, ob ein neues Verkehrsangebot von welchen Bevölkerungsteilen angenommen wird oder nicht. Wir haben dieses Wissen in unserer jahrelangen Forschung erworben, das ist unsere Kernkompetenz. Herz unserer Software sind datenwissenschaftliche statistische Methoden und intelligente Algorithmen. Sie wollen wissen, wie sich die Nachfrage ändert, wenn Sie den Preis für das Busticket erhöhen? Sie interessiert, welchen Einfluss die Reisezeit auf die Akzeptanz des geplanten Bedarfsverkehrs bei Erwerbstätigen der mittleren Einkommensgruppen hat? Solche und ähnliche Fragen kann unser Programm dann auf Knopfdruck beantworten. Dafür stützen wir uns auf eine Datenbasis aus eigenen Erhebungen und verschiedenen sozialstatistischen und räumlichen Daten.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, an einer Verkehrsplanungssoftware zu arbeiten?
Kerstin Stark: Wir arbeiten jetzt schon seit einigen Jahren am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in vielen Pilotprojekten zusammen. Dabei kommt es auch immer wieder vor, dass Praxispartner schnell mal wissen möchten, welches Angebot sich bei ihnen vor Ort lohnt. Solch eine Frage ist mit den wissenschaftlichen hochkomplexen Verkehrsmodellen leider oft schwer zu beantworten. Für uns war deshalb klar: Es braucht ein kleines, schnelles Tool, das sich viel enger an den tatsächlichen praktischen Problemen orientiert, die es in der Verkehrsplanung vor Ort gibt. Also haben wir unsere erste Idee erst in einer Machbarkeitsstudie validiert und dann unsere Software entwickelt.
Kann man Ihre Software schon erwerben?
Kerstin Stark: Ja, man kann uns bereits beauftragen. Aktuell arbeiten wir mit unseren Pilotkunden an der Validierung und Optimierung unsere Basistechnologie. Unser Ziel ist es, in ein paar Jahren das Produkt so weit entwickelt zu haben, dass wir es als Software-as-a-Service vertreiben können. Bis es so weit ist, verbessern wir die einzelnen Features und entwickeln neue, um dann möglichst passgenau verschiedenste Kundenanfragen bedienen zu können.
Viktoriya Kolarova: Mit einer Software-as-a-Service-Lösung können Sie als Verkehrsplanerin dann selbstständig arbeiten, die Parameter variieren und verschiedene Szenarien ausprobieren. Damit sehen sie, wie viele Leute tatsächlich umsteigen würden und wie sich diese Zahl ändert, wenn Sie den Preis oder die Fahrzeit oder weitere wichtigste Parameter verändern. Das alles lässt sich dann auf einem Dashboard visualisieren und hilft Ihnen, eine fundierte Entscheidung vorzubereiten und auch zu kommunizieren.
Was ist Ihre Vision vom Verkehrssystem der Zukunft und wie möchten Sie mit Ihrem Unternehmen dazu beitragen, dass diese Vision ein Stück weit Wirklichkeit wird?
Kerstin Stark: Unsere Vision ist ein besseres Verkehrssystem, das die verschiedenen Mobilitätsformen gleichberechtigt berücksichtigt – also anstatt einer fast schon erzwungenen Dominanz des privaten Autos eher eine bedarfsgerechte Mischung aus ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sowie Sharingangeboten. Zudem wollen wir dazu beitragen, dass die Kommunen die Potenziale solcher Verkehrsmittel besser verstehen und dann eben auch politisch mehrheitsfähig machen zu können. Denn gerade Letzteres ist ein oft übersehenes Problem. Die Verkehrsplanerinnen in den Kommunen haben oft sehr viele gute Ideen. Aber die politische Ebene versteht nicht unbedingt die fachlichen Argumente, sodass Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Und dabei hilft auch unsere Software. Denn sie liefert gut visualisierte, verständliche Zahlen, mit denen die Vorteile von Verkehrsmaßnahmen wie neuen Buslinien oder Sharingangeboten deutlich gemacht werden können.
Viktoriya Kolarova: Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt. In unserer Forschung haben wir uns auch intensiv mit Automatisierung und Digitalisierung im Verkehr beschäftigt. Natürlich sind automatisierte Fahrzeuge kein Allheilmittel, mit denen wir alle Probleme lösen. Aber sie können dazu beitragen, den öffentlichen Verkehr vor allem auch im ländlichen Raum zu verbessern. Mit unserem Unternehmen und unserer Software wollen wir deshalb auch dazu beitragen, dass solche innovativen Mobilitätsangebote an den richtigen Stellen platziert werden und damit das Verkehrssystem besser, nachhaltiger und gerechter machen.
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