Mikroelektronik und Hightech-Agenda

„Wir müssen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen“

Gerhard Fettweis ist Professor für Elektrotechnik an der TU Dresden leitet das Barkhausen Institut. Bild: Andreas Scheunert/Lichtwerke Design Fotografie

Ohne eigene Kompetenzen in der Mikroelektronik als Basis für Software bleiben wir in Deutschland abhängig –  wirtschaftlich, sicherheitstechnisch und strategisch, sagt Gerhard Fettweis vom Barkhausen Institut in Dresden. Im Interview erklärt er, warum die Hightech-Agenda ein Ausweg aus der Abhängigkeit sein kann.

Die Bundesregierung hat 2025 eine neue Hightech-Agenda verabschiedet. Sie benennt sechs Schlüsselthemen, in denen Deutschland technologisch souveräner und wettbewerbsfähiger werden soll – darunter auch die Mikroelektronik. Gerade beim Design zentraler Chips besteht großer Nachholbedarf.

Gerhard Fettweis gehört zu den profiliertesten Stimmen auf diesem Feld. Der Professor für Elektrotechnik an der TU Dresden leitet das Barkhausen Institut – eine internationale Forschungseinrichtung, die aus dem Exzellenzcluster „Center for Advancing Electronics Dresden“ (cfaed) hervorgegangen ist. Einer der wichtigsten Partner im Cluster: das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Im Interview spricht Gerhard Fettweis über Stärken und Schwächen Europas, politische Erwartungen – und warum Deutschland jetzt schnell handeln muss.

Wenn wir heute sehen, womit acht der zehn reichsten Unternehmer ihr Geld verdienen, dann ist das ganz viel Tech – nicht nur Hightech, sondern insbesondere die Schnittstelle zwischen Informatik und Elektrotechnik mit den Chips als Basiselement. Viele der am höchsten bewerteten Unternehmen, wie Apple, Google, Amazon, Microsoft, Meta, Tesla, Nvidia, sind in diesem Bereich unterwegs. Da geht es nicht um Maschinenbau, nicht um klassische Physik oder Materialwissenschaft, sondern um integrierte Mikroelektronik und Softwareplattformen, sogenannte Plattform-Chips. Diese Technologie ist der Motor der Zukunft. Ohne eigene Kompetenzen in der Mikroelektronik als Basis für Software bleiben wir abhängig – wirtschaftlich, sicherheitstechnisch und strategisch. Das muss Deutschland endlich ernst nehmen.

Elektronik und Robotik halten in immer mehr Alltagsprodukten Einzug – ob im Auto, im Küchengerät oder im Sportartikel. Deutsche Hersteller sind heute wirtschaftlich stark im Konsumgüterbereich, sofern dieser nicht von Elektronik dominiert wird. Allerdings enthalten diese Produkte zunehmend komplexe Elektronik. Wer dabei auf fremde Plattform-Chips setzt, etwa von US-Herstellern, macht sich abhängig, und zwar technologisch wie strategisch. Denn: Wer Chips nicht selbst designen kann, muss mit einer konkreten Aufgabenstellung zu einem externen Anbieter gehen. Der entwickelt eine passende Lösung. Aber oft nur mit befristeter Exklusivität. Nach Ablauf dieser Frist kann er denselben Chip auch an die Konkurrenz verkaufen. Wir geben also nicht nur das Know-how aus der Hand, sondern verlieren auch die Kontrolle über Funktion und Weiterentwicklung. Wir müssen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen und Deutschland in die Lage versetzen, die zentralen Plattform-Chips zu designen.

Wenn man ein modernes Elektroniksystem betrachtet, braucht es verschiedene Bausteine: Speicher, Sensorik, zentrale Plattformchips, Power-Management, Packaging und Schnittstellen. In der Sensorik ist Europa stark – etwa bei Kamera-, Audio- und Drucksensoren, auch bei optischer und mechanischer Präzision. Hier sind viele europäische Firmen führend, darunter auch deutsche wie Bosch. Anders sieht es bei den zentralen Plattform-Chips aus, auf denen Software und auch KI läuft, und die alle Signale koordinieren: Da sind wir in Europa praktisch blank. Auch im Speicherbereich haben wir seit der Pleite von Qimonda fast alles verloren. Besser stehen wir beim Power-Management und bei bestimmten Packaging-Technologien da – etwa mit Fertigungen in Österreich, wo Unternehmen wie Infineon leistungsstarke Chips für Elektroautos und Industrieanlagen produzieren. Auch neue Initiativen wie der Advanced Chip Design Accelerator in Heilbronn setzen genau dort an – mit dem Ziel, Europas Kompetenzen bei der Chipintegration strategisch auszubauen. Insgesamt ist die Lage also gemischt: Wir haben exzellente Komponenten – aber dort, wo die Intelligenz zusammenläuft, fehlen uns oft die entscheidenden Kompetenzen.

Genau. Ziel des Instituts ist es, exzellent in der Spitzenforschung für zentrale Plattformchips zu sein – also bei den Bausteinen, auf denen Software läuft, Sensoren und Aktoren angesteuert werden und die gesamte Intelligenz eines Systems zusammenläuft. Sie sind das Herzstück vieler künftiger Geräte – vom smarten Rasenmäher bis zum medizinischen Exoskelett. Und wir haben ein Alleinstellungsmerkmal: Wir erforschen auch Lösungen für die Vertrauenswürdigkeit von Plattform-Chips. Heute kosten solche Chips in der Entwicklung oft 100 bis 500 Millionen Euro – das können sich nur wenige leisten. Unser Ziel ist es, diese Hürde auf unter zehn Millionen zu senken. Damit würden plötzlich auch Mittelständler oder neue Start-ups in die Lage versetzt, eigene Chips zu entwickeln – und damit Innovationen wirklich selbst in der Hand zu behalten.

Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, leistungsfähige, vertrauenswürdige Plattform-Chips aus Europa zu bauen – mit klarer Kontrolle über Funktion, Sicherheit und geistiges Eigentum. Vertrauenswürdig heißt für uns: Die Chips müssen so gestaltet sein, dass sie sich nicht unbemerkt aus der Ferne manipulieren lassen – und dass man jederzeit nachvollziehen kann, was sie tun und warum. Genau dafür wurde das Barkhausen Institut gegründet.

Eine sehr große Bedeutung. Wir haben vorgeschlagen, das Barkhausen Institut als Nukleus für ein nationales Kompetenzzentrum im Bereich Plattformchips auszubauen. Deutschland braucht aus meiner Sicht drei solche Schwerpunkte: eines für Sensorik, eines für Packaging – und uns für diese zentralen Chips, auf denen Software, Schnittstellen und Sicherheitsfunktionen zusammenlaufen. Hier können wir auch auf die langjährige Kooperation mit dem HZDR bauen.

Gerade dort entscheidet sich die Souveränität unserer Industrie. Ich kann es nicht oft genug betonen: Wer Plattform-Chips selbst entwickeln kann, schützt sein geistiges Eigentum, behält Kontrolle über Funktion und Sicherheit. Die Hightech-Agenda ist für mich die Chance, diese Strukturen in Deutschland endlich strategisch aufzubauen.

Das HZDR war schon Teil des Exzellenzclusters, aus dem später das Barkhausen Institut hervorging. Unser Austausch ist bis heute eng – nicht zuletzt, weil Sebastian Schmidt, der Direktor des HZDR, in unserem Beirat sitzt. Neben gemeinsamen Forschungsthemen arbeiten wir auch an der Kommunikation mit der Gesellschaft. Mit dem COSMO Wissenschaftsforum haben wir ein öffentlich zugängliches Science Communication Center im Dresdner Kulturpalast eingerichtet, in dem auch das HZDR als Partner mitwirkt. Dort wollen wir zeigen, welche Lösungen die Technik der Zukunft bietet – aber auch zuhören, was die Menschen bewegt. Gerade bei Themen wie persönlicher Robotik oder KI ist es wichtig, Vertrauen zu schaffen. Forschung braucht nicht nur Förderung, sondern auch Akzeptanz.

Wenn wir die Hightech-Agenda insbesondere an der Schnittstelle zwischen Mikroelektronik und Software konsequent umsetzen, dann bin ich sehr optimistisch. Deutschland ist ein Stehaufmännchen. Wir kriegen das hin.

Die Hightech-Agenda

In ihrer 2025 gestarteten Hightech-Agenda benennt die Bundesregierung sechs Schlüsselthemen, in denen Deutschland seine technologische Souveränität stärken will. Ziel ist es, Forschung, Unternehmen und Staat enger zu vernetzen und strategisch relevante Innovationsfelder gezielt zu fördern.

Die sechs Themenfelder sind:

  • Mikroelektronik, mit dem „Ziel 1: Chip Design“
  • Künstliche Intelligenz
  • Quantentechnologien
  • Biotechnologie
  • Nachhaltige Energietechnologien
  • Raumfahrt und Erdbeobachtung

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