Klima und Wetter
„Wir erleben gerade eine Revolution in der Wettervorhersage“

Thomas Jung ist Leiter der Sektion Klimadynamik, Sprecher des Forschungsprogramms "Changing Earth – Sustaining our Future" und Vizedirektor des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Bild: Aleksei Koldunov (AWI)
Herr Jung, wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen Wetter- und Klimavorhersagen?
Traditionell sagt man: Wettervorhersagen reichen von Stunden hin zu zwei Wochen in die Zukunft. Darüber hinaus – von Wochen bis hin zu 10 Jahren – sprechen wir von Klimavorhersagen. Hier spielt die Vorhersage von Phänomenen wie El Nino eine entscheidende Rolle. Und dann gibt es noch die Klimaprojektionen. Sie helfen dabei, mögliche „Was-wäre-wenn“-Szenarien zu erkunden – je nachdem, welche gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen getroffen werden.
Könnten Sie auch den methodischen Unterschied zwischen Wetter- und Klimamodellen kurz erklären?
Natürlich. Wettermodelle fokussieren stark auf die Atmosphäre. Sie rechnen mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung und versuchen, den konkreten Zustand der Atmosphäre möglichst genau fortzuschreiben – oft im Takt von Minuten bis Stunden. Klimamodelle simulieren das ganze Klimasystem – also nicht nur die Atmosphäre, sondern auch Ozeane, Landoberflächen oder Meereis. Da man mit Klimamodellen länger simuliert und auch andere Komponenten als die Atmosphäre berücksichtigt, ist die räumliche Auflösung etwas gröber. Wir sehen aber auch, dass Klima- oder Erdsystemmodelle zunehmend auch für die Wettervorhersage verwendet werden. Man will einfach mittlerweile mehr als „nur“ die Entwicklung des Wetters über die kommenden Tage wissen.
Wie entstehen dann Aussagen wie „Der Sommer wird trocken“ – und was steckt wirklich dahinter?
Solche Prognosen beruhen meist auf saisonalen Vorhersagesystemen – also gekoppelten Klimamodellen, die Atmosphäre, Ozeane, Landoberflächen und Meereis gemeinsam berechnen. Solche Vorhersagen werden monatlich von verschiedenen Zentren berechnet. Frei verfügbar sind saisonale Vorhersagen beispielsweise über den europäischen Copernicus Climate Change Service.
Wie zuverlässig ist das?
Es ist zumindest Vorsicht angebracht: Die Aussage „Der Sommer wird trocken“ kann zwei Gründe haben: Ersten könnten wir ein vermehrtes Auftreten von Hochdruckwetterlagen haben, die mit Hitze und Trockenheit einhergehen. Zweitens führt auch der Klimawandel zu trockeneren Sommern, zumindest in einigen Regionen. Beide Aspekte sind in den saisonalen Wettervorhersagen enthalten. Die Vorhersage der Wetterlagen Wochen bis Monate im voraus sind dabei allerdings sehr unsicher – im Gegensatz zum Einfluss des Klimawandels.
Wie gut sind solche Modelle, wenn es um konkrete Vorhersagen für Europa geht?
Das kommt stark darauf an, was man vorhersagen will. Wenn es um Wetterlagen geht, dann ist Europa schwierig. Die Atmosphäre ist in diesem Gebiet häufig sehr sprunghaft. Vorhersagen über die Bodenfeuchte zu machen, ist da beispielsweise schon etwas einfacher, da die Bodenfeuchte ein gewisses Gedächtnis hat. Also: Wenn heute die Böden zu trocken sind, dann bleiben solche Anomalien häufig wochenlang bestehen. Und dann ist da der Klimawandel. Vorhersagen wie „Der Sommer wird wärmer als frühere Sommer“ sind inzwischen ziemlich sicher – einfach, weil der Klimawandel das Durchschnittsniveau verschiebt.
Liegt die Sprunghaftigkeit der Atmosphäre an den Modellen – oder an der Atmosphäre selbst?
Letzteres. Die physikalischen Prozesse in der Atmosphäre enthalten so viel interne Variabilität – gerade im Euro-Atlantischen-Raum – dass sie sich auf mittleren Zeitskalen schlicht kaum vorhersagen lassen. Das ist höchstwahrscheinlich keine Schwäche der Modelle, sondern eine Eigenschaft des Systems.
Anders sieht es bei langsameren Komponenten des Klimasystems aus, etwa bei der Bodenfeuchte oder den Ozeanen. Wenn der Boden einmal trocken ist – wie in diesem Frühjahr –, dann bleibt er es oft über Wochen, sofern es nicht kräftig regnet. Ähnliches gilt für marine Hitzewellen: Wenn sich die Nordsee einmal aufheizt, bleibt sie über viele Wochen ungewöhnlich warm. Solche Prozesse lassen sich besser vorhersagen.
Welche Rolle spielen dabei globale Einflüsse wie El Niño oder die Nordatlantische Oszillation?
Eine große. El Niño etwa lässt sich viele Monate im Voraus relativ gut prognostizieren – allerdings wirkt dieses Phänomen in anderen Regionen wie dem Pazifikraum und in Nordamerika. In Europa spüren wir es nur abgeschwächt.
Die Nordatlantische Oszillation wiederum ist für unser Wetter enorm wichtig. Sie steuert im Winter wie im Sommer, ob feuchte oder trockene Luftmassen dominieren. Aber auch sie lässt sich auf Grund der angesprochenen internen Variabilität der Atmosphäre im Nordatlantik und über Europa nur schwer vorhersagen – gerade im Sommer ist ihr Verhalten besonders sprunghaft.
Wie verändert sich die Vorhersagepraxis durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Wir erleben derzeit eine echte Revolution – gerade in der Wettervorhersage. KI-gestützte Modelle wurden mit Beobachtungsdaten der letzten Jahrzehnte trainiert. Heute liefern sie vielfach gleichwertige oder sogar bessere Wetterprognosen als klassische, physikbasierte Modelle. Und das mit einem Bruchteil des Rechenaufwands. Vor allem bei großräumigen Mustern wie Hoch- oder Tiefdrucklagen sind sie inzwischen sehr gut.
Prognose für den Sommer. Die Abbildung wurde mit einem neuen Webtool erstellt, das im Rahmen der Helmholtz Innovation Pool Projektes SCENIC entwickelt wurde.
Und wie gut schlagen sich diese KI-Systeme bei Extremwetter oder neuen Situationen?
Erstaunlich gut. Anfangs war man skeptisch, ob KI auch Ereignisse vorhersagen kann, die selten oder nie im Training vorkamen. Doch Tests zeigen: Selbst dann liefern sie häufig plausible Ergebnisse. Das hat viele überrascht. Es gibt aber auch noch Schwächen – etwa bei der räumlichen Auflösung. Details wie Temperaturunterschiede an Küsten oder in Gebirgen sind bei aktuellen KI-Modellen oft noch zu glatt dargestellt. Aber daran wird intensiv gearbeitet.
Könnten KI-Modelle klassische Klimamodelle irgendwann vollständig ersetzen?
Vermutlich nein – und das ist auch nicht das Ziel. Die traditionellen, physikbasierten Modelle bleiben wichtig, unter anderem für die Generierung von Daten zum Trainieren von KI. Im Ozean haben wir beispielsweise zu wenige Beobachtungen, um reine KI-Modelle robust zu trainieren. Aber die beiden Ansätze ergänzen sich. Klassische Modelle liefern zusätzliche Trainingsdaten, KI-Modelle ermöglichen dann blitzschnelle Vorhersagen.
Wie groß wird der Anteil an KI in der Praxis künftig sein?
Im Wetterbereich vermutlich sehr groß – vielleicht sogar dominant. Bei Klima- oder Langfristmodellen dürfte der Anteil langsamer wachsen, da dort komplexere Prozesse und längere Zeitskalen eine Rolle spielen. Außerdem haben wir hier häufig nicht genug Daten zum Trainieren. Aber auch in der Klimamodellierung sehen wir erste Prototypen, zum Beispiel bei uns am Alfred-Wegener-Institut. Die Entwicklung ist rasant.
Sie sprachen von Fehlinterpretationen in der aktuellen Sommerdebatte. Was meinen Sie damit?
Wenn eine saisonale Vorhersage zeigt: „Der Sommer wird ungewöhnlich warm“, dann wird das oft als eine Zunahme von Hochdruckwetterlagen interpretiert – und nicht so sehr als das Ergebnis thermodynamischer Prozesse durch den Klimawandel. So führt zum Beispiel mehr CO2 in der Luft an jedem Tag zu höheren Temperaturen). Das wird häufig verwechselt. Manche Medien interpretieren Temperaturabweichungen als Hinweis auf anhaltende Hitze, obwohl es schlicht die Verschiebung durch den Klimawandel ist. Das sorgt für Missverständnisse.
Wie lässt sich das künftig besser kommunizieren – auch angesichts der Datenflut?
Man könnte natürlich argumentieren, dass der wahre Grund für einen vorhergesagten warmen Sommer für viele Nutzer der Vorhersagen zweitranging ist – Hauptsache die Vorhersage stimmt. Wenn man das aber richtig kommunizieren will, dann braucht man sicherlich eine Einordnung von Expertinnen und Experten. Die Einbindung solcher Expertinnen und Experten ist aber nicht immer einfach, gerade wenn es viele Fragen gibt. Man kann hier davon sprechen, dass das nicht gut skaliert. Wir arbeiten derzeit an Systemen, die mithilfe von Sprachmodellen wie ChatGPT und Agenten-Systemen Antworten auf Alltagsfragen geben – etwa: „Wie wahrscheinlich ist eine Hitzewelle in Bremen im Juli?“ Das Ziel ist, belastbare Informationen für breite Nutzergruppen verfügbar zu machen – inklusive Einordnung.
Und worauf können wir uns für diesen Sommer konkret einstellen?
Ich kann nicht sagen, wie die Wetterlage im Juli oder August wird – dafür ist die Unsicherheit zu groß. Aber ich kann mit Sicherheit sagen: Jeder einzelne Tag in Deutschland wird etwa zwei Grad wärmer sein als er es ohne Klimawandel wäre. Dieses Klimawandelsignal spüren wir ganz konkret – und es verändert die Dynamik des gesamten Sommers. Nicht nur, weil es heißer ist, sondern weil die durstigere Atmosphäre dem Boden zusätzlich Feuchtigkeit entzieht. Das heißt: Selbst ohne Hitzewellen steigt die Wahrscheinlichkeit für Trockenphasen – und ihre Wirkung auf Landwirtschaft, Wälder und Städte.
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