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Digitalisierung und KI

Wie sieht die Energieversorgung der Zukunft aus?

(Bild: shutterstock)

Um die Energiewende zu schaffen, muss das Energiesystem neu gedacht werden. Der Schlüssel dazu liegt in der Digitalisierung. Die Wissenschaftler der Helmholtz-Forschungszentren arbeiten gemeinsam daran, diesen digitalen Schatz zu heben und für eine saubere Zukunft nutzbar zu machen.

Veit Hagenmeyer, Professor für Energieinformatik und Direktor des Instituts für Angewandte Informatik am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT). Bild: KIT

„Digitale Daten spielen im Energiesystem der Zukunft eine überragende Rolle“, sagt Veit Hagenmeyer, Professor für Energieinformatik und Direktor des Instituts für Angewandte Informatik am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT). Die vorhandenen Datenmengen dienen als Grundlage für Modelle und Simulationen der zukünftigen Netze. Denn nur mit Hilfe dieser Informationen lassen sich Prognosen für Energiebedarf, Energieerzeugung und Preis in Echtzeit erstellen. Ohne sie lassen sich die unterschiedlichsten Komponenten des Systems weder regeln noch steuern. „Digitale Daten sind das Rückgrat einer sauberen Zukunft“, fasst Hagenmeyer zusammen. Als Sprecher des Helmholtz-Programms „Energiesystemdesign“, bei dem die Forscherinnen und Forscher das Energiesystem der Zukunft schaffen wollen, ist er sich auch der großen Herausforderung bewusst, die dezentral gewonnen Informationen so zu orchestrieren, dass Energieerzeugung und Energieverbrauch zu jeder Zeit ausgeglichen sind. Die Rechnung ist ganz einfach: Gibt es eine Diskrepanz zwischen der vorhandenen Energiemenge und dem nachgefragten Verbrauch, gehen die Lichter aus.

Komplexe neue Welt

Das Zusammenspiel der komplexen Komponenten beschäftigt auch Andrea Benigni: „Die einzelnen Glieder dieser Energieversorgungskette sind sehr eng miteinander verzahnt.“ Der Professor am Lehrstuhl für Methoden zur Simulation von Energiesystemen an der RWTH Aachen ist Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich und beschäftigt sich mit den Energienetzen, die alles verbinden. „Das klassische Energiesystem speichert keine elektrische Energie im Netz“, erklärt er. „Angebot und Nachfrage müssen also stets ausgeglichen werden.“ Schalten also nach Feierabend viele Haushalte ihre Lampen und Fernseher an, müssen die Kraftwerke möglichst sofort mehr Leistung zur Verfügung stellen. Diese Bereitstellung von Leistungsreserven ist jahrzehntelang erprobt und funktioniert sehr gut, wenn diese vornehmlich aus Kernkraftwerken, Braunkohlekraftwerken, Steinkohlekraftwerken, Gaskraftwerken oder auch Pumpspeicherkraftwerken stammen.

 

Andrea Benigni ist Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich. (Bild: FZ Jülich)

Was bei konventionell erzeugter Leistung kein Problem ist, ist bei regenerativen Energien nicht mehr ohne weiteres möglich. Sonne und Wind können nicht aufgedreht werden, wenn der Mensch es gerade will. „Um die vielen kleinen Solaranlagen auf Gebäuden, die Solarparks, die Windräder auf dem Land und die Windparks im Meer mit dem Energiebedarf von Haushalten und Industrie zusammenzubringen, brauchen wir neue Speicherkonzepte und intelligente Stromnetze“, sagt Andrea Benigni. „Und wirklich intelligent sind sie dann, wenn sie sich in Echtzeit steuern lassen.“

Der Schlüssel zu solchen Netzen liegt in der Digitalisierung. Denn bisher genügte im Wesentlichen eine Kenngröße, um das Stromnetz stabil zu halten: die Netzfrequenz. „Ziehen die Verbraucher mehr Energie aus dem Netz, wird den Turbinen in herkömmlichen Kraftwerken mehr abverlangt. Sie drehen langsamer. Dadurch sinkt die Netzfrequenz“, erklärt Andrea Benigni. „Das wiederum messen die Kraftwerksbetreiber und feuern die Turbinen stärker an. Die Frequenz steigt und das Netz bleibt stabil.“

Ohne stabilisierende Turbinen wird das Netz aber wesentlich komplexer. Angebot und Nachfrage müssen aus den Daten vorhergesagt werden, die durch jede Komponente des Energiesystems generiert werden. Dabei nur an Elektrizität und Stromtrassen zu denken, greift jedoch viel zu kurz. „Wir dürfen elektrischen Strom, Wärme, Mobilität und Grundstoffe für die Industrie nicht länger getrennt voneinander betrachten“, erklärt Andrea Benigni. „Die Sektorkopplung, also die Vernetzung von Strom-, Wärme- und Gasnetz als auch Mobilitätssektor, ist eines der tragenden Elemente der Energiewende.“ Die Verbindung der verschiedenen Netze gilt als Lösungsweg für eine Dekarbonisierung. Denn um wirklich alle fossilen Brennstoffe wie Gas, Kohle und Benzin zu ersetzen, muss Strom aus erneuerbaren Energien auch für Verkehr und Wärme genutzt werden. Beispiele lassen sich zahlreich aufzählen: Mit regenerativem Strom heizen Wärmepumpen unsere Wohnungen und fahren unsere Elektroautos. Die Energie aus Wind und Sonne kann aber auch Wasser in seine Bestandteile zerlegen. Der so erzeugte Wasserstoff wird dann nicht nur zum Langzeitenergiespeicher, der in Brennstoffzellen wieder zu Strom und Wärme wird. Er kann auch zu flüssigem Treibstoff werden und beispielsweise Flugzeuge in die Luft bringen und gleichzeitig liefert er all die chemischen Grundstoffe, die heute noch aus Erdöl gewonnen werden. „Das gesamte komplexe Energiesystem muss intelligent werden, um ineinander greifen zu können“, ist sich Andrea Benigni sicher.

Die Sektorenkopplung verbindet die Strom-, Wärme- und Gasnetze als auch den Mobilitätssektor miteinander. Damit ist sie eines der tragenden Elemente der Energiewende, denn um alle fossilen Brennstoffe wie Gas, Kohle und Benzin zu ersetzten, muss der Strom aus erneuerbaren Energien auch für Verkehr und Wärme genutzt werden. Für eine intelligente Sektorenkopplung ist die Digitalisierung der Sektoren notwendig, um beispielsweise Schwankungen bei Angebot und Nachfrage an Strom zu regulieren. (Grafik: Helmholtz)

Reallabore als Fenster in eine saubere Zukunft

Wie das funktionieren kann, testet sein Team gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom KIT im Living Lab Energy Campus (LLEC). „In diesem Reallabor entwickeln und erproben wir lernfähige und vorausschauende Regelungsstrategien, um Energieversorgungssysteme in den Bereichen Wärme, Strom, chemische Energiespeicher und Mobilität miteinander zu verbinden“, skizziert der Elektrotechniker das Projekt. „Mein Institut ist dabei für die Informations- und Kommunikationsplattform zuständig.“

„Mit den Jülicher Kolleginnen und Kollegen arbeiten wir nicht nur am LLEC erfolgreich zusammen“, ergänzt Veit Hagenmeyer. „Wir haben hier in Karlsruhe auch das Energie Lab 2.0 aufgebaut, bei dem wir wertvolle Unterstützung von unseren Partnern vom FZJ und vom DLR erhalten.“ Auch bei diesem Großprojekt steht die Kopplung der Sektoren im Mittelpunkt. „Mit realen Verbraucherdaten simulieren und testen wir, wie sich nachhaltige Energieerzeugung und Speichermethoden intelligent vernetzen lassen.“ Dazu gehört unter anderem auch ein Lithium-Ionen Großspeicher, der bis zu 1,5 Megawattstunden elektrische Energie bereitstellen kann. Solche elektrochemischen Speicher sind enorm wichtig, um die Schwankungen von Sonne und Wind kurzfristig auszugleichen. Sie leistungsfähiger zu machen, ist ein großer Schritt in Richtung Energiewende.

Helge Stein ist Tenure-Track Professor für Angewandte Elektrochemie am Helmholtz-Institut Ulm. (Bild: KIT/Daniel Messling)

Neue Batterien aus dem Tuschkasten der Elemente

„Aktuelle Batterien sind in ihrem Inneren hochkomplex“, sagt Helge Stein. „Die Grenzfläche aus Elektroden und Elektrolyt – wir nennen dies die Fest-Flüssig-Interphase – bestimmt im Wesentlichen, wie lange die Batterie hält, wie oft und wie schnell ich sie laden kann, wie sicher sie ist.“ Stein ist Tenure-Track Professor für Angewandte Elektrochemie am Helmholtz-Institut Ulm. Dieses gehört zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und wurde 2011 zusammen mit der Universität Ulm, dem ZSW und dem DLR gegründet, um die nächsten Generationen elektrochemischer Energiespeicher zu entwickeln. Der Knackpunkt ist dabei, das komplexe Zusammenspiel der eingesetzten Materialien. Ein paar Prozent mehr von dem einen könnte die Batterie zum Beispiel länger leben lassen aber dafür vielleicht die Ladedauer in die Länge ziehen. Der Austausch eines Stoffes gegen einen bisher nicht verwendeten, könnte vielleicht zur Superbatterie führen – oder sich als Fehlschlag erweisen. Durch umfassendes Datenmanagement werden aber auch diese vermeintlichen Fehler genutzt, um Batterien ständig zu verbessern.

„In der Regel braucht es 20 bis 40 Jahre, eine neue Technologie auf den Markt zu bringen“, erzählt er. „Wir wollen das um den Faktor 10 beschleunigen.“ Dazu haben er und sein Team gerade erst eine gut 18 Meter lange Anlage aufgebaut, in der kleine Roboter und eine ausgeklügelte künstliche Intelligenz automatisch nach den besten Materialkombinationen für neue Batterien suchen. „Tuschkasten der Elemente“ nennt er das System zur kombinatorischen Synthese liebevoll. „Wie beim Malen bedient sich die Anlage aus den rund 60 bereitgestellten chemischen Elementen“, umreißt Helge Stein den Prozess. „Daraus mischt sie die verschiedensten Materialkombinationen und fertigt dann zuerst millimeterkleine Halbzellen und später Knopfzellen wie es sie im Supermarkt gibt.“ Die sind zwar noch weit von einer Batterie im Auto oder Heimspeicher entfernt, doch um die wichtigsten Eigenschaften zu messen, reichen sie aus. „Die Daten der Messungen fließen wieder in den Prozess zurück. Die KI nutzt sie und plant daraufhin die nächste Materialkombination.“

Aktives Lernen nennt sich dieser Ansatz der künstlichen Intelligenz und nimmt den Forscherinnen und Forschern jede Menge mühsame Laborarbeit ab. „Wir müssen nun nicht langwierig Materialpulver herstellen und mischen, sondern können uns ganz auf unsere kreative Forschung konzentrieren und werden dabei von der KI geführt.“ Denn die kreativen Ideen etwas Neues zu machen, kommen auch in Zukunft von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Und diese geben auch den Rahmen vor, in dem sich die Algorithmen als Werkzeuge austoben. „Die KI wird auf absehbare Zeit nur ein einem eng abgesteckten Bereich nach einer kreativen Lösung suchen“, erzählt Helge Stein. „Der kreative Geist sitzt nach wie vor auf menschlichen Schultern.“ Die Digitalisierung sei Schlüssel zu all den Techniken, mit denen er und sein Team arbeiten. Denn Big Data und KI leben von Daten. Sie brauchen sogar ungeheure Mengen davon. „Die Energiewende ist eine globale Herausforderung, die wir nur gemeinsam lösen können“, meint der physikalische Chemiker. „Deshalb streben wir offene Schnittstellen an. Wir veröffentlichen also unsere Daten live, sodass andere Forschungsgruppen damit arbeiten können.“

Schritt für Schritt zum autonomen Energiesystem

Ohne Digitalisierung, da sind sich die Expertinnen und Experten einig, kann die Energiewende nicht funktionieren. Doch beim Energiesystem der Zukunft allein auf die technische Seite von Erzeugung und Verbrauch zu schauen, wäre viel zu kurzsichtig. „Auch die ökonomische Seite hat großen Einfluss – und ist ohne Digitalisierung nicht umsetzbar“, Veit Hagenmeyer. „Das beginnt bei den großen Strombörsen, an denen die elektrische Energie gehandelt wird.“ Denn wenn der Strompreis aus schwankendem, dezentralem Angebot und Nachfrage über alle Sektoren hinweg in Echtzeit gebildet werden soll, führt kein Weg an Algorithmen vorbei. „Und es geht weiter bis zu neuen digitalen Geschäftsmodellen, die jeden Einzelnen am Energiesystem beteiligen können.“ Hier denkt er an variable Stromtarife, bei denen man sich nicht über ein Jahr oder länger bindet. Stattdessen erhalten intelligente Stromzähler im Haus den Preis in Echtzeit. Die heimische Steuerzentrale orchestriert dann alle Elektrogeräte. Ist der Strom gerade günstig, schaltet sich die Ladeeinheit für das Elektroauto zu. Sagt das Analysesystem für die nächste Stunde ebenfalls günstige Preise vorher, springen Waschmaschine und Geschirrspüler an. Und das alles passiert, ohne dass wir viel davon mitbekommen. Doch langsam! Einen Schritt nach dem anderen: „Bei der Autonomie des Energiesystems wird es wie beim autonomen Fahren sein“, vergleicht Veit Hagenmeyer. „Da gibt es auch verschiedene Stufen von der Assistenz über eine Teilautonomie bis hin zum völlig autonomen Betrieb. Das wollen wir irgendwann auch mit den Energienetz erreichen.“

Das Energy Lab 2.0 – Forschung für die Energiewende

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