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5 Fragen an...Benjamin Schäfer

„Wir wollen KI transparent und nachvollziehbar machen“

(Credit: Blue Andy/Shutterstock)

Wie Digitalisierung, Big Data und KI zum Gelingen der Energiewende beitragen können, untersucht die neue Arbeitsgruppe „Datengetriebene Analyse komplexer Systeme für eine nachhaltige Zukunft“ um Benjamin Schäfer am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Im Interview erzählt der Physiker, wie künstliche Intelligenz helfen soll, die Energienetze fit für die Zukunft zu machen und warum er aus der Black Box einen Glaskasten machen will.

Benjamin Schäfer ist Gruppenleiter am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) für "Daten-getriebene Analyse komplexer Systeme". (Bild: privat)

Herr Schäfer, Sie haben gerade Ihre neue Arbeitsgruppe „Datengetriebene Analyse komplexer Systeme für eine nachhaltige Zukunft“ ins Leben gerufen. Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer zukünftigen Arbeit?

Unser Schwerpunkt liegt zumindest am Anfang auf den Stromnetzen. Hier wollen wir zum Beispiel erklären, in welcher Weise die Einspeisung von Photovoltaik-Anlagen, der aktuelle Strompreis oder die Uhrzeit für eine Vorhersage der Stromnetz-Frequenz oder des Verbrauchs relevant sind. Aus diesem Bereich komme ich und hier kenne ich mich aus. Aber eine neue Position bedeutet auch immer, sich ein Stückweit neu zu erfinden. Deshalb werden wir in der nächsten Zeit den Fokus weiten – und zum Beispiel die Sektorkopplung, also die Verknüpfung von Elektrizität, Wärme, Verkehr und Industrie, genauer betrachten.

Dabei nutzen Sie Werkzeuge aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz wie zum Beispiel maschinelles Lernen. Wie können diese helfen?

Bleiben wir einfach mal beim Strom: Die große Herausforderung besteht darin, dass Angebot und Nachfrage zu jeder Zeit ausgeglichen sein müssen. Schauen wir auf das europäische Stromnetz, das von Portugal bis in die Türkei und von Dänemark bis Sizilien reicht. Es versorgt einige hundert Millionen Menschen mit Energie – das allein ist schon hochkomplex. Durch dezentrale Ansätze wie Solaranlagen auf Hausdächern aber auch viele kleine Gaskraftwerke wird die Komplexität des Energiesystems noch weiter erhöht. Zum Glück gibt es dazu heute viel mehr Daten als noch vor zehn Jahren – und diese sind zumindest teilweise auch öffentlich verfügbar. Die EU hat extra Transparenzgesetze für eine kritische Infrastruktur wie das Stromnetz geschaffen. Die Daten kann man nun mit klassischen Methoden der Datenanalyse auswerten oder mit Hilfe von Modellen des maschinellen Lernens verarbeiten – und das tun wir auch. Aber es sind so viele Daten mit so vielen verschiedenen Dimensionen, dass wir sie klassisch nur unzureichend auswerten können. Also lassen wir den Computer aus den Daten lernen und sehen, was dabei rauskommt. Das Resultat vergleichen wir dann mit den Ergebnissen aus unseren klassischen Ansätzen. Im Endeffekt können wir diese dann korrigieren oder den KI-Algorithmus anders lernen lassen oder im Nachhinein interpretieren. Hierfür setzen wir auf eXplainable AI.

Was genau ist eXplainable AI?

Bei der „erklärbaren künstlichen Intelligenz“, wie dieser Forschungszweig auf Deutsch heißt, verwandeln wir die Black Box in eine Glass Box. Dazu muss man wissen, dass wir heute bei einigen KI-Werkzeugen wie dem Deep Learning nicht wirklich wissen, wie der Algorithmus am Ende zum Ergebnis kommt. Wir kennen nur die Daten, die wir eingeben und die Ergebnisse, die wir erhalten. Alles dazwischen ist eine Black Box. Das wollen wir ändern. Wir wollen die Schritte, mit denen die KI zu einem Ergebnis kommt, transparent und nachvollziehbar machen. Denn auf diese Weise kann man die Ergebnisse einerseits gut mit den klassischen Modellen vergleichen. Andererseits kann man aber auch jenen Ängsten in der Bevölkerung entgegenwirken, die KI-Entscheidungen als nicht nachvollziehbar betrachten.

Sie persönlich scheinen keine Angst vor KI zu haben. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Algorithmen und Energiesysteme kombinieren?

Ich habe Physik studiert, weil mich die großen Fragen des Universums schon immer faszinierten. Also gehörten Schwarze Löcher und subatomare Teilchen für eine Weile zu meinem Alltag. Aber dann ist mir klargeworden, dass diese Themen für die Gesellschaft nicht unbedingt am drängendsten sind. Deshalb habe ich mich in Richtung Nachhaltigkeit und Energiewende orientiert. Als Physiker kann ich hier die Modellierung nutzen und KI als Werkzeug, um die Daten zu verarbeiten. Wichtig ist mir, den Schwerpunkt auf erklärbare KI zu setzten, um unsere Erkenntnisse auch der breiten Öffentlichkeit vermitteln können.

Glauben Sie, dass KI irgendwann einmal die Energienetze nicht nur analysiert, sondern auch in Echtzeit selber managt?

In absehbarer Zukunft wird die KI wohl eher eine unterstützende Rolle spielen. Wenn wir mit Netzbetreibern sprechen, äußern sie oft den Wunsch nach einer Art Ampelsystem. Das könnte dann sagen: „Achtung, in den nächsten Stunden wird es turbulent.“ So hat der Anwender die Möglichkeit, sich darauf einzustellen. Der nächste Schritt könnte dann in Richtung quantitative Vorhersage gehen. Das System sagt dann eben Werte voraus, die dem Nutzer bei Entscheidungen helfen. So ähnlich ist es heute zum Beispiel schon in der Radiologie. Die KI markiert Bereiche auf den Röntgenbildern, denen die Fachleute dann besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Die Diagnosen stellt aber immer noch ein Mensch. Und genau so ein Vorgehen kann ich mir gut für die Energiesysteme vorstellen. Die KI sagt voraus - und der Mensch entscheidet.

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