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Blickwinkel

„Wer profitiert von der privaten Raumfahrt?“

Bild: Sylvia Wolf

Raumfahrtprojekte wurden jahrzehntelang allein von Staaten und nationalen Raumfahrtagenturen realisiert. Doch immer mehr Unternehmen wollen den Markt revolutionieren. Wie werden sich private und staatliche Anbieter künftig das Weltall aufteilen? Zwei Blickwinkel.

Martin Kamprath, Head of New Business & Innovation beim deutschen New Space-Unternehmen Planetary Transportation Systems

„Die kommerziell betriebene Raumfahrt bedeutet eine Demokratisierung des Zugangs zum Weltraum.“

Private Unternehmen in der Raumfahrt eröffnen großartige Chancen – und das auch für die Wissenschaft. Eine Arbeitsteilung auf höchstem Niveau ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass sich die Forscher auf ihre wissenschaftlichen Fragen konzentrieren können. Teilaufgaben wie der Transport oder die Versorgung mit Energie oder Daten können problemlos ausgelagert werden. Von Polarforschern verlangt schließlich auch niemand, dass sie selbst ihren Versorgungshubschrauber entwickeln und fliegen.

Genau an dieser Stelle kommen private Unternehmen ins Spiel. Dass sie immer stärker in Aktivitäten eingebunden werden, die vorher von staatlichen Institutionen durchgeführt wurden, ändert die vorhandenen Strukturen grundlegend: Weltraumagenturen wie die ESA oder die NASA treten nicht mehr als exklusiver Auftraggeber von privaten Zulieferern auf, sondern als ein Kunde unter vielen. Die allmähliche Öffnung wird im Besonderen von jungen Unternehmen der „New-Space“-Bewegung getrieben, die Ansätze entwickeln, um die Kosten der Raumfahrt zu reduzieren. Sie setzen auf neue Technologien wie den 3D-Druck, künstliche Intelligenz oder Robotik sowie auf Massenproduktion und Miniaturisierung. Und vor allem: Sie pflegen eine grundlegend andere Philosophie. Wo es möglich ist, versuchen sie nicht, durch Spitzentechnologie und damit zwangsläufig hohe Kosten ein perfektes Endresultat zu erreichen. Im Zentrum stehen inkrementelle Fortschritte durch kontinuierliches, flexibles Vorgehen und Ausprobieren. So geht beispielsweise ein Produzent und Betreiber einer Flotte von Minisatelliten (sogenannten CubeSats) davon aus, dass ein niedriger zweistelliger Prozentsatz seiner Satelliten ausfällt und dann ersetzt wird. Wenn dieser Fehlerquotient unterschritten wird, also die Hardware besser ist als der geplante Ausschuss, dann sind die Satelliten nicht kostengünstig genug produziert worden.

Ein wichtiger Effekt dieser wachsenden Dynamik: Die kommerziell betriebene Raumfahrt bedeutet eine Demokratisierung des Zugangs zum Weltraum. Forschergruppen aus allen Regionen der Welt und aus unterschiedlichsten Disziplinen werden unabhängiger von Weltraumagenturen sowie deren Budgets und Prozessen. Gegen eine Gebühr kann jeder eigene Experimente in den Weltraum mitsenden. Das stiftet Nutzen auch für diejenigen, die bisher nur davon träumen konnten, Dinge im oder für den Weltraum auszuprobieren.

Volker Schmid, Leiter Abteilung ISS, Astronautische Raumfahrt und Exploration beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

„Es gibt Grundlagenexperimente, die unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten niemals realisiert werden würden. Hier ist dann staatliches Engagement erforderlich.“

Natürlich geht es auch um den Tourismus, wenn die Rede ist von einer Kommerzialisierung der Raumfahrt – aber eben nicht nur: Als Ziel ist es denkbar, im Weltall Produkte herzustellen, die sich auf der Erde nicht in der gleichen Güte produzieren lassen wie unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit. Schon heute bieten die Internationale Raumstation ISS und ihre Labore die Möglichkeit, Experimente durchzuführen, die auf der Erde schlicht und einfach nicht machbar sind. Das zeigt, dass eine Kommerzialisierung der Raumfahrt zahlreiche Chancen bietet – und wir stehen erst ganz am Anfang einer solch erweiterten Nutzung. Ich bin überzeugt: Die Raumfahrt befindet sich heute in einem ähnlichen Stadium wie die Luftfahrt zu Beginn der 1920er-Jahre.

Was bedeutet dieses Szenario für die Raumfahrt? Grundsätzlich bringt die Kommerzialisierung weitere Anbieter ins Spiel, die höhere Dynamik und mehr Wettbewerb ermöglichen. Für die ISS bedeutet dies zum Beispiel ein robusteres Logistikszenario mit größerer Flexibilität, wenn mehrere Firmen Flüge dorthin anbieten. Gleichzeitig darf man auch die Risiken nicht übersehen, insbesondere durch den Kostendruck, der automatisch mit der Kommerzialisierung einhergeht: Kein Anbieter kommt an der Physik vorbei. Bauteile von der Stange senken zwar die Kosten, erhöhen jedoch zugleich das Ausfallrisiko, was für mehr Weltraummüll sorgen könnte. 

Dabei ist die Diskussion, die hinter diesen Szenarien steht, alles andere als Zukunftsmusik: Vor Kurzem gab die NASA die Öffnung der ISS für Weltraumtouristen bekannt. Auch in der Forschung kommen mehr und mehr kommerzielle Anbieter ins Spiel, die Firmen wie Universitäten Experimente im Weltall anbieten. Auch in Europa ist Bewegung in die kommerzielle Nutzung gekommen. Die ESA hat 30 Prozent ihrer ISS-Ressourcen für kommerzielle und nationale Experimente bereitgestellt. So waren auf beiden ISS-Missionen von Astronaut Alexander Gerst mehrere von der Industrie angeregte Experimente im Einsatz.  

Klar ist aber auch: In der Raumfahrt lässt sich mit Sicherheit nicht alles kommerzialisieren. So gibt es Grundlagenexperimente oder Ansätze bei der Erprobung von Technologien, die unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten niemals realisiert werden würden. Hier ist dann staatliches Engagement erforderlich, um wichtige Entwicklungen anzustoßen oder strategische Interessen zu wahren. Wie oft scheint also der richtige Weg zwischen „New Space“ und „Old Space“ in der Mitte zu liegen.

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