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Veranstaltung

Wem gehört das Kind?

Bild: Helmholtz/Christoph Wehrer

In einer neuen Folge aus der Diskussionsreihe "Fokus@Helmholtz" trafen sich führende Bildungsexperten in Berlin zum öffentlichen Schlagabtausch. "Wem gehört das Kind?" fragten sie und debattierten die häufig komplizierte Beziehung zwischen Elternhaus und Kita

Video: Stimmen der Diskutanten

Die größte Einigkeit herrschte gleich zu Beginn. Das Betreuungsgeld sei ein Irrweg und ohne jede wissenschaftliche Rechtfertigung. Sagten alle fünf Experten, die sich am 16. Oktober auf dem Podium von "Fokus@Helmholtz" zusammengefunden hatten. "Wem gehört das Kind?", so lautete die Überschrift über einem Abend, an dem die vorschulische Bildung zwischen Kita und Elternhaus, zwischen zweckfreiem Spielen und naturwissenschaftlicher Frühförderung im Mittelpunkt stand. Man hätte die Frage auch anders formulieren können: Wohin gehört das Kind? In die Kita? Oder soll es doch lieber zu Hause erzogen werden? "Gegenwärtig stehen vor allem die Mütter vor der Familienpolitik wie Buridans Esel zwischen den zwei Heuhaufen", sagte die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Einerseits seien die staatlichen Anreize so gesetzt, dass sich nach der Geburt die möglichst frühe Rückkehr in den Beruf lohne, andererseits würden die Eltern dafür bezahlt, wenn sie ihre Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr zu Hause betreuten. "Das ergibt keinen Sinn." Klaus Hurrelmann, ebenfalls Soziologe und Professor an der Berliner Hertie School of Governance, ergänzte: "Wir müssen uns viel mehr Gedanken machen um jenes Fünftel der Kinder, das besonders bildungsfern aufwächst." Paradox sei, dass dann ausgerechnet Eltern ihre Kinder zu Hause ließen, die nicht wüssten, dass die derzeit 100 Euro monatlich von den Hartz IV-Bezügen abgezogen würden. "Schon um ihretwillen muss das Betreuungsgeld weg."

Während SPD und Union diese Woche ihre Sondierungsgespräche um die Bildung einer neuen Bundesregierung fortsetzten und dabei auch um die Zukunft des Betreuungsgelds rangen, brachte die abendliche Runde ein Thema zur Sprache, vor dem die Politik noch zurückscheut: eine Kitapflicht. "Wir müssen unter Umständen über solche Möglichkeiten nachdenken", sagt der promovierte Chemiker Salman Ansari, der sich seit seiner Zeit als Lehrer an der Odenwaldschule mit Fragen der Frühförderung beschäftigt. Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München widersprach. "Zwang ist nicht der richtige Weg. Wir müssen zusehen, wie wir durch Anreize möglichst alle Eltern dazu bekommen, ihre Kinder freiwillig in den Kindergarten zu schicken." Vorbild könne die französischen École maternelle sein, die über 90 Prozent der Kinder erreiche.

Streit gab es bei der Frage, wie vorschulische Bildung im Kindergarten konkret aussehen müsse. Die Implementierung akademischer Konzepte in die Denkschemata der Kinder könne nicht gelingen, warnte Salman Ansari und hielt das Ideal des freien, selbstbestimmten Spielens hoch. Peter Rösner, Leiter der von der Helmholtz-Gemeinschaft mitfinanzierten Stiftung "Haus der Kleinen Forscher", betonte indes, es gehe gar nicht darum, den Kindern irgendetwas einzuimpfen. Eine gelungene Frühförderung setze bei der natürlichen Neugier der kleinen Kinder an ihrer Umwelt an. "Die Kinder fragen von sich aus: Warum ist das so? Wir können ihnen dabei helfen, die Antworten zu finden." Zum Beispiel mit Hilfe einfacher naturwissenschaftlicher Experimente und Projekte, wie sie das Haus der kleinen Forscher in inzwischen 28.000 Krippen, Kitas und Horts im ganzen Land eingeführt habe. "Frühförderung in den Naturwissenschaften funktioniert ganz ähnlich wie im Sport", sagte Rösner. "Das ist eine Mischung aus Breiten- und Spitzenförderung."

Das wollte Ansari wiederum so nicht stehen lassen. "Ich weiß nicht, ob das Sportbeispiel passt", sagte er. "Im Sport geht es darum, der erste zu sein, der schnellste. In der frühkindlichen Bildung geht es ums Entdecken." Fabienne Becker-Stoll wiederum befand, am Ende müsse beides sein: "Phasen des freien Spiels und Phasen der angeleiteten Projekte."

Auf die über allem stehende Frage übrigens, wem das Kind gehöre, hatte Klaus Hurrelmann ebenfalls gleich zu Anfang die Antwort gegeben. "Das Kind gehört sich selbst. Doch damit es sich selbst gehören kann, braucht es die Familie und braucht es den Staat."

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