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Blickwinkel

Was bringen Schockbilder auf Zigarettenpackungen?

Bild: Jindrich Novotny

Seit Freitag müssen neu produzierte Zigarettenpackungen in Deutschland Schockbilder zeigen. Doch bremsen solche Fotos tatsächlich die Lust auf das Laster? Zwei Blickwinkel

„Konsumenten sind weitaus aktiver, gewiefter und subversiver, als ihnen gemeinhin unterstellt wird“, sagt Jürgen Schulz, Professor für Strategische Kommunikationsplanung an der Universität der Künste Berlin
Wer Warnhinweise und Schockbilder verordnet, will Konsumverhalten beeinflussen und den Verbraucher vor Risiken bewahren. Dahinter steht ein bestimmtes Verständnis vom Rezipienten und dessen Beeinflussung durch Kommunikation. So zeichnen die Gegner kommunikativer Restriktionen das Bild eines souveränen Konsumenten, des „gut informierten und zu selbstbestimmtem Handeln befähigten und mündigen Verbrauchers“, wie er noch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 beschrieben wird. Befürworter sehen den Verbraucher dagegen als naives, manipulierbares Wesen, das vor den geheimen Verführern der Werbung zu schützen sei. Beide Seiten berufen sich auf die Ergebnisse empirischer Untersuchungen, die jeweils die eigene Position stützen.

Bild: Jindrich Novotny

Die Frage nach dem Sinn von Schockbildern wird damit zu einer Frage des Menschenbildes. Während der Konsument in der Tradition der Marketingkommunikation – und inzwischen auch von der Verbraucherschutzpolitik – als Mängelwesen gesehen wird, dessen natürliche Defizite durch staatliche Institutionen kompensiert werden müssen, verklären ihn Vertreter der Industrie gern zum homo oeconomicus, dem kompetenten und strikt rationalen Nutzenmaximierer. In unserem Forschungsprogramm „Restriktionen von Markenkommunikation zwischen Werbestrategie und Konsumentensouveränität“ zeigte sich dagegen, dass gerade jüngere Verbraucher heute entsprechende Intentionen blitzschnell durchschauen. Das trifft insbesondere für Schockbilder als „Werbung gegen die Werbung“ zu, die bei den Probanden starke Abwehrreaktionen auslösten. Darüber hinaus waren weitere nicht-intendierte Effekte, zum Beispiel Aneignungspraktiken wie die Gestaltung eigener Aufkleber oder Etuis, zu beobachten. So liefert die Studie weitere Indizien dafür, dass den in Wirtschaft und Politik dominierenden Leitbildern des souveränen beziehungsweise naiven Konsumenten ein neues, drittes Bild gegenüberzustellen ist – das Bild des aktiven Konsumenten.

Auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Verbraucherverständnis ist also festzuhalten, dass Konsumenten weitaus aktiver, gewiefter und subversiver mit den Überzeugungsversuchen beider Seiten umgehen können, als ihnen gemeinhin unterstellt wird. Sie werden auch in Zukunft dem Paradox eines Genussmittels, das vor sich selbst warnt, mit kreativem Ungehorsam begegnen


„Warnhinweise sind das kosteneffektivste Mittel der gesundheitlichen Aufklärung“, sagt Martina Pötschke-Langer, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention und des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum
in Bild sagt mehr als tausend Worte: Dieses Wissen müssen wir uns auch zunutze machen, wenn es darum geht, Menschen vor dem Rauchen zu schützen. Auffällige Warnhinweise, die aus Bild und Text bestehen, werden schneller und besser wahrgenommen als rein textliche Warnhinweise. Insbesondere Bilder, die starke Emotionen auslösen, verbessern das Wissen um die Gesundheitsgefahren des Tabakkonsums. Die mit einem Bild vermittelten Informationen bleiben länger im Gedächtnis haften. Zudem erreichen sie jeden Raucher unmittelbar und kontinuierlich, denn jedes Mal, wenn der Raucher die Packung in die Hand nimmt, wird er mit dem Warnhinweis konfrontiert – bei einem täglichen Konsum von einer Packung mit 20 Zigaretten also mindestens 7000- bis 8000-mal im Jahr. Damit sind Warnhinweise das kosteneffektivste Mittel der gesundheitlichen Aufklärung: Sie erreichen jeden Konsumenten, und die Kosten tragen die Hersteller, nicht die Allgemeinheit.

Bild: Jindrich Novotny

Studien aus Ländern wie Australien oder Großbritannien, die bildliche Warnhinweise auf Zigarettenschachteln verwenden, zeigen, dass Raucher dort besser über die gesundheitlichen Folgen des Rauchens Bescheid wissen als Raucher in Ländern, die rein textliche Warnhinweise einsetzen. Bei Rauchern, die mit klinischen Bildern konfrontiert werden, steigen die Motivation zum Rauchstopp und die Zahl der Rauchstoppversuche deutlich an. Erfolgreiche Exraucher berichten, dass sie durch die Bilder auf ihrem Weg zum stabilen Nichtraucher unterstützt werden; die Bilder sind also eine erfolgreiche Rückfallprophylaxe.

Jugendliche in Ländern mit bildlichen Warnhinweisen sehen diese als wichtige Informationsquelle an und empfinden das Rauchen als deutlich weniger attraktiv. Jugendliche, die bereits rauchen oder mit dem Rauchen experimentieren, rauchen aufgrund der Bilder weniger und denken häufiger ans Aufhören.

Und zu guter Letzt: Bereits in den 1990er Jahren wies das Bundesverfassungsgericht eine Klage der Tabakindustrie über das Aufbringen der damals neu eingeführten textlichen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen zurück und stellte im Urteil vom 22. Januar 1997 fest, dass „die Warnung vor diesen Gesundheitsgefahren (...) zu den legitimen Aufgaben des Staates“ gehöre: „Die Warnungen sind geeignet, den Verbraucher zumindest von einem bedenkenlosen Konsum von Tabak abzuhalten.“ Diese Feststellung des höchsten deutschen Gerichts trifft noch auf ein Vielfaches mehr für die bildlichen Warnhinweise zu: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

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