Linguistik
Von Aalen und Tischen
Eigentlich sollte bei der Studie der beiden Münchner Linguisten etwas ganz Anderes herauskommen. Doch das, was sie stattdessen herausgefunden haben, ist sogar noch viel interessanter. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten sie im Journal of Unsolved Questions (JUnQ), das Null- und Negativresultaten einen Platz in der wissenschaftlichen Literatur bietet
Wie ähnlich sind sich ein Aal und ein Tisch auf einer Skala von eins bis zehn? Eindeutig unähnlich, sollte man meinen. Doch Fabian Bross und Philip Pfaller, Linguisten an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gingen davon aus, dass ein Teil ihrer asiatischen Probanden dies anders bewerten würde. Denn in vielen asiatischen Sprachen werden Substantive nach ihrer Eigenschaft oder äußeren Erscheinung in bestimmte Kategorien eingeteilt, ähnlich dem grammatikalischen Geschlecht im Deutschen. Diese werden beim Zählen gemeinsam mit dem Substantiv genannt. „Grammatische Kategorien unserer Sprache haben einen wesentlichen Einfluss darauf, wie wir denken und die Welt wahrnehmen“, sagt Bross, „sogar wenn wir keine Sprache benutzen, sondern nur Bilder von Gegenständen hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit bewerten sollen.“
Im Thailändischen fallen Aal und Tisch in dieselbe sprachliche Kategorie, im Chinesischen nicht. Die Forscher vermuteten daher, dass die Thai-Sprecher das Bild eines Aals und das eines Tisches ähnlicher finden würden als die Sprecher des Chinesischen. Als dann jedoch die Ergebnisse ihrer Studie auf dem Tisch lagen, waren die beiden Linguisten verwirrt: keinerlei Unterschiede zwischen Chinesen und Thailändern. Dabei hatten Wissenschaftlerkollegen anderswo doch von genau solchen berichtet. Woher also die seltsame Abweichung? Bross und Pfaller fanden eine überraschende Antwort: Ihre Probanden waren Muttersprachler, lebten aber seit kurzer Zeit in Deutschland. Je länger die Thai-Sprecher dem Deutschen ausgesetzt waren, umso schwächer war der Einfluss ihrer Muttersprache. „Unser Denken ändert sich offensichtlich rapide, wenn wir einer anderen Sprache ausgesetzt sind“, sagt Bross. „Unsere Muttersprache beeinflusst unser Denken – doch anscheinend nicht so stark wie häufig angenommen.“
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