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4D-BioSTEM

Vom Durchleuchten der Black Box

Carsten Sachse, Direktor des Ernst-Ruska-Centrums für Strukturbiologie am Forschungszentrum Jülich. Bild: : Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Mit der Kryo-Elektronenmikroskopie lassen sich bislang nur sehr große Bio-Moleküle in ihrer natürlichen Form betrachten. Ein Team um Carsten Sachse vom Forschungszentrum Jülich hat einen begehrten ERC Synergy Grant bekommen, um eine breitere Anwendung zu ermöglichen. Es könnte die Medizin in zahlreichen Feldern voranbringen.

Wir wissen sehr viel – und zugleich wissen wir sehr wenig.  Denn obwohl man heute grundsätzlich sehr viele Kenntnisse darüber hat, wie Gene abgelesen werden und welche Rolle sie spielen, warum Krankheiten entstehen und verhindert werden und welche Reaktionskaskaden beim Stoffwechsel des Menschen ablaufen, ist es immer noch schwierig, die Geschehnisse auf der molekularen Ebene zu verfolgen. So bleibt nichts anderes übrig, als Erkenntnisse anhand dessen zu gewinnen, was unter bestimmten Umständen am Ende rauskommt. Was aber genau auf dem Weg dorthin geschieht, weiß man häufig nicht sicher. „Das Elektronenmikroskop gibt es zwar schon seit fast 100 Jahren, es ermöglicht uns, bis in die Ebene der Atome zu blicken. Aber das ist nur auf sehr kleinen Ausschnitten möglich. Früher musste eine biologische Probe vorher chemisch behandelt werden, was auch die Proteine und andere Moleküle so verändert, dass wir nicht mehr sehen, wie sie natürlich aussahen und wirkten. Das setzt Grenzen“, sagt Carsten Sachse, Direktor des Ernst-Ruska-Centrums für Strukturbiologie am Forschungszentrum Jülich. Sachse versucht, mit neuen Technologien diese Grenzen zu sprengen. Dazu verwendet er die sogenannte Kryo-Elektronenmikroskopie, die die Proben nahezu perfekt erhält. Er will einen besseren Einblick in die Black Box ermöglichen. Dafür hat er kürzlich einen der begehrten einen der begehrten Synergy Grants des Europäischen Forschungsrates (ERC) bekommen.

Bild: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Das Interesse auf Seiten möglicher Anwender ist riesig. Pharmafirmen erhoffen sich, so endlich die Moleküle nachzuweisen und ihre Funktion genauer zu verstehen, die bei der Neurodegeneration etwa im Rahmen von Alzheimer eine Rolle spielen. Sachse und andere Forschungslabors wollen die Autophagie von Zellen umfassender begreifen, das ist ein zellinterner Prozess, bei dem defekte Moleküle entsorgt werden, er ist wichtig für die Entgiftung. Auch viele Alterungsprozesse will man dank der Fortschritte in der Elektronenmikroskopie umfassender begreifen.

Carsten Sachse arbeitet daran, die Kryo-Elektronenmikroskopie weiterzuentwickeln. Die Methode bietet gegenüber der herkömmlichen Elektronenmikroskopie verschiedene Vorteile. Wie der Name schon sagt, werden die Proben schockgefroren: sie werden in flüssiges Ethan eingeschlossen, man spricht auch von kryofixieren. Das hat unter anderem den Vorteil, dass die Proteine wie in ihrer natürlichen Umgebung mit Wasser umhüllt bleiben, und man durch das gefrorene Wasser wie durch Glas hindurchsehen kann.

Doch auch hier gibt es Limitationen: Damit die Proteine hinter dem Wasser in der Nähe herausstehen und damit auf der molekularen Ebene betrachtet werden können, brauchen sie eine gewisse Größe, denn auch das Wasser ist nicht vollkommen transparent. Deshalb kann die Kryo-Elektronenmikroskopie zwar Moleküle in ihrer natürlichen Form ähnlich wie ein Foto abbilden – aber eben nur große Moleküle. Bisher wurde mit Tausenden Schnappschüssen eine Probe abgetastet und dann zu einem Bild verrechnet. Entsprechend musste der Elektronenstrahl, mit dem abgetastet wurde, häufig leider so energiereich sein, dass er mit den Proben interagiert und Teile davon zerstört. “Mit unserer Kryo-Methode gehen wir gewissermaßen sanft vor: Als würden wir nicht belichten, sondern eher im Dunklen Fotos schießen“, sagt Sachse. Damit habe man natürlich erst einmal ein verrauschtes Bild. Das ist die Haupt-Limitation, gerade um Stoffwechselvorgänge und molekulare Wechselwirkungen zu verstehen. „Wir arbeiten im Rahmen unseres Synergy Grants nun daran, in die Region kleinerer Molekülgrößen vorzustoßen“, sagt Sachse.

Kryoelektronenmikroskopaufnahme des Tabakmosaikvirus mit dreidimensionaler Bildrekonstruktion unten. Bildrekonstruktion Simon Fromm und Carsten Sachse

Die hohe Relevanz für viele Forschungsbereiche dürfte auch einer der Gründe sein, warum Sachse und seine Kooperationspartner am Ende den Synergy Grant erhalten haben. Sie mussten ein aufwändiges Bewerbungsverfahren durchlaufen, das mehrere Runden umfasste. „Aber wie so oft im Leben gilt: Wenn man es nicht probiert, dann hat man auch keine Chance“, sagt Sachse. Er war auf einem Kongress, als die Zusage kam. „Zufälligerweise stand ich gerade neben Kollegen, mit denen ich mich gemeinsam beworben hatte, als wir gesehen haben, dass wir den Zuschlag bekommen haben. Wir haben uns riesig gefreut“, erklärt Sachse. Noch im Februar treffen sich alle Kooperationspartner, um die nächsten Forschungsaktivitäten zu planen und zu koordinieren. Neben dem Forschungszentrum Jülich gehören auch Kolleginnen und Kollegen von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Schweizer École Polytechnique Fédérale de Lausanne und die Universität Lausanne zum Team.

Der ERC Grant umfasst 7,5 Millionen Euro und ist auf sechs Jahre ausgelegt. „Normalerweise muss man sich als Forscher immer um die Finanzierung im aktuellen und im nächsten Jahr kümmern, das erzeugt Unsicherheit und kann anstrengend sein. Dank des ERC Grants können wir uns jetzt einige Jahre ungestört ganz auf die Forschung konzentrieren, das ist fantastisch“, sagt Sachse.

4D-BioSTEM. So heißt das Projekt der Forscher, das vom ERC Grant gefördert wird. Man möchte die Probe gewissermaßen in zusätzlichen Dimensionen erfassen, in dem Fall über winzige Zeilen abtastend. „Weil wir sehr detailliert auf mehreren Ebenen abtasten, können wir die Informationen mithilfe des Computers und künstlicher Intelligenz zusammenführen und so am Ende doch ein besseres Bild des Moleküls bekommen – ohne, dass es durch einen zu energiereichen Elektronenstrahl angegriffen wird oder so groß sein muss, dass es eindeutig hinter dem Wasser hervorsteht“, erklärt Sachse.

Das erhoffte Ergebnis, wenn die Forscher um Sachse erfolgreich sind: Kleinere Moleküle werden in ihrer natürlichen Form sichtbar. „Das würde ganz neue Einblicke in zahlreiche biologische Prozesse ermöglichen. Davon dürften Kollegen aus diversen Fachrichtungen profitieren. Das ist natürlich enorm motivierend.“ Dann fügt er schmunzelnd hinzu: „Aber an Motivation mangelt es uns ohnehin nicht.“

Denn die Suche nach Erkenntnis ist für jeden echten Forscher schon Motivation genug. Und das, woran Sachse arbeitet, ist eine regelrechte Erkenntnismaschine: Sie durchleuchtet ein Stück weit die Black Box Medizin.

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