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Quantenjahr 2025

Teil #05: Quantenmaterialien mit ʼnem Dreh

Im fünften Teil unserer Serie zum Quantenjahr sprachen wir mit dem Festkörperphysiker Oliver Rader vom Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) über Topologische Isolatoren – einem quantenmechanischen Wunderstoff.

Der Entwicklung der Quantenmechanik vor 100 Jahren gingen bahnbrechende Experimente voraus. Eines davon ist der berühmte Stern-Gerlach-Versuch von 1922, bei dem ein dünner Strahl aus Silberatomen durch ein inhomogenes Magnetfeld geleitet wird. Die auf einer Leinwand auftreffenden Silberatome bilden aber nicht einen zusammenhängenden Fleck, wie klassisch zu erwarten wäre. Sie zeigen stattdessen die Aufspaltung in zwei Richtungen, was sich in zwei Häufigkeitsverteilungen äußert. Gedeutet werden kann dieses merkwürdig anmutende Resultat letztlich mit der Existenz eines Spins der Quantenteilchen, eine Art gequantelter Eigendrehimpuls ähnlich eines um sich selbst rotierenden Kreisels. Im Stern-Gerlach-Versuch ist es der Spin des äußersten Elektrons des Silberatoms und dessen Richtungsquantelung im inhomogenen Magnetfeld, der für die Aufspaltung des Atomstrahls in zwei Teilstrahlen verantwortlich ist.

Knapp ein Dreivierteljahrhundert später bilden die grundlegenden Erkenntnisse rund um die Bahn- und Eigendrehimpulse – die sogenannte Spin-Bahn-Kopplung von Elektronen - einen Startpunkt zur Entwicklung des Topologischen Isolators, eines völlig neuartigen Materials. „Der Topologische Isolator stellt eine besondere Klasse von Materialien dar, weil er sich durch ein einzigartiges elektronisches Verhalten auszeichnet“, erklärt Oliver Rader. Im Inneren ist der Topologische Isolator für einen elektrischen Strom nichtleitend, sprich isolierend. Auf seiner Oberfläche dagegen kann ein elektrischer Strom nahezu verlustfrei fließen. Vergleichbar mit einer metallischen Kaffeedose, wobei der Topologische Isolator im Gegensatz dazu aus einem homogenen Material besteht. „In diesem Zusammenhang ist von Materialeigenschaften die Rede, die ihre Beständigkeit bewahren, selbst wenn das zugrundeliegende Material mechanische oder gewisse chemische Veränderungen erfährt.“ Diese besonderen Eigenschaften hängen bei den Topologischen Isolatoren mit bestimmten Wegen der Elektronen an der Oberfläche zusammen, die durch die ‚Topologie‘, sprich die Struktur geschützt sind. Der erste Topologische Isolator wurde in Form einer dünnen Schicht aus Quecksilbertellurid realisiert. Und damit standen plötzlich ganz neue technische Anwendungen in Aussicht, vom nahezu verlustfreien Stromtransport im Bereich der Informationstechnologien bis hin zum Einsatz beim Quantencomputing. Mittlerweile konnten Dutzende chemische Verbindungen im Labor mit besagten elektronischen Eigenschaften hergestellt werden. Allerdings ist ihre Produktion und Handhabung nach wie vor technisch äußerst anspruchsvoll.

Der Stromtransport an der Oberfläche eines Topologischen Isolators ist besonders robust und erfolgt mit geringeren Verlusten als bei herkömmlichen Materialien. Dieses Verhalten ist nur quantenmechanisch zu verstehen. „Die Topologischen Isolatoren werden deshalb auch als Quantenmaterialien bezeichnet“, sagt Rader. Diese Materialien zeichnen sich durch die starke Kopplung verschiedener physikalischer Freiheitsgrade aus. Beim Topologischen Isolator ist das vor allem der quantenmechanische Effekt der Spin-Bahn-Kopplung. „Das ist die Wechselwirkung des Bahndrehimpulses eines Elektrons mit dessen Spin“, sagt Oliver Rader. Durch die Bewegungsrichtung eines Elektrons auf der Oberfläche des Topologischen Isolators ist der Spin des Elektrons festgelegt. Er ist praktisch quantenmechanisch verschränkt mit anderen Freiheitsgraden im Quantensystem. Entsprechend haben Elektronen, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegen, auch einen entgegengesetzten Spin. „Mit anderen Worten: Ein Elektron kann nicht einfach seine Bewegungsrichtung ändern, ohne gleichzeitig auch die Ausrichtung seines Spins zu wechseln.“ Unter speziellen Bedingungen führt das im Topologischen Isolator zur vollkommenen Unterdrückung von spontanen Richtungsänderungen oder Rückstreuungen von Elektronen. „Wir sprechen hier vom Topologischen Schutz, dem die Elektronen auf diese Weise unterliegen“, sagt Rader. „Um diese Effekte für elektronische Bauteile auszunutzen, muss man allerdings die Topologischen Isolatoren zunächst magnetisieren, genauer: zu einem Permanentmagneten machen.“ Das wurde viele Jahre einfach dadurch bewerkstelligt, dass man Atome mit einem magnetischen Moment in die Topologischen Isolatoren hineingemischt hat. „Die Bauteile zeigten einen sensationellen Quanteneffekt, funktionierten wegen der resultierenden Unordnung im Material allerdings nur bei sehr tiefen Temperaturen.“ Die Gruppe um Rader hat dann mit Mangan-Bismut-Tellurid eine neue Materialklasse entdeckt - die sogenannten intrinsischen magnetischen Topologischen Isolatoren. Hier sorgen die magnetischen Atome für eine ganz neue und regelmäßige Kristallstruktur.

Wie hat man all das rausgefunden? „Die Forschung an Quantenmaterialien erfordert ein intensives Zusammenspiel aus Theorie und Experiment. Und viel Geduld“, sagt Oliver Rader und lacht. Und einen konstruktiven Wettbewerb. „So haben wir die vermeintlichen Erfolgsmeldungen von anderen Forschergruppen kritisch überprüft und dabei schnell bemerken können, dass deren Ergebnisse so nicht stimmen konnten.“ Die Gruppe von Oliver Rader hat dann ein bis dato verwendetes Element namens Selen durch ein anderes mit höherer Spin-Bahn-Wechselwirkung ersetzt, nämlich durch Tellur. „Das hat gleich mehrere Probleme gelöst. Und durch Einsatz spezifischer magnetischer Atome konnte in dem Material eine geordnete chemische Struktur geschaffen werden.“ Bei den experimentellen Untersuchungen müssen die Forscherinnen und Forscher auf verschiedene Methoden zurückgreifen, um die Fragestellung umfassend zu untersuchen. So verwendet die Gruppe von Oliver Rader beispielsweise die Photoelektronen-Spektroskopie, bei der Probenmaterialien mit dem weichen Röntgenlicht der Berliner Synchrotron-Strahlungsanlage BESSY II ausgeleuchtet und untersucht werden.

Magnetische Topologische Isolatoren stellen inzwischen ein vielversprechendes Basiskonzept für neuartige elektronische Bauelemente dar, die effektiver und energieeffizienter als herkömmliche Technologien funktionieren. „Der übergeordnete Begriff für diese Art der elektronischen Applikation lautet Spintronik, ein Kofferwort aus Spin und Elektronik, bei denen neben der elektrischen Ladung auch der Spin der Elektronen zur Informationsverarbeitung und Speicherung genutzt wird“, erklärt Rader. Anwendungsfelder finden sich auch in der Quantenmetrologie beziehungsweise der Quantensensorik. Damit ist die technische Nutzung der Quanteneffekte in speziellen Messgeräten gemeint, um die Messgenauigkeit zu verbessern. Die magnetischen topologischen Isolatoren sind aber auch hochinteressant als mögliche Bauteilplattformen für Qubits beim Quanten-Computing. „Das liegt auch daran, dass sie wie angesprochen besonders robust gegenüber äußeren Störungen und Einflüssen sind, was sie für den Einsatz im Quantencomputer äußerst attraktiv macht. „Man benötigt dafür allerdings sogenannte Topologische Supraleiter.“ Die gibt es in diesem Sinne noch nicht. Oliver Rader ist jedoch überzeugt, dass wir nicht mehr so weit davon entfernt sind, sie bald herstellen zu können.

Wir kommen in der nächsten Folge darauf zurück. Bleiben Sie dran!

Serie zum Quantenjahr 2025

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