Serie: Gründerportraits
Röntgenkameras aus dem Teilchenbeschleuniger
Manche Gründungsideen kommen einfach über Nacht, andere brauchen einen langen Atem. So haben die Wissenschaftler vom Forschungszentrum DESY zehn Jahre an einer neuen Generation von Röntgendetektoren geforscht, bis sie 2014 den Schritt in die Selbstständigkeit wagten.
Röntgendetektor ermöglicht Forscher bessere Messergebnisse
Seit Juli 2014 ist das Hamburger Start-Up X-Spectrum am Markt und produziert mit mittlerweile acht Beschäftigten einen neuartigen Röntgendetektor. Die Kamera mit dem Namen LAMBDA kombiniert viele, der von den Forschern benötigten Eigenschaften in bisher einzigartiger Weise. Die neun Mal drei Zentimeter große Aufnahmefläche ist mit 750.000 Pixeln bestückt und kann bis zu 2000 Bilder pro Sekunde aufnehmen. Jedes Pixel kann einzelne Photonen zählen und gleichzeitig mehr als 500.000 Photonen pro Sekunde verarbeiten. Zusätzlich misst der Detektor die Energie der ankommenden Röntgenteilchen und kann damit quasi farbige Bilder aufnehmen. „Hohe Empfindlichkeit, hohe Auflösung, hohe Bildrate – der Detektor erfüllt damit genau die Anforderungen, die Wissenschaftler an Röntgendetektoren der neuesten Generation stellen“, sagt Heinz Graafsma, Forscher am Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY und einer der beiden Geschäftsführer von X-Spectrum.
Der Vorteil gegenüber anderen Detektoren liegt genau in dieser Kombination. Wie bei einer Digitalkamera sind die Bilder des Detektors schärfer, je mehr Pixel er verarbeiten kann. Das ermöglicht den Wissenschaftlern eine genauere Interpretation ihrer Messergebnisse bis in den Nanometerbereich hinein. Dank der hohen Bildrate der LAMBDA-Detektoren können Forscher Messungen nun schneller als bisher durchführen. Außerdem hält der Detektor im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten auch hochintensiver Röntgenstrahlung stand, wie sie in Synchrotronquellen herrscht. Das macht den vergleichsweise kostengünstigen LAMBDA-Detektor für die Betreiber solcher Anlagen sehr interessant.
Wissenschaftler aus der ganzen Welt entwickelten den Auslesechip für den Detektor
Doch wie gelang den Forschern dieser Durchbruch? „Das Besondere an unseren Detektoren ist der Auslesechip, den wir verwenden“, erklärt Stefanie Jack, ebenfalls Geschäftsführerin von X-Spectrum. Etwa zwanzig Arbeitsgruppen aus der ganzen Welt, darunter auch die DESY-Detektorgruppe, haben an diesem neuen Auslesechip geforscht – und das acht Jahre lang. „Der Auslesechip kann die vom Sensor übermittelten Informationen besonders schnell verarbeiten und ermöglicht diese tolle Kombination an Messparametern“, so Jack weiter.
Die nächste Aufgabe für das DESY-Team war es, eine Ausleseelektronik und einen funktionsfähigen Prototypen zu entwickeln. „Als uns beides schließlich gelungen war, war klar: Wir haben ein neues Produkt, das funktioniert und gut verkäuflich ist“, erzählt Jack. Die Idee, den Detektor schließlich auch an den Markt zu bringen, sei deshalb nur folgerichtig gewesen. Gemeinsam mit Heinz Graafsma und drei weiteren DESY-Mitarbeitern, die an der Entwicklung des Auslesechips und des Prototypen beteiligt waren, nahm sie die Unternehmensgründung in Angriff.
Was das kleine Team ebenfalls zu diesem Schritt bewegte, war die sehr gute Unterstützung durch das Forschungszentrum. Denn es erleichterte den Schritt in die Selbständigkeit, in dem es unbefristet beschäftigten Mitarbeitern ermöglicht, bis zu drei Jahre nach der Ausgründung wieder an den alten Arbeitsplatz zurückzukehren.
Bis zu 80 Millionen Euro Marktpotenzial
Die guten Marktchancen überzeugten auch die Geldgeber: Die Helmholtz-Gemeinschaft und das Forschungszentrum DESY unterstützten durch eine Förderung im Rahmen der Ausgründungsunterstützung "Helmholtz Enterprise" die DESY-Mitarbeiter bei ihrem Vorhaben. Im Juli 2014, nach einer anderthalbjährigen Vorbereitungszeit, fiel der Startschuss für die Firma X-Spectrum. Gesellschafter wurden die fünf Mitarbeiter aus der Detektorgruppe sowie das Forschungszentrum DESY. Mit 200.000 Euro Startkapital, einem funktionierenden Prototypen hatte X-Spectrum gute Startbedingungen. Bereits im ersten Jahr verkaufte die Firma zwei Detektoren an Pilotkunden. Unternehmerisches Denken ist ein Lernprozess
Wie ist es, plötzlich der eigene Chef zu sein? „Wir müssen funktionierende Lösungen entwickeln, Zeitpläne und Verträge einhalten. Effizientes, kostenorientiertes Arbeiten hat bei uns höchste Priorität“, fasst Stefanie Jack zusammen. Strukturierte Arbeitsabläufe und die Standardisierung von Produkten seien unverzichtbar, um das Unternehmen zu managen. Um diese Prozesse aufzubauen, hat die junge Firma von Beginn an eine Unternehmensberatung beauftragt. „Sehr hilfreich“, urteilt Stefanie Jack heute. Und noch etwas sei unverzichtbar: Die unterschiedlichen Kompetenzen, Persönlichkeiten und Talente der Mitarbeiter haben X-Spectrum zu dem gemacht, was es heute ist: ein Unternehmen, das von der hohen Motivation und Kreativität seines Teams lebt.
Für die Gründungsidee und den konsequenten Willen, X-Spectrum zu einem wettbewerbsfähigen Technologieunternehmen aufzubauen, wurden die Gründer mit dem Hamburg Innovation Award 2015 ausgezeichnet. Der Preis ist eine Bestätigung für die Arbeit der letzten Monate – und eine Motivation, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Vor kurzem, erzählt Stefanie Jack, bekam sie wieder Post: Es war die Zusage für eine Förderung, mit der die Wissenschaftler einen neuen Sensor für die Detektoren entwickeln wollen. Damit können Forscher bald noch härtere Materialien wie Metalle und Steine untersuchen. Zeit, um sich auf Erfolgen auszuruhen, bleibt den Gründern also nicht.
Helmholtz Enterprise
Mit dem Instrument Helmholtz Enterprise unterstützt die Helmholtz-Gemeinschaft seit nunmehr zehn Jahren gezielt Ausgründungen aus den Zentren. In dieser Serie stellen wir Unternehmen vor, die in dieser Zeit von dem Instrument profitieren konnten.
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