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Blickwinkel

Publish or Perish?

Illustration: Jindrich Novotny

Der Druck, schon während der Promotion zu publizieren, wird für Doktoranden in den Naturwissenschaften immer größer. Doch sind Publikationen wirklich der richtige Indikator, um die Qualität von Doktoranden zu messen? Zwei Blickwinkel

„Viele Veröffentlichungen belegen nicht automatisch gute Wissenschaft“, sagt Alexander Lerchl, Professor für Biologie an der Jacobs University Bremen
Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört selbstverständlich das Veröffentlichen. Die Frage ist, welcher Wert der Menge der Veröffentlichungen beigemessen wird und insbesondere, ob sich anhand der Zahl der Veröffentlichungen und des Ansehens der Zeitschriften Rückschlüsse auf die Qualität der einzelnen Wissenschaftler ziehen lassen. Meiner Erfahrung nach ist das nur bedingt möglich und sollte nie als das alleinige Qualitätsmerkmal genutzt werden.

Alexander Lerchl ist Professor für Biologie an der Jacobs University Bremen. Illustration: Jindrich Novotny

Ein Beispiel ist der „Impact-Faktor“ (IF), der angibt, wie oft im Durchschnitt Artikel einer Zeitschrift innerhalb von zwei Jahren nach Veröffentlichung zitiert werden. Eine Veröffentlichung in Nature oder Science (IF jeweils über 30) bedeutet jedoch nicht, dass jeder der dort veröffentlichten Artikel 30-mal oder öfter zitiert wurde. Tatsächlich sind es nur wenige Artikel, die den IF nach oben treiben, viele werden überhaupt nicht zitiert. Besser ist es, die Anzahl der Zitierungen einzelner Artikel (ohne Eigenzitate) zu betrachten, zum Beispiel über den „h-Index“. Das ist die Anzahl h der Veröffentlichungen, die mindestens h-mal zitiert wurden. Aber auch dieser bibliometrische Index ist nicht unkritisch, da er gezielt manipuliert werden kann, etwa durch Salami-Publizieren oder Gruppenbildung mit Gefälligkeitszitierungen. Besonders fragwürdig sind Praktiken, mit denen Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere traktiert werden, damit sie möglichst früh möglichst hochrangig publizieren oder sogar ihre Dissertation erst dann angenommen und begutachtet wird, wenn eine gewisse Anzahl Publikationen in peerreviewed Zeitschriften erschienen oder zumindest zur Publikation angenommen sind. Zwar kann die jeweilige Institution mit Recht darauf verweisen, dass die Kandidaten auf diese Weise extern evaluiert wurden, jedoch ist der enorme Druck zum Veröffentlichen oft kontraproduktiv, insbesondere wenn auch noch Zeitdruck hinzukommt. Schludriges Arbeiten bis hin zum gezielten „polishing“ oder gar Fälschen von Daten sind leider allzu oft die Folge.

Viele Veröffentlichungen belegen nicht automatisch gute Wissenschaft. Besonders am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere muss Qualität vor Quantität gehen. Aber auch als gestandener Forscher sollte man versuchen, dem Publikationsanalysenfetisch nicht zu viel Macht zu geben


„Publikationen nutzen auch den Nachwuchswissenschaftlern“, sagt Bettina Eick, Professorin für Mathematik an der Technischen Universität Braunschweig
Gerade für Doktoranden hat das Publizieren viele Vorteile. Sie haben damit die Möglichkeit, ihre Ergebnisse der Welt öffentlich zugänglich zu machen. Durch eine Publikation zeigt ein Forscher auch, was er geleistet hat, und bekommt internationale Anerkennung. Im besten Fall können dabei beispielsweise Einladungen zu Vorträgen oder Kontakte mit anderen Experten entstehen. Außerdem zeigt eine Veröffentlichung, dass ein Ergebnis relevant ist. So können Doktoranden ihre Dissertationen untermauern. Eine Publikation ist deshalb gerade für junge Autoren sinnvoll und nützlich.

Bettina Eick ist Professorin für Mathematik an der Technischen Universität Braunschweig. Illustration: Jindrich Novotny

Der Druck zu publizieren ist jedoch im Forschungsbetrieb oft hoch. Das ist nicht immer nützlich – insbesondere wenn man langfristige und zeitintensive Forschung betreiben will, die mehrere Jahre bis zur ersten Veröffentlichung erfordert. Doktoranden sind dabei zwar im Vorteil, denn ihnen stehen einige Jahre zur Verfügung, bis sie eine Publikation vorweisen müssen. Letztendlich müssen aber auch sie erst einmal lernen, mit dem Druck umzugehen.

Wenn ich neue Postdoktoranden einstelle, spielt es für mich immer eine wichtige Rolle, ob sie während ihrer Promotion bereits publiziert haben. Für mich ist dabei sowohl wichtig, in welchem Journal sie veröffentlicht haben, als auch wie viele andere Wissenschaftler daran mitgearbeitet haben und wie umfangreich die Arbeit ist. Aus meiner Sicht ist es wichtiger, dass ein Forscher wenige solide Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften hat, als viele eher oberflächliche Publikationen. Das heißt: Qualität ist wichtiger als Quantität.

Aus meiner Sicht ist es jedem Doktoranden bei einer guten Betreuung möglich, seine Ergebnisse auch zu veröffentlichen. Daneben sollten sie allerdings Tagungsbesuche und Vorträge nicht vernachlässigen. Auch das gehört meiner Meinung nach zu einer guten Doktoranden-Betreuung. Ich versuche deshalb, jedem Doktoranden bei seinem ersten Projekt so viel Hilfestellung zu geben wie möglich, und danach dann zunehmend selbstständiger arbeiten zu lassen. So profitieren beide Seiten.

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