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Wissenschaft und Politik

Pioniere der Annäherung

Der Besuch einer Delegation der Max-Planck-Gesellschaft im Dezember 1959 läutete die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Israel ein. Von links nach rechts: Feodor Lynen, Wolfgang Gentner, dessen Frau Alice Gentner, Otto Hahn und Josef Cohn. Bild: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem

Kontakte zwischen Wissenschaftlern markieren den Beginn einer Verständigung zwischen der jungen Bundesrepublik und Israel. Teil 1 unserer Serie zur israelisch-deutschen Zusammenarbeit in der Wissenschaft.

In diesen Tagen feiert der Staat Israel sein 70-jähriges Bestehen. Das mit 8,5 Millionen Einwohnern eher kleine Land kann in Wissenschaft und Technologie beachtliche Erfolge aufweisen. Allein seit 2002 erhielten acht israelische Forscher den Nobelpreis. Mehr als vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes fließen in die Forschung. Die Start-Up-Szene Israels zählt zu den lebendigsten weltweit. Die deutsche Wissenschaft unterhält heute enge Beziehungen nach Israel. Der Kontakt zwischen Forschern beider Länder spielte immer eine besondere Rolle. In einer Serie anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die Geschichte.

Am Anfang war die Wissenschaft. Denn bereits vor Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel am 12. Mai 1965 gab es zahlreiche Kontakte zwischen deutschen und israelischen Forschern. Dank persönlicher Initiativen konnte in den fünfziger Jahren ein Netzwerk informeller und institutioneller Verbindungen entstehen, das angesichts der zeitlichen Nähe zum Zweiten Weltkrieg alles andere als eine Selbstverständlichkeit war. Es waren vor allem deutsche Naturwissenschaftler, die zum NS-Regime Distanz bewahrt hatten und nicht selten sogar mit ihren aus Deutschland vertriebenen jüdischen Kollegen weiterhin in Kontakt verblieben waren. Auf israelischer Seite fanden sich darunter viele Chemiker oder Physiker, die selbst aus Deutschland stammten oder dort einmal studiert hatten.

Seit 1956 war es zwischen ihnen immer wieder zu Begegnungen gekommen. Bereits von Anfang an wurden dabei die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit ausgelotet – aus damaliger Perspektive so etwas wie ein Tabubruch und angesichts der eigenen Biographien für viele israelische Forscher eine große Herausforderung. Begegnungen dieser Art fanden aber zunächst nicht in der Bundesrepublik statt. Denn Israel hatte über Deutschland eine Art Boykott verhängt. So stand von 1950 bis 1956 in den Reisepässen neben dem Satz "für alle Länder gültig" auch der Vermerk "außer für Deutschland". Erst das Luxemburger Abkommen vom 10. September 1952, das die sogenannten Wiedergutmachungszahlungen vertraglich regelte, markierte eine vorsichtige Abkehr von dieser Haltung. Doch während auf politischer Ebene noch über Jahre hinweg eher Sprachlosigkeit vorherrschte, war in den Wissenschaftsbeziehungen bereits 1957 das Eis gebrochen. Als erster deutscher Wissenschaftler überhaupt durfte der Physiker Hans Jensen am renommierten Weizmann-Institut in Rehovot eine Vorlesung halten. 1958 gewährte die Alexander von Humboldt-Stiftung einer israelischen Juristin einen Zuschuss für ihre Forschungsarbeiten und im Herbst 1959 präsentierten Mitarbeiter des Weizmann-Instituts unter Ägide des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Frankfurt am Main sowie in Düsseldorf die Arbeit dieser neben dem Technion in Haifa bedeutendsten israelischen Forschungsinstitution. Noch im selben Jahr durfte der Politikwissenschaftler Carlo Schmidt die wohl erste Vorlesung in deutscher Sprache an einer israelischen Hochschule halten.

Wolfgang Gentner (1906-1980) war von 1955 bis 1958 Direktor für Forschung am CERN in Genf. Bild: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem

Ein anderer Ort, an dem Kontakte zwischen Deutschen und Israelis entstanden, war das 1955 in Genf gegründete CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung. Dort traf 1956 der in Berlin geborene Chemiker Gerhard Schmidt, der ebenfalls am Weizmann-Institut forschte, den deutschen Physiker Wolfgang Gentner, der damals am CERN tätig war. Schmidt machte ihn 1958 mit dem gleichfalls in Genf arbeitenden israelischen Kollegen Amos de-Shalit bekannt, der bereits im Alter von 30 Jahren Leiter der Abteilung für Kernphysik am Weizmann-Institut geworden war. Beide diskutierten sofort über die Chancen für eine Wissenschaftskooperation. Ihre Motive brachte Amos de-Shalit einige Jahre später auf den Punkt: Man wollte an die große deutsch-jüdische Tradition in der Wissenschaft anknüpfen und so einen Beitrag zur Versöhnung leisten.

Für die deutschen Wissenschaftler ging es um die Rückkehr in die internationale Wissenschaftlergemeinde

Für die deutschen Wissenschaftler ging es zudem um eine Rückkehr in die internationale Wissenschaftlergemeinschaft, wo Deutsche angesichts der Verstrickungen vieler Forschungseinrichtungen in die Verbrechen des NS-Regimes als stigmatisiert galten. Last but not least suchte man wieder den Anschluss an die Standards in den Naturwissenschaften. Denn aufgrund von Kriegseinwirkungen und Abwanderung war es darum nicht unbedingt zum Besten bestellt. Die Israelis hatten in manchen Bereichen, vor allem in der Kernphysik, hervorragende Wissenschaftler – nur fehlten dem jungen Staat, der zudem um sein Überleben kämpfen musste, oftmals die finanziellen Mittel, weshalb man in der Forschung schon früh auf internationale Kooperationen setzte.

Und da kam die Politik mit ins Spiel. "Deutsche und Israelis können doch nicht ewig auf der Ebene von Wiedergutmachungsansprüchen miteinander leben", erklärte am 6. März 1959 der israelische Sozialwissenschaftler Josef Cohn, gleichfalls vom Weizmann-Institut, gegenüber Bundeskanzler Konrad Adenauer und brachte damit seinen Wunsch nach einem deutschen Engagement vor Ort zum Ausdruck. Adenauer war nach anfänglichem Zögern von der Idee begeistert. "Dr. Cohn, ich bin ihr Mann!" Prompt vermittelte er den Israeli weiter an Siegfried Balke, den Bundesminister für Atomkernenergie, der wiederum die Max-Planck-Gesellschaft ins Spiel brachte – kurzum, die Idee zu einer Wissenschaftskooperation war geboren. Dabei war von Anfang klar, dass diese kein Teil der Reparationen darstellten. Vielmehr sollten die deutschen Partner "für ihr Geld etwas bekommen, und zwar Qualität", so Cohn. Er dachte dabei an die Ausbildung von deutschen Wissenschaftlern oder gemeinsame Forschungsprojekte.

Der Minerva-Vertrag von 1964 ist bis heute gültig

Am 1. Dezember 1959 traf eine mehrköpfige Delegation der Max-Planck-Gesellschaft unter Leitung ihres Präsidenten Otto Hahn zu einem zehntägigen Israel-Aufenthalt am Weizmann-Institut ein. Mit dabei waren Wolfgang Gentner sowie Feodor Lynen, Direktor des Max-Planck-Instituts für Zellchemie, um vor Ort die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Kooperation zu sondieren. Auch Amos de-Shalit war zwischenzeitlich nicht untätig gewesen. Er hatte durch seine Kontakte zum Staatsgründer David Ben Gurion das Okay der Politik eingeholt und seine Aktivitäten mit den Mitarbeitern des Weizmann-Instituts abgestimmt. Auf keinen Fall sollten deutsche Unternehmen involviert sein, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Auch galt es Rücksicht auf Institutsmitarbeiter zu nehmen, die die Schoah überlebt hatten. Dann war noch die Frage der Finanzierung zu klären, weshalb 1964 der bis heute gültige Minerva-Vertrag die Zusammenarbeit zwischen Max-Planck-Gesellschaft und dem Weizmann-Institut unterzeichnet wurde. Zudem sagte Bundeskanzler Adenauer auf seinem Treffen mit David Ben Gurion am 14. März 1960 in New York für drei Jahre jeweils eine Million DM an Fördermitteln sowie die Finanzierung des Aufbaus einer neuen Abteilung für Molekulare Biologie zu.

Vor allem jüngere Akademiker aus beiden Staaten sollten in dieses zaghaft geknüpfte Netz der Wissenschaftsbeziehungen eingebunden werden. Aber die Anfänge waren bescheiden. Aus Deutschland kamen bis Mai 1966 eine Handvoll Nachwuchswissenschaftler, zumeist Kernphysiker in den jüdischen Staat. Umgekehrt sah es nicht viel anders aus. Ereignisse wie der Eichmann-Prozess 1961 oder die Mitarbeit deutscher Forscher am ägyptischen Raketenprojekt machten es allen nicht unbedingt einfacher. Doch der Grundstein für eine Annäherung war damit gelegt. Auf diesen konnte die Politik dann nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965 bauen und die deutsch-israelischen Beziehungen zu einer Erfolgsgeschichte machen.

Unsere Serie zur israelisch-deutschen Zusammenarbeit in der Wissenschaft:

Zu Teil 2: Vom Kontakt zur Kooperation

Zu Teil 3: Fruchtbare Jahre nach der Wende

Zu Teil 4: Exzellenz am Sandkasten (Technion & Weizmann-Institut)

Zu Teil 5: Uni für alle

Zu Teil 6: Cyber-Oase mit magnetischer Wirkung

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