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Projekt Lilienthal

"Man spürt, wie der Gleiter lebt"

Christian Schnepf im Nachbau des "Normalsegelapparates" mit einer Spannweite von 6,7 Metern und ohne Piloten nur rund 20 Kilogramm Gewicht. Im Hintergrund: Ein A380 Bild: DLR / Airbus

Mit einem Nachbau des Segelapparates von Otto Lilienthal konnten Forscher des DLR die Absturzursache seines letzten Fluges wissenschaftlich rekonstruieren. Lilienthal-Double Christian Schnepf erzählt von den Tests und darüber wie sein Respekt vor der Leistung des Flugpioneers immer mehr gewachsen ist.

In einem Forschungsprojekt rekonstruierten Forscher um Andreas Dillmann vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen den Segler, auch um der Frage auf die Spur zukommen, warum Lilienthal nach etlichen erfolgreichen Flugversuchen am 9. August 1896 abstürzte. Mit der Hilfe des Lilienthal-Museums in Anklam bauten sie das Fluggerät anhand historischer Dokumente und Fotos nach. Sogar die Bespannung eines Originals analysierten Materialforscher, um den Stoff möglichst originalgetreu nachzuweben. Ein Höhepunkt der wissenschaftlichen Arbeit war eine Vermessung im deutsch-niederländischen LLF-Windkanal. Mit Schwerpunktmessungen ermittelten die Aerodynamiker wie gut sich das Fluggerät durch reine Gewichtsverlagerung steuern ließ. Als Lilienthal-Double fungierte dabei DLR-Forscher Christian Schnepf, der während der Versuchsreihen in dem etwa 10.000 Euro teuren Nachbau hing.

In einer transparenten Kuppel stellte das DLR den Nachbau des Lilienthal-Gleiters mit dem Namen "Normalsegelapparat" als Highlight auf der ILA in Berlin als. Bild: Peter Gotzner / Helmholtz-Gemeinschaft

"Ich persönlich würde mich nicht als Pilot bezeichnen. Ich bin ja nicht wirklich geflogen und hing in dem Gleiter und war nicht freischwebend",würdigt Schnepf bescheiden den Piloten Lilienthal."Nicht Luftkräfte haben mich getragen, die an den Tragflächen arbeiten, sondern Drahtseile." Die Wahl fiel unter anderem auf Schnepf, der in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik studiert hat, weil er Lilienthal in seiner Statur von etwa 1,80 Metern und rund 80 Kilogramm ähnelt. Nur ist Schnepf deutlich jünger als Lilienthal zu den Hochzeiten seiner wagemutigen Flugversuche im Berliner Umland. "Man muss bedenken, dass Lilienthal um die 50 Jahre alt war, als er verunglückt ist. Ich bin jetzt 35 und fand es war eine enorme körperliche Belastung", so Schnepf. "So anstrengend habe ich es mir zuvor nicht vorgestellt. Es ist wie im Geräteturnen am Reck nur viel schwieriger, weil man viel länger drin hängen muss", erklärt er. "Bei jedem weiteren Versuch wurden die Arme schwerer und schwerer. Und irgendwann fing ich an zu zittern. Lilienthal muss eine recht sportliche Person gewesen sein.
In ruhiger Körperlage und mit abwechselnd ausgestreckten und angewinkelten Beinen musste Schnepf verharren, umbrauchbare Werte für die Messung zu liefern. "Ich hatte am nächsten Tag extremen Muskelkater. Die Tage danach war es schwierig morgens aufzustehen", erinnert er sich. Für den Wissenschaftler der sich sonst mit Simulationen an seinem Rechner beschäftigt eine durchaus neue Forschungserfahrung. "Ich habe mal gemerkt, dass ich körperlich gearbeitet habe." Die Ehrfurcht vor dem teuren Nachbau war bei Schnepf und seinen Kollegen groß. "Es hat mich nervös gemacht, weil es eben ein Stück Historie ist, in die ich mich da reingehängt habe.", schwärmt der Forscher. "Respekt hat man dann schon vor dieser Konstruktion, vor dieser Meisterleistung Lilienthals." Ambitionen das Fluggerät Lilienthals einmal wirklich zu starten, hatte Schnepf aber nur zeitweise. Lilienthal selbst verunglückte im Spätsommer 1896 bei seinem letzten Flugversuch. Wie die Messungen der Forscher an dem Nachbau nun ergaben, war es aber kein Konstruktions-, sondern ein Pilotenfehler. Er hätte beidem Wetter zum letzten seiner über 1.000 Flugversuche nicht starten dürfen, so Andreas Dillmann. Sein Gleiter war nur für Windstille und Gegenwind geeignet.

Die Windverhältnisse am Absturztag hat Lilienthal falsch eingeschätzt. Eine so genannte Sonnenbö, in die Lilienthal hineinflog, aufgewärmte Luft am Boden die vom Wind fortgetragen wird und in einer Blase emporsteigt, riss die Nase des Gleiters nach oben und führte zum Strömungsabriss. Lilienthal konnte den Gleiter mit seinen geringen Steuerungsmöglichkeiten nicht mehr unter Kontrolle bringen. "Grundsätztlich hat Lilienthal richtig reagiert", sagte Dillmann bei Bekanntgabe der Ergebnisse."Von Zeugenaussagen wissen wir, dass er Beine und Oberkörpernach vorne geworfen hat." Dennoch stürzte Lilienthal ab und erlag einen Tag später am 10. August 1896 seinen Verletzungen.

Trotzdem, gibt auch Christian Schnepf zu, dass ihn gelegentlich der Gedanke übermannt hat den Apparat mal wirklich auszuprobieren. Zumindest während der Zeit in der er nicht durch den Muskelkater daran erinnert worden sei, wie unangenehm die Folgen sein können, scherzt er. Doch ob er letztendlich an einem Hügel losrennen würde, um abzuheben, kann er nicht mit Sicherheit sagen - vor allem mit Blick auf das Schicksal des flugerfahrenen Konstrukteurs.

Sein schönstes Erlebnis mit dem Gleiter hatte Schnepf bei einen Fototermin daher am Boden. "Wir waren auf einem Flugfeld und das erste Mal draußen im Freien", erzählt Schnepf strahlend. "Dahabe ich gespürt, wie de Gleiter arbeitet und das erste Mal die aerodynamischen Kräfte gefühlt. Ein ergreifendes Gefühl zuspüren, wie der Gleiter lebt."

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