Interview
"Man ist nur gescheitert, wenn man selbst entscheidet, dass es ein Scheitern ist"
Gunnar Dittmar ist als Experte für Proteomik und Massenspektrometrie international gefragt. Dies hat der Biochemiker auch der Tatsache zu verdanken, dass er zur richtigen Zeit die Notbremse zog und seinen Karriereweg wechselte. Im Interview berichtet er, wie er es geschafft hat, sich von beruflichen Rückschlägen nicht demotivieren zu lassen.
Gunnar Dittmar verschlug es 1997, nach seiner Promotion am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, als Postdoc an die Harvard Medical School in Boston – dem Traum vieler Nachwuchswissenschaftler. „Das war“ – wie der Biochemiker im Rückblick sagt – „eine fantastische Zeit.“ Sechs Jahre forschte er dort in einem internationalem Team.
Ein attraktives Jobangebot, das er nicht ablehnen konnte, lockte Gunnar Dittmar 2003 zurück nach Deutschland: Am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) wurde ihm die Leitung einer unabhängigen, von der DFG geförderten Forschungsgruppe angetragen. Doch dieses Mal klappte es nicht so richtig mit dem ehrgeizigen Forschungsvorhaben. Das Projekt wurde eingestellt. Gunnar Dittmar musste sich nach einer neuen Betätigung umschauen. Diese kam in Gestalt einer Umstrukturierungsmaßnahme, in deren Folge das Max-Delbrück-Centrum neue Service Units für Forscherinnen und Forscher einrichtete. Gunnar Dittmar erkannte seine Chance und übernahm 2007 die Leitung der Serviceeinheit Massenspektrometrie am MDC. Seitdem sind acht Jahre vergangen und der Biochemiker ist stolz darauf, dass er an der richtigen Stelle ja gesagt und aus einer ursprünglich vielleicht nicht so interessant gedachten Service Unit etwas gemacht hat, das ihm neue Optionen eröffnet hat und persönlich sehr viel Spaß macht.
Herr Dittmar, Sie sind Wissenschaftler mit Leib und Seele. Wie kam es dazu?
Schon während meiner Schulzeit fand ich es faszinierend, mich mit einer Frage detailliert zu beschäftigen. Die Entscheidung, in die Biochemische Forschung zu gehen, kam dadurch zustande, dass ich mich von klein auf für Chemie interessierte, entsprechende Praktika absolvierte und im Laufe der Zeit merkte, dass die Forschung meine Berufung ist.
Nach der Promotion wagten Sie den Sprung über den großen Teich an die Harvard Medical School in Boston. Was hat Sie dazu motiviert?
Die Idee entstand schon während meiner Diplomarbeit. Ich arbeitete damals in einer Gruppe mit vielen internationalen Wissenschaftlern und fand das cool. Später, während meiner Promotion am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, ging es noch internationaler zu. Die Doktoranden und Professoren dort waren alle begeistert von der Wissenschaft und das hat mich angesteckt. Für mich war klar, dass ich nach meiner Doktorarbeit an einem renommierten amerikanischen Forschungszentrum arbeiten wollte. Für das Labor in Harvard habe ich mich dann entschieden, weil es ein junges aufstrebendes Labor war. Es gibt wohl in der ganzen Welt nur wenig vergleichbare Plätze. Dort wurde eine sehr offene, kooperationsbereite und diskussionsfreudige Politik unter den Wissenschaftlern betrieben. Das war einfach toll und sehr produktiv.
Weil das Angebot als Gruppenleiter vom MDC in Berlin besser war als das in den USA.
Doch in Berlin klappte es nicht so richtig mit Ihrem Forschungsprojekt, was lief schief?
Das Forschungsprojekt war ein High-Risk-Projekt und das impliziert, dass etwas auch mal nicht funktionieren kann. Kurzum: Die erwünschten Forschungsergebnisse stellten sich nicht ein, sodass wir Schwierigkeiten hatten, weitere Projektgelder einzuwerben. Zudem erhielten wir Gegenwind von einem sehr renommierten Wissenschaftler. An einer bestimmten Stelle musste ich mir eingestehen, dass es so nicht weitergeht. Ich musste mich umorientieren und eine neue Fragestellung aufnehmen. Doch wenn man zu lange zögert, dann laufen einem die Zeit und das Geld weg und dann ist Schluss. Das ist die harte Realität, der auch ich mich stellen musste.
Sie haben es immerhin geschafft, am MDC zu bleiben und dort weiterhin in führender Position zu wirken: Was führte Sie zu Ihrem heutigen Betätigungsfeld?
Große und teure Geräte wie zum Beispiel Massenspektrometer wollen sehr viele Forschergruppen nutzen, doch die wenigsten Forscher können diese selber handhaben. So kam man bei der Helmholtz-Gemeinschaft Anfang 2000 auf die Idee, hierfür zentrale Serviceeinheiten anzubieten. Die meisten Serviceeinheiten in der internationalen Forschungslandschaft sind jedoch sehr stark als „pay for service“ ausgerichtet. Da gibt es zum Beispiel einen Katalog von fünf Leistungen zu jeweils einem bestimmten Preis. Jeder Wissenschaftler entscheidet eigenständig, welches Experiment er durch die Service Unit durchführen lassen möchte. Die Leistung wird dann bestellt, ohne weitere Nachfragen ausgeführt und der Wissenschaftler erhält dann ein Ergebnis.
Auf dieses Modell wollte ursprünglich auch das MDC setzen, doch Sie hatten etwas anderes im Sinn. Wie kamen Sie darauf?
Das Pay-for-Service-Modell kannte ich aus den USA und ich hatte damit schlechte Erfahrungen gemacht. Das Problem war, dass häufig die falsche Messmethode angewendet wurde, um ein bestimmtes Problem zu bearbeiten. Beim MDC konnte ich den Vorstand davon überzeugen, dass wir unsere Serviceeinheit stärker in Richtung Beratung und Zusammenarbeit (ein Kooperations-Hub) für bestimmte Fragestellungen ausrichten – mit Erfolg. Die meisten Wissenschaftler sind sehr zufrieden und kommen immer wieder zu uns. Und in einigen hochrangigen Publikationen werden wir als Koautoren aufgeführt, weil unser Beitrag an dem Experiment so signifikant war. Da macht die Arbeit natürlich Spaß.
Sie leiten eine anspruchsvolle Serviceeinheit und sind darüber hinaus auch weiterhin in der Forschung tätig. Wie passt das zusammen?
Als ich meine neue Aufgabe übernahm, habe ich ausgehandelt, dass ich mindestens ein Drittel meiner Zeit technischen Weiterentwicklungen und der eigenen Forschung widmen kann. Mir steht eine kleine Forschungsgruppe zur Verfügung, die technische Entwicklungen für unseren Arbeitsbereich erforscht. Technische Entwicklungen sind sehr wichtig für die Forschung und oftmals der Wegbereiter für die nächste große Erkenntnis oder den Nobelpreis. Man braucht dazu einen technischen Vorsprung, den kein anderer hat. Serviceeinheiten, die Zeit und Geld für Weiterentwicklungen haben, können so etwas vorantreiben und sind dadurch eine einmalige Ressource für ein Forschungsinstitut.
Wie haben Ihre Kollegen damals darauf reagiert, als Sie Ihren beruflichen Kurswechsel mitbekamen?
Meistens positiv. Viele Kollegen waren begeistert, dass sie jetzt jemanden kennen, der Zugang zu einem Massenspektrometer hat und sie entsprechend beraten kann.
Was würden Sie jemanden antworten, der zu Ihnen direkt ins Gesicht gesagt, „eigentlich bist doch mit deinen ursprünglichen Karrierezielen gescheitert“?
Man ist nur gescheitert, wenn man selbst entscheidet, dass es ein Scheitern ist. Ich habe meine neue Aufgabe als Chance angesehen, etwas Neues und Interessantes zu machen. Ich habe dadurch zudem große Freiheiten gewonnen. So kann ich eigenständig neue Methoden entwickeln und ich verfüge über einen eigenen Mitarbeiterstamm. Das war am Anfang natürlich nicht alles so klar, aber ich konnte meine Serviceeinheit mit viel Elan und Eigeninitiative Stück für Stück ausbauen.
Was würden Sie Nachwuchswissenschaftlern empfehlen, die vor der Entscheidung stehen, Forscher zu werden?
Wenn man in der Wissenschaft bleiben möchte, braucht man ein gewisses Feuer. Wer nach seiner Promotion nicht weiß, ob er Forscher werden soll oder nicht, der sollte besser davon Abstand nehmen, denn der Weg ist steinig. Wer vor der Entscheidung steht, sollte sich klar darüber werden, was er künftig machen möchte – zumindest in den nächsten fünf Jahren. Er sollte die Entscheidung nicht so sehr aus dem Bauch heraus treffen, sondern gut planen, wo er hin will, was er erreichen will und welche Meilensteine er überwinden möchte. Er sollte sich darüber im Klaren sein, welche Zukunftsaussichten sich ihm bieten, wenn er in der Wissenschaft bleiben möchte. Und er sollte sich bewusst sein, dass er eine Leitungsposition – sprich Führungsverantwortung – übernehmen muss. Denn feste Stellen, ohne Leitungsaufgaben gibt es kaum noch. Man hat entweder Verantwortung für eine Service Unit, für eine Forschungsgruppe oder man geht ins Wissenschaftsmanagement.
Wenn Sie Ihre eigenen Erfahrungen Revue passieren lassen: Was hat Ihnen geholfen, einen Schnitt zu machen und Ihren Karrierekurs zu ändern?
Das Selbstvertrauen mir zu sagen, dass ich in der Lage bin, etwas komplett Neues in Angriff zu nehmen und dieses dann auch erfolgreich umzusetzen. Mein Ratschlag für alle, die vor einer solchen beruflichen Kehrtwende stehen: Man sollte vor den neuen Möglichkeiten, die sich einem auftun, nicht zurückweichen, nur weil es sich um etwas Neues und Unbekanntes handelt. Man muss offen sein für neue Entwicklungen und sagen: Hey, das ist ein coole Sache, das mach ich jetzt!
Leser:innenkommentare