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Interview

„In den allermeisten Fällen klingt Long Covid wieder ab“

„Long Covid“-Patientin beim Digitalen Training im Unfallkrankenhaus Berlin. Bild: picture alliance/Jörg Carstensen

Die Münchner Virologin Ulrike Protzer im Interview über den aktuellen Wissensstand zu Corona-Langzeitfolgen – und über neue Therapie-Ansätze.

Frau Protzer, als Long Covid aufkam, war es für die Forschung ein ganz neues Feld. Wieviele gesicherte Erkenntnisse über dieses Krankheitsbild gibt es denn inzwischen?

Es herrscht immer noch viel Unsicherheit – allein schon, weil es ein sehr diverses Krankheitsbild ist. Es umfasst anhaltende neurologische, kardiovaskuläre oder andere Symptome. Das Problem fängt schon mit der Definitionsfrage an. Es gibt zwar von der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Definition, aber die ist recht schwammig und wird deshalb nicht überall verwendet. Das führt dazu, dass Zahlen aus verschiedenen Ländern oft nicht gut vergleichbar sind. Das grundlegende Kriterium ist aber, dass wir bei gesundheitlichen Folgen, die auch noch drei Monate nach der Corona-Infektion anhalten, von Long Covid sprechen.

Wie oft kommt Long Covid vor?

In der Literatur gibt es unterschiedliche Schätzungen, die zwischen 7,5 und 40 Prozent liegen: So hoch ist der Anteil der Patienten, die nach einer Infektion Symptome von Long Covid entwickeln. In seiner aktuellen Studie gibt das Center for Disease Control in den USA die Häufigkeit derer, die nach gesicherter Infektion eine Einschränkung ihrer Aktivität entwickeln, für 2022 mit 19 Prozent und für 2023 mit 11 Prozent an.

Das heißt, die Zahlen sind rückläufig?

Das Risiko, Long Covid zu bekommen, lag sicherlich am Anfang der Pandemie ein ganzes Stück höher als jetzt. Das liegt einfach daran, dass die Immunisierung schützt, die viele Menschen inzwischen aufgebaut haben – sowohl die Impfung als auch durchgemachte Infektionen. Wir gehen davon aus, dass die Fallzahlen inzwischen um 20 bis 50 Prozent niedriger liegen als in der Anfangsphase. Aber klar ist auch: Long Covid ist nicht weg.

Welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Virus-Varianten?

Die ersten Varianten hatten schwerere Krankheitsbilder mit sich gebracht. Seit es die Omicron-Variante gibt, sieht man auch Long Covid nicht mehr so häufig wie am Anfang. Aber den Hauptunterschied macht die Immunität aus, die wir aufgebaut haben.

Welche Faktoren spielen eine Rolle, ob jemand Long Covid bekommt?

Prof. Dr. Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie von Helmholtz Munich und Professorin an der Technischen Universität München. Sie forscht zu neuen Therapieansätzen im Bereich der Virus-Hepatitis und zählt seit der Pandemie zu den führenden Experten in Sachen Covid-19. Bild: Helmholtz Minich

Grundsätzlich gilt: Long Covid kann jeden treffen, unabhängig vom Alter oder der generellen Konstitution. Auch Geimpfte kann es treffen. Vorerkrankungen verstärken das Risiko. Wenn jemand unter einer Lungenerkrankung leidet und dann kommt noch Corona hinzu, ist das besonders ungünstig. Das gleiche gilt für eine vorbestehende Arteriosklerose, die im Zusammenspiel mit Corona das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erhöht.

Einige Symptome werden immer wieder als typisch für Post Covid bezeichnet…

Das ist vor allem die Atemnot. Als zweites gibt es den sogenannten Brain Fog, bei dem man kognitive Probleme hat, sich schlechter konzentrieren kann oder langsamer reagiert. Und dann ist da noch die Fatigue – also die chronische Müdigkeit und Erschöpfung.

Weiß man inzwischen, welche Mechanismen bei diesen Symptomen im Körper ablaufen?

Das Virus kann auch Nervenzellen befallen; es kommt dann zu einer Entzündungsreaktion im Nervensystem. Das spielt sicher eine Rolle beim Brain Fog und bei der Fatigue. Ein weiterer Punkt ist der Befall der Lunge, den wir auf Röntgenaufnahmen von menschlichen Lungen, aber auch im Tiermodell sehen. Was da bei Corona passiert, ist schrecklich: Die Lungen sehen furchtbar aus – selbst nach der akuten Infektionsphase. Im Regelfall regeneriert sich die Lunge wieder, aber bei diesem Schadensbild man kann sich gut vorstellen, dass sie nicht bei jedem komplett ohne Schaden verheilt. Ein dritter Punkt ist die vermehrte Neigung zu Thrombosen. Obwohl diese zum Teil sehr klein sind, können Sie die Durchblutung zum Beispiel der Muskeln stören.

Es gibt ja Hinweise darauf, dass es zu überschießenden Immun-Reaktionen kommt. Was macht das aus?

COVID-19 als Erkrankung basiert ja im Wesentlichen auf einer überschießenden Immunantwort gegen das Virus und den Zellschaden, den es im Körper verursacht. Deshalb behandelt man in schweren Fällen auch mit Cortison oder Antikörpern gegen das Zytokin IL-6. Und wir wissen, je schwerer der Verlauf von COVID-19, desto höher auch das Risiko, Long Covid zu entwickeln.

Auf welche Behandlungsmethoden setzen die Long-Covid-Zentren, die es inzwischen vielerorts gibt?

Wir haben noch nicht die eine Therapie, die alle Probleme löst. In der Anfangszeit der Pandemie konnte man mit Impfungen einige Erfolge erzielen - wenn man jemanden also quasi nachträglich gegen Corona geimpft hat. Studien zeigen auch, dass das antivirale Medikament Paxlovid bei manchen Patienten hilft, aber eben auch nicht bei allen. Das spricht dafür, dass in einigen Fällen das Virus noch irgendwo im Körper persistiert. Die Impfung ist heute weniger erfolgversprechend, weil die meisten Patienten ohnehin schon einen Kontakt mit dem Virus hatten. Es gibt Versuche mit sogenannten Antikörper- oder Lipid-Apheresen…

…also einer Methode, mit der Bestandteile aus dem Blut herausgefiltert werden…

….aber auch da gibt es keine Belege, dass es in allen Fällen hilft, und die Behandlung ist halt schon ziemlich invasiv. Neuerdings gibt es Hinweise, dass der Mangel von Serotonin eine Rolle spielen könnte; das ist ein Neurotransmitter, also ein Botenstoff. Einem amerikanischen Forscherteam ist aufgefallen, dass während der akuten Erkrankungsphase die Serotoninwerte im Blut stark sanken – und dass dieser niedrige Spiegel bei Patienten mit Long Covid nach der akuten Phase anhielt. Eine Behandlung, die den Serotoninspiegel wieder erhöht, könnte da ein Ansatz sein, aber auch dazu gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse aus systematischen klinischen Studien. Trotzdem macht das natürlich Hoffnung,

Was also können die Long-Covid-Zentren tun?

Wichtig ist, dass man die Patienten begleitet und mit ihnen kontrolliert die körperliche Belastung erhöht. Also nicht direkt wieder sportlich betätigen, danach liegt man im ungünstigen Fall wieder drei Tage flach. Vorsichtige Belastungssteigerungen sind richtig. Und man muss den Patienten immer wieder sagen, dass sich die Situation im Laufe der Zeit bessert.

Kennen Sie auch Fälle, in denen die Beschwerden nicht wieder abgeklungen sind?

Ja, die gibt es leider. Das passiert nur in einer kleinen Minderheit von Fällen - aber weil die absoluten Zahlen so hoch liegen und Corona so häufig auftritt, darf dieses Phänomen auf keinen Fall vernachlässigt werden. In den allermeisten Fällen klingt Long Covid aber tatsächlich wieder ab, auch wenn es manchmal länger dauert.

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