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Serie: 25 Jahre Mauerfall

„Ich ahnte nicht, was kommen würde“

Prof. Dr. Friedrich Wagner vor dem Fusionsexperiment "Wendelstein 7-X"

Als die Mauer fiel, saß der Physiker Friedrich Wagner in München vor dem Fernseher. Greifswald lag für ihn in weiter Ferne - noch

Von Friedrich Wagner

Den 9. November 1989 habe ich so erlebt, wie wahrscheinlich die meisten Bundesbürger - staunend vor dem Fernseher sitzend. Wir hatten weder Verwandte noch Freunde in der ehemaligen DDR und waren deshalb nicht persönlich von den Ereignissen betroffen. Welche Auswirkungen dieser Tag politisch und eines Tages auch für mich selbst haben würde, hatte ich mir damals in keiner Weise vorstellen können. Seit 1975 arbeitete ich am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching. In all diesen Jahren habe ich eng mit Physikern in Sankt Petersburg zusammengearbeitet und dadurch den Zusammenbruch der Sowjetunion intensiv erlebt. Viele meiner russischen Freunde mussten sich einige Jahre in fremden Jobs, zum Beispiel als Reiseleiter, durchschlagen. Andere wanderten ins Ausland ab und sind nicht mehr oder erst viele Jahre später zurückgekehrt. Unsere wissenschaftlichen Kooperationen litten unter den Veränderungen, kamen aber nicht zum Erliegen. Heute forsche ich wieder mit einigen Freunden von damals.

Dr. Friedrich Wagner (gelber Pullover) mit Kollegen im Kontrollraum des Fusionsexperimentes "ASDEX" im IPP Garching. Bildquelle: IPP. Aufnahme: ca. 1989

Ich selbst befand mich 1989 in einer beruflichen Umbruchsituation. Mein Fachgebiet ist die Erforschung der Kernfusion. Im Herbst 89 absolvierten wir die allerletzte Experimentierphase des Experiments ASDEX, dessen Leitung ich inne hatte und das 1990 zu Gunsten des Nachfolgers ADEX Upgrade abgeschaltet wurde. Ich hatte eben einen Ruf an die Universität Stuttgart abgelehnt und das IPP hatte mir die Leitung des experimentellen Stellaratorbereichs angeboten. Stellaratoren sind neben Tokamaks wie ASDEX die zweite Variante, das heiße Fusionsplasma mit Magnetfeldern einzuschließen. Das IPP betrieb in Garching das Stellarator-Experiment Wendelstein 7-AS und es gab bereits Pläne für den nächsten Schritt - Wendelstein 7-X. Damals hatten wir keine Ahnung, dass diese Anlage eines Tages im Osten unseres Landes entstehen und mich und viele Kollegen nach Greifswald führen würde.

Die Max-Planck-Gesellschaft und die Helmholtz-Gemeinschaft beteiligten sich intensiv am Aufbau von Wissenschaftsstrukturen im Osten. 1994 wurde das IPP-Teilinstitut in Greifswald gegründet. Hier würde das Institut also den neuen Stellarator bauen und dafür 150 Stellen verlagern. Ich war mittlerweile Mitglied des Direktoriums mit einer entsprechenden Zuständigkeit und mir war klar, dass ich mich selbst mit an die Spitze dieser Bewegung stellen müsse. Greifswald war aus unserer Sicht ein guter Standort: An der Universität gibt es eine lange Tradition der Plasmaforschung, die Erzeugung von Energie ist ein wichtiges Thema im Land, und wir konnten mit Ingenieuren aus Stralsund und Rostock und mit technischem Personal aus dem stillgelegten Kraftwerk im nahen Lubmin rechnen. Unsere wichtigste Aufgabe war anfangs, unser Kern-Knowhow nach Greifswald zu bringen. Tatsächlich ist es gelungen, genügend Resonanz im IPP zu erzeugen und viele Physiker zum Umzug zu bewegen. Ich selbst bin 1998 nach Greifswald gegangen, meine Frau folgte 1999 nach. Die Übergangsperiode war schwierig: 1999 saß ich 54-Mal im Flugzeug - mehr als einmal pro Woche!

Im Jahr 2000 wurde im Beisein des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder unser neues Institutsgebäude in Greifswald eingeweiht; ein Jahr später ging WEGA, unser kleiner Forschungs- und Ausbildungsstellarator, in Betrieb. 2014 haben nun meine Nachfolger mit den Betriebsvorbereitungen für Wendelstein 7-X begonnen. Damit ist es dem IPP gelungen, die eigenen Ideen für einen reaktorrelevanten Stellarator zu verwirklichen. Dass wir dabei auch einen Beitrag zur Entwicklung der Forschung in den neuen Bundesländern leisten konnten, erfüllt uns heute mit Stolz.

Der Physiker Friedrich Wagner trat 1975 in das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik ein. Ab 1986 leitete er dort das Tokamakexperiment ASDEX und wurde 1988 zum Wissenschaftlichen Mitglied des Instituts berufen. Von 1989 bis 1993 war Wagner Projektleiter des Stellaratorexperiments Wendelstein 7-AS. Von 1993 bis 2005 war er Mitglied des IPP-Direktoriums, von März 1999 bis April 2007 Sprecher des IPP-Teilinstituts Greifswald und von 2003 bis 2005 Leiter des Ressorts "Unternehmung Wendelstein 7-X". Ende 2008 ging Friedrich Wagner in den Ruhestand.

Seine Erzählung ist Teil unserer Serie zum Mauerfall, in der Helmholtz-Forscher von ihren persönlichen Geschichten berichten. Eine Übersicht aller bisher erschienen Berichte gibt es hier: www.?helmholtz.?de/?mauerfall

Das IPP-Teilinstitut Greifswald

In dem 1994 gegründeten IPP-Teilinstitut Greifswald entsteht die Fusionsanlage Wendelstein 7-X. Hier sind rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Kooperationsvereinbarungen auf dem Gebiet der fusionsorientierten Plasmaphysik verbindet das IPP mit dem Institut für Physik der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald und mit der mit der Technischen Universität Berlin: Vier Wissenschaftliche Direktoren des IPP sind zugleich als Professoren an die Universitäten in Greifswald bzw. Berlin berufen.

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