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Kommentar

Höchste Zeit für skeptisches Vertrauen

Einmal jährlich befragt die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ die Bevölkerung zu ihrer Einstellung zu Wissenschaft und Forschung. In diesem Jahr ging es unter anderem darum, wie stark das Vertrauen in die Wissenschaft ist. Ein Kommentar von Annette Leßmöllmann.

Hut ab vor den Befragten. Wenn ich zu dem Satz „Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und nicht genug ihren Gefühlen und dem Glauben“ meine Einschätzung abgeben sollte, würde mich das in Verwirrung stürzen: „Die Menschen“? Wer war das gleich nochmal – etwa alle auf der Erde? Tut mir Leid, die kenne ich nicht persönlich. Dann der Begriff „Vertrauen“: Soll ich blindes, nicht-wissendes Vertrauen gutheißen oder durch rationale Erkenntnis gestärktes? Und: Zu welchen Gelegenheiten soll vertraut werden; geht es um Alltagsentscheidungen oder um Politik? Ob jemand sich beim Heilpraktiker wohl fühlt und deswegen seinem Arzt den Rücken kehrt, scheint mir eine Entscheidung anderer Tragweite zu sein, als wenn ein Minister etwas glaubt und deswegen medizinische Fakultäten verkleinert. Und überhaupt „die Wissenschaft“. Was soll das bitte sein?

<b>Annette Leßmöllmann</b> leitet die Abteilung Wissenschaftskommunikation in der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften des KIT

Vielleicht hat sich das ja auch einer der Befragten gefragt. Vertraut er deshalb der Wissenschaft nicht? Ich würde sagen: Hier keimt vernünftige Skepsis, die Lust am Hinterfragen, nur, um nicht alles zu glauben, was einem vorgesetzt wird. Die Fragen der Forscher dann dennoch nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten, wäre wieder ein Vertrauensakt, der in Richtung blindes Vertrauen geht: „Ich habe zwar meine Zweifel, aber die Wissenschaftler werden schon das Richtige daraus machen.“ Dieses Vertrauen, das zeigen Forschungsergebnisse, dient als gesellschaftlicher Kitt. Ohne den es nicht geht.

Diese Überlegungen zeigen, dass „Vertrauen“ eine facettenreiche Angelegenheit ist: Ich kann darauf vertrauen, dass es bei aller Debatte, Skepsis und manchem auch medial sichtbaren Fehlverhalten von Wissenschaftlern doch die wissenschaftlichen Methoden sind, die langfristig die verlässlichsten Ergebnisse liefern. Das heißt aber nicht, dass ich darauf vertraue, dass jedes wissenschaftliche Ergebnis so gut und anwendbar ist, dass es eins zu eins eine politische Entscheidung oder meine Alltagsentscheidung begründen kann. Ein Vollvertrauen in Wissenschaft brächte mich aufgrund der Widersprüchlichkeit und auch der Lücken im wissenschaftlichen Wissen in Teufels Küche.

Im besten Sinne blindes Vertrauen bringt man nur der Institution Wissenschaft entgegen, da man dort nicht täglich nach dem Rechten sehen kann. In der Einzelentscheidung im Alltag, aber auch in der Politik sollte Vertrauen dagegen heißen, dass ich auch auf meinen eigenen Geist vertraue und mich an den Erkenntnissen aus den Wissenschaften abarbeite. Mit Wissenschaftlern in den Ring zu steigen, ihre Arbeit zu hinterfragen und sich in Schulen und Universitäten nicht zu scheuen, Glaubensfragen und Gefühle mit wissenschaftlichen Ansätzen zu kontrastieren – das hilft, wissenschaftliches Denken und Methodiken besser zu verstehen.

Ein fragendes, im besten Sinne skeptisches Vertrauen ist förderlich und entwertende Einstellungen wären fatal. So gesehen sind die Ergebnisse der Studie nicht beglückend, wobei die recht starken Misstrauensäußerungen bei den Reizthemen Klimawandel und Grüner Gentechnik nicht überraschen. Irritierend ist aber, dass 38 Prozent dem eingangs zitierten Satz zustimmen oder eher zustimmen. Demgegenüber unterstellen nur 32 Prozent der Befragten ihren Mitmenschen, „die Wissenschaft“ für eine gute Alternative zu Glauben oder Gefühl zu halten. Auch wenn das nur ein indirektes Indiz für die Einstellungen der Bürger ist: Höchste Zeit, in skeptisches Vertrauen zu investieren. Oder die Fragen so zu formulieren, dass wir wirklich herausbekommen, wie es derzeit um das Vertrauen in die Wissenschaft steht.

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