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Extremtests im Windkanal

Gemeinsame Forschung für die Flugzeuge von morgen

Das Projekt kombiniert Computersimulationen mit Tests an einem von Airbus bereitgestellten Windkanalmodell. Die Versuche finden im Europäischen Transsonischen Windkanal (ETW) in Köln statt, der flugrelevante Bedingungen darstellen kann. Foto: ETW & IAG/Universität Stuttgart

Um künftige Verkehrsflugzeuge noch effizienter zu machen, lotet ein bisher deutsches Forschungsprojekt die aerodynamischen Grenzen aus. Doch die Phänomene sind so komplex, dass sie sich nur mit hohem Aufwand ergründen lassen. Dies ist nur dank einer bis dato einzigartigen Kooperation möglich.

Die internationale Luftfahrt hat sich selbst verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, muss vor allem im Hinblick auf die Antriebtechnologien viel passieren. Doch auch in der Gestaltung der Flugzeugzelle liegt noch viel Potenzial sowohl bei der Aerodynamik als auch bei der Bauweise. Denn je effizienter und leichter der Airliner von morgen ist desto weniger Treibstoff verbraucht er. Wichtig für die Auslegung ist dabei nicht das Verhalten bei normalen Bedingungen sondern bei Extremsituationen wie dem Strömungsabriss bei hohen Geschwindigkeiten, der so genannte High-Speed Stall. Dabei verliert die Tragfläche den Auftrieb, und das Flugzeug sackt durch. Dazu kann es in sehr seltenen Notfällen kommen, wenn etwa ein Jet sehr schnell fliegt und einen plötzlichen Abstieg durchführt. Wie verhält sich das Flugzeug in einer solchen außerordentlichen Situation, und welchen Belastungen ist es dabei ausgesetzt? Genau diese Fragen stehen im Mittelpunkt eines im Jahr 2020 begonnenen Forschungsprojekts. Trotz aller Fortschritte bei der Computersimulation sind die auftretenden Phänomene so komplex, dass sie unter realistischen Bedingungen in einem Windkanal ergründet werden müssen.

Auf dieser Seite des Atlantiks existiert mit dem Europäischen Transsonischen Windkanal (ETW) nur eine dazu geeignete Versuchsanlage, denn der Aufwand zur Schaffung flugrelevanter Bedingungen ist enorm: so müssen im Kanal ein hoher Druck (bis zu 4,5 bar) und niedrige Temperaturen (bis zu minus 160 Grad Celsius) erzeugt werden.

Bei den Versuchen kommt modernste Lasermesstechnik zum Einsatz, um die hoch komplexen Phänomene zu erforschen. Foto: DLR/Agocs

Aufgrund der entsprechend hohen Kosten ist bis dato nur die Industrie regelmäßig in der Lage, diese Infrastruktur für produktnahe Anwendungen zu nutzen. Die extreme Komplexität der aerodynamischen Vorgänge beim High-Speed Stall erfordert jedoch einen hohen Anteil an Grundlagenforschung, welchen die Flugzeughersteller alleine nicht leisten können. Dies fällt eher in den Bereich der universitären Forschung, die aber in der Regel keinen Zugang zu Einrichtungen wie dem ETW besitzt. Da das aktuelle Thema aber derart wichtig für zukünftige Innovationen ist, musste ein Ausweg aus diesem Dilemma her.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutscher Universitäten sowie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) taten sich zusammen, um die Problematik mit Unterstützung von Helmholtz, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)  und Airbus anzugehen. Helmholtz ermöglichte zudem mit einer umfangreichen finanziellen Förderung den Zugang zum ETW „Dank des Engagements der Gemeinschaft können Wissenschaftler diese hochkomplexe Physik unter flugrelevanten Bedingungen im Labormaßstab im ETW an einem Airbus-Modell untersuchen und dabei modernste Mess- und Simulationstechniken des DLR nutzen. Diese direkte Zusammenarbeit von Grundlagen- und angewandter Forschung mit der Industrie ist bislang einzigartig“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe, Thorsten Lutz von der Universität Stuttgart.

Der Erfolg gibt den Forschenden Recht: „Die Ergebnisse sind weltweit einzigartig. Die physikalischen Fragestellungen, die beantwortet werden können, als auch die technische Umsetzung sind weit über die ursprünglich vorgesehenen Ziele hinausgegangen“, erklärt Projektkoordinator Lars Koop vom DLR. Da das von Airbus bereitgestellte, im Maßstab 1:37 gehaltene Modell aktuellen Produkten nahe kommt, kann der Flugzeugbauer schon jetzt gewonnene Daten und Erkenntnisse in aktuelle Entwicklungsprozesse einfließen lassen. „Dieser echte Schub an Innovation hat auch in den ETW-Partnerländern Großbritannien und den Niederlanden große Wellen geschlagen; sie suchen im Moment nach Wegen, ihren Forschenden ähnliche Möglichkeiten zu schaffen“, meint Guido Dietz, Managing Director des ETW. Die Kooperation hat damit eine Vorbildfunktion über die Grenzen hinweg, und stellt eine mögliche Schablone für weitere Forschungsthemen auf dem Weg zum klimaneutralen Airliner dar.

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