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Interview

„Forschung benötigt eine offene Kommunikation“

Astrid Lambrecht Bild: Forschungszentrum Jülich

Die neue Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich, Astrid Lambrecht, im Interview über einen innovativen Führungsstil, über ihren Weg zur Quantenphysik – und darüber, wie sie das Forschungszentrum positionieren will.

Frau Lambrecht, Sie waren 25 Jahre in Frankreich. Haben Sie sich nach der langen Zeit wieder gut eingelebt in Deutschland?

(lacht) Ja, inzwischen schon. Aber es braucht tatsächlich seine Zeit: So viele Jahre im Ausland haben mich natürlich schon geprägt.

Was haben Sie denn nach Ihrer Rückkehr über das Forschungszentrum Jülich gelernt mit Ihrem frischen Blick von außen?

Ich habe gelernt, dass das Forschungszentrum Jülich ein unheimlich komplexes System ist, und zwar im besten Sinne des Wortes. Der Hauptgrund, warum ich die Arbeit hier so spannend finde, liegt in unseren drei Fokusthemen Energie, Information und nachhaltige Bioökonomie. Das Zukunftspotenzial in diesen Bereichen ist gewaltig und wird durch die Wechselbeziehungen untereinander noch verstärkt.

Diese Struktur gibt es ja bereits. Welche neuen Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer Amtszeit setzen?

Ich möchte die interdisziplinäre Zusammenarbeit in unserem multi-thematischen Zentrum noch weiter stärken. Viele der großen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nur interdisziplinär lösen, davon bin ich überzeugt – und mit unseren Fokusthemen haben wir dazu den Weg bereits geebnet. Das darf aber selbstverständlich nicht heißen, dass wir die Arbeit innerhalb der Disziplinen vernachlässigen: Interdisziplinarität ist immer nur so gut wie ihre Basis in den einzelnen Disziplinen. Ohne dort exzellent zu sein, gleitet man ins Mittelmaß ab.

Werden Sie doch gern konkret: Mit welchen Schritten möchten Sie die Interdisziplinarität stärken?

Die institutionellen und organisatorischen Strukturen, die wir in Jülich haben, sind gut. Ich will aber auch das informelle Miteinander fördern und das gegenseitige Verständnis. In diesem Fall rede ich übrigens nicht nur von der Wissenschaft, sondern auch vom Zusammenspiel zwischen Forschung, Verwaltung und Technik. Genau dort möchte ich gern einen Kulturwandel anstoßen und das Wir-Gefühl stärken. Denn eins ist klar: Wir haben beste Voraussetzungen für eine Vernetzung, weil wir auf unserem Campus eng beieinander sitzen und gut ins Gespräch kommen können. Damit hängt auch zusammen, was ich gleich an meinem ersten Arbeitstag gemacht habe…

Was war das?

Ich habe die gesamte zweite Führungsebene eingeladen, um über meine Ideen zu sprechen und darüber, wo es hingehen soll. Und auch um zu zeigen, wie mein Führungsstil ist. Ich bin überzeugt, dass Forschung eine offene Kommunikation benötigt, Transparenz und die Fähigkeit zuzuhören. Ohne Vertrauensbasis geht das nicht. Auch deshalb war es mir schon immer wichtig, regelmäßig und intensiv in die konkrete Forschung einzutauchen, weil ich wissen möchte, woran gearbeitet wird und wo die Veränderungen und Herausforderungen liegen.

Die Themen Quantencomputing und Künstliche Intelligenz gelten als große gesellschaftliche Zukunftsthemen. Wie möchten Sie Jülich da positionieren?

Wir wollen unsere Zusammenarbeit mit internationalen Forschungseinrichtungen und Unternehmen sowie auch Start-ups in der Region ausbauen und dazu beitragen, den Wissenschaftsstandort NRW in Europa weiter stärken. Vor diesem Hintergrund sind wir auch im Netzwerk „Ein Quantum NRW“ im Bereich Quantentechnologien aktiv, in dem sich auch die NRW-Ministerien für Wirtschaft und Wissenschaft engagieren. Ziel des Netzwerkes ist es, die Kompetenzen in NRW zu bündeln und dabei direkt die Wirtschaft miteinzubinden.

Deutschlands schnellster Superrechner JUWELS am Jülich Supercomputer Center (JSC). Bild: Forschungszentrum Jülich, Sacha Kreklau

Beim Thema Information kommt uns in Jülich eine besondere Aufgabe und Verantwortung zu, da hier im nächsten Jahr mit dem Rechner „JUPITER“ der erste europäische Exascale-Rechner in Betrieb gehen wird. Exascalerechner sind Computer, die im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) ausschlaggebend sein werden. „JUPITER“ ist ein Superrechner mit mehr als einer Trillion Rechenoperationen pro Sekunde. Weltweit wird dies einer der ersten Rechner dieser Art sein. Das ist eine Riesenchance, um sogenannte Large Foundational Models zu entwickeln, also groß angelegte Modelle für maschinelles Lernen, die auf breiten Datensätzen trainiert wurden und für eine Vielzahl von Anwendungen angepasst werden können.

Der Exascale-Rechner wird hier in einer Umgebung mit anderen Höchstleistungsrechnern und ersten Quantencomputern betrieben werden. Diese Rechen-Infrastruktur werden wir nicht nur der Wissenschaft, sondern auch einem breiten Kreis von europäischen Nutzern aus Industrie und dem öffentlichen Sektor zur Verfügung stellen. Insgesamt möchte ich, dass wir in Jülich unsere Forschungsinfrastruktur noch stärker für Anwender außerhalb der Wissenschaft öffnen. 

Sie haben ja selbst eine lange Forschungskarriere hinter sich. Wie sind Sie eigentlich ausgerechnet zur Quantenphysik gekommen?

Es gab ein paar Begegnungen, die mich sehr geprägt haben. Ganz am Anfang habe ich Medizin studiert, aber dann nach einigen hochinteressanten Physikvorlesungen das Fach gewechselt. Und für einen Auslandsaufenthalt hat mich der Vertrauensprofessor der Studienstiftung dann an das Imperial College nach London geschickt – in eine Quantenoptik-Gruppe. Dort habe ich das Thema für mich entdeckt und meine Diplomarbeit dazu geschrieben. Danach wollte ich dann gern wieder ins Ausland…

…und diesmal ging es nach Frankreich, wo Sie ja lange geblieben sind. Was hat Sie dort fasziniert?

In Frankreich sind experimentelle Physik und die Theorie viel enger miteinander verknüpft. Man sagt ja immer, die Quantenoptik sei unheimlich schwierig und abstrakt – und dort konnte ich auf einmal an Experimenten arbeiten, die die Theorie aus den Büchern sichtbar machen. Das hat mich so angesprochen, dass ich mit Frankreich verbunden geblieben bin.

Wie weit war damals die Quantenphysik?

Als ich angefangen habe, wurden gerade die Atomfallen entwickelt, die auf opto-mechanischen Phänomenen beruhen, mit denen man Atome einfangen und speichern kann. Außerdem wurde an speziellen Quantenzuständen des Lichts geforscht. Daran habe ich gearbeitet und mich später auf Quanten-Vakuum-Fluktuation und den Casimir-Effekt spezialisiert. Ich habe mir in meiner Postdoc-Zeit gesagt: Alle berechnen mathematisch abstrakt Effekte von Vakuum-Fluktuation – aber eigentlich muss man diese doch auch in realistischen experimentellen Situationen berechnen und mit den Messresultaten vergleichen können. Mit meiner Forschung wurde ich dann Teil einer Welle, in der sich das Thema gerade in vielen anderen Teilen der Welt zu entwickeln begann.

Lassen Sie uns nochmal in die Gegenwart schauen: Sie sind ja auch designierte Vizepräsidentin des Helmholtz-Forschungsbereichs Information. Welche Pläne haben Sie?

Die besondere Herausforderung liegt darin, die zukunftsweisenden Themen in einem klaren Profil des Forschungsbereichs zu verbinden. Dabei ist darauf zu achten, dass wir die Schnittstellen so definieren, dass sich alle beteiligten Helmholtz-Zentren mit ihrer jeweiligen Ausrichtung gut darin wiederfinden und wir Synergien und einen klaren Mehrwert durch die Zusammenarbeit im Forschungsbereich schaffen. Wichtig ist mir, dass sich die Methodenentwicklung im Forschungsbereich Information nicht von den Anwendungen entkoppelt. Hierzu befindet sich der Forschungsbereich in einem Strategieprozess, in dem ich als designierte Vizepräsidentin Wert darauf lege, dass wir gemeinschaftlich die aktuelle strategische Ausrichtung auf den Prüfstand stellen.

Zur Person:

Astrid Lambrecht ist seit August 2023 die Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich. In ihrer eigenen Forschung ist sie auf Quantenphysik spezialisiert. Nach ihrem Physikstudium in Essen und London wurde sie 1995 am Forschungsinstitut Laboratoire Kastler Brossel (LKB) in Paris promoviert. 2002 habilitierte sich Lambrecht an der Pariser Universität Pierre und Marie Curie. Erfahrungen im Wissenschaftsmanagement sammelte sie unter anderem am renommierten Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Paris, dem Centre national de la recherche scientifique (CNRS). Dort war sie zuletzt Direktorin des Geschäftsbereichs Physik. 2021 wurde Astrid Lambrecht Vorstandsmitglied am Forschungszentrum Jülich.

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