Forschen – und dem Krieg trotzen

Ministerien und Forschungsakteure aus Deutschland und der Ukraine, treffen sich regelmäßig im Rahmen des Deutsch-Ukrainischen Gemeinsamen Ausschusses für Zusammenarbeit in Forschung und Technologie, zuletzt im September in Warschau. Bild: Deutsche Botschaft Warschau
Stipendien, Onlinekurse, Politikberatung: Wie die deutsche Wissenschaft der Ukraine hilft.
Forschungszentren sind beschädigt, Labore zerstört: Der Krieg in der Ukraine schadet auch der Wissenschaft im Lande. So ergaben Studien, dass etwa jede fünfte Hochschul- und Forschungseinrichtung seit dem Angriff Russlands beschädigt wurde, zudem flohen zahlreiche Mitarbeitende ins Ausland oder wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Die zurückbleibenden Wissenschaftler:innen arbeiten deshalb heute unter erschwerten Bedingungen: Zur Sorge um Angehörige und Freunde kommen zum Beispiel Reisebeschränkungen, wodurch ukrainische Forscher:innen seltener an internationalen Konferenzen teilnehmen können, außerdem musste das Land zahlreiche Fördermittel streichen.
Die deutsche Wissenscommunity unterstützt die ukrainischen Wissenschaftler:innen bereits seit Kriegsbeginn und hat ihr Engagement nun noch einmal verstärkt: Im September 2025 trat die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, ein Zusammenschluss der wichtigsten deutschen Forschungseinrichtungen, der Internationalen Koalition für Wissenschaft, Forschung und Innovation in der Ukraine bei. Diese Koalition wurde im Juli 2025 auf der internationalen Wiederaufbaukonferenz in Rom gegründet und will die Wissenschaftslandschaft in der Ukraine stärken und modernisieren. Dort lebende Forschende sollen außerdem wieder leichter Zugang zur internationalen Forschungsgemeinschaft finden.
Die deutschen Wissenschaftsorganisationen traten dieser Koalition ganz bewusst nicht einzeln, sondern gemeinsam über die Allianz bei: So ist gesichert, dass sie ihre Hilfen sinnvoll bündeln und Anliegen koordiniert vertreten. Helmholtz unterstützt ukrainische Wissenschaftler:innen jedoch auch jenseits der Allianz, oft sogar schon seit Kriegsausbruch – sei es durch gemeinsame Forschungsgruppen, die Vergabe von Stipendien oder das Angebot von Online-Fortbildungen.
So fördert etwa das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY einzelne Forschende finanziell oder nimmt sie als Gastwissenschaftler:innen auf, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) stellt Stipendien. Auf gemeinsame Forschungsprojekte setzt das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ : Bei „MicroMet“zum Beispiel ergründen Wissenschaftler:innen aus Deutschland und der Ukraine gemeinsam, wie sich die Bodengesundheit von landwirtschaftlichen Flächen optimieren lässt. In Planung ist zudem ein Projekt, das sich den durch den Krieg zerstörten Ökosystemen in der Ukraine widmen soll: Gemeinsam mit der dortigen Nationalen Akademie der Wissenschaften wollen Fachleute des UFZ zum Beispiel Gewässer dekontaminieren, die durch Kriegshandlungen chemisch verseucht wurden.
Das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) sucht gemeinsam mit Wissenschaftler:innen aus der Ukraine nach Medikamenten zur Behandlung von Infektionskrankheiten. Dafür wollen beide Seiten in der westukrainischen Stadt Lwiw eine Forschungsinstitution aufbauen, die international hochrangig vernetzt ist und auch Partner aus der Industrie einbindet.
Einen solchen Meilenstein hat das Projekt „Green Deal Ukraina“ bereits erreicht: Nach zwei Jahren Vorbereitung wird im November 2025 nun ein Joint Lab zwischen dem Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) und der Mohyla Universität in Kiew gegründet. Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen werden dort künftig an der Frage arbeiten, wie sich die Ukraine auch in den kommenden Jahren zuverlässig mit Strom und Wärme versorgen kann – trotz zum Teil massiver Kriegszerstörungen bei den Energieanlagen. Die Fachleute des Think Tanks stehen dann als unabhängige Ansprechpartner:innen für Politik und Wirtschaft zur Verfügung, organisieren Tagungen und liefern auch aktuelle Daten über das Energiesystem des Landes. An der Universität Mohyla werden sie zudem auch Forschung und Lehre anbieten, zum Beispiel ein ECTS-basiertes Masterprogramm.
Unterstützt werden sie dabei von Wissenschaftler:innen des HZB, das das Projekt „Green Deal Ukraina“seit 2023 zusammen mit Expert:innen aus Polen und der Ukraine vorantreibt. „Wir stellen jetzt die entscheidenden Weichen für die Zukunft“, erklärt Susanne Nies, Energieexpertin und Projektleiterin beim HZB. Denn ab 2027 soll die Denkfabrik auf eigenen Beinen stehen – in der Ukraine, für die Ukraine, aber mit ausdrücklich von der Ukraine gewünschter starker deutscher und polnischer Beteiligung.
International sei das Projekt bereits bestens vernetzt, sagt Nies. So arbeitet „Green Deal Ukraina“ zum Beispiel mit verschiedenen Gremien der EU zusammen, außerdem begleiten die Fachleute des Projekts Delegationen des ukrainischen Energieministeriums zu Verhandlungen nach Brüssel und nahmen zuletzt auch an der internationalen Ukraine-Konferenz in Rom teil. Die von „Green Deal Ukrainia“ modellierten Daten nutzt zudem auch die internationale Energiebehörde IEA.
Wichtiges Element des Projekts sind auch seine Weiterbildungsprogramme, an denen bereits mehr als 300 Menschen teilgenommen haben. Zwar sind die Arbeitskräfte im Energiesektor der Ukraine gut qualifiziert, ihnen fehlt aber oft das Fachwissen über Energiesysteme, Klimapolitik und erneuerbare Energiequellen. Deren Nutzung muss das Land allerdings ausweiten, wenn es der EU beitreten und seine Klimaziele einhalten will. Auch strategisch bieten Solar- und Windkraftanlagen der Ukraine Vorteile: Sie geben weniger attraktive Kriegsziele ab als zum Beispiel Großkraftwerke. Werden diese bei militärischen Angriffen getroffen, ist oft die Energieversorgung ganzer Landstrichen gefährdet – anders als bei dezentral errichteten Wind- und Solarparks.
Wie die sich planen und finanzieren lassen: Auch darüber beraten die Fachleute des Think Tanks künftig Bürgermeister:innen und Energiemanager:innen in der Ukraine. Neben technischem Know-how und praktischer Hilfe leisten Projekte wie „Green Deal Ukraina“aber noch etwas anderes, betont Susanne Nies: moralische Unterstützung für die Menschen in den Kriegsgebieten. Sie selbst erlebe ihre Projektpartner:innen dort oft erschöpft, etwa weil sie mehrere Nächte hintereinander Schutz in einem Bunker suchen mussten oder sie sich um Angehörige sorgen, von denen sie nach einem Angriff noch nichts gehört haben. „Es ist wichtig, dass die Menschen in der Ukraine merken, dass wir weiter an die Zukunft dieses Landes glauben“, so Nies, „und dass wir bereits jetzt gemeinsam mit ihnen Pläne schmieden, wie der Wiederaufbau gelingen kann.“
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