Satelliten-Start
Erdbeobachtung für alle
Das europäische Copernicus-Projekt soll hochaufgelöste Bilder von fast jedem Ort der Erde liefern, die höchstens fünf Tage alt sind – kostenlos für alle. Mit dem Start des Satelliten Sentinel-2B ist nun das Herzstück der Mission komplett.
Die Europäische Raumfahrtagentur ESA nennt es „das ambitionierteste Erdbeobachtungsprogramm aller Zeiten“: Copernicus, eine gemeinsame Unternehmung von ESA und der Europäischen Union. Das Programm umfasst Messungen am Erdboden sowie eine ganze Flotte eigener Satelliten, um laufend den Zustand von Ozeanen, Landflächen und Erdatmosphäre zu überwachen. Die gewonnenen Daten sind nicht nur für Umweltwissenschaftler interessant. Auch in der Katastrophenhilfe, der Landwirtschaft und der Verkehrsplanung sollen sie genutzt werden. Ein riesiges Potenzial steckt in der freien Verfügbarkeit der Daten. Unternehmen und Zivilgesellschaft können sie frei nutzen. Welche neuen Anwendungen und Geschäftsmodelle sich daraus entwickeln, ist noch nicht abzusehen.
Den Weg für das riesige Programm hat unter anderem der große Erfolg der ESA-Forschungsmission Envisat geebnet. Dieser Koloss war mit einem Gewicht von acht Tonnen der größte zivile Erdbeobachtungssatellit der Welt. Bestückt mit zehn verschiedenen Instrumenten zur Erdbeobachtung überflog er jeden Punkt der Erde mindestens alle fünf Wochen und lieferte von 2002 bis 2012 eine gigantische Menge an Daten mit denen Wissenschaftler die Höhe des Meeresspiegels, die Temperatur der Ozeane oder die Eisbedeckung der Pole verfolgen konnten.
Der Aufbau von Copernicus
Es war nicht zuletzt der enorme Nutzen all dieser Daten, der Wissenschaft und Regierungen in Europa motivierte, das langfristige Copernicus-Programm aufzubauen. Mit moderneren Instrumenten, einer engeren zeitlichen und räumlichen Abdeckung der Erde sowie einer größeren Laufzeit soll es noch bessere Informationen über den Zustand des Ökosystems der Erde und die Vorgänge an Land, auf den Ozeanen und in der Atmosphäre liefern. Ein Teil des Datenfundus von Copernicus kommt dabei auch von bestehenden Weltraummissionen einzelner Länder. So betreibt etwa das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit TerraSAR-X und TanDEM-X seit Jahren erfolgreiche Satellitenmissionen zur Erderkundung mit Radartechnik.
Das Herzstück des Copernicus-Projekts im Weltraum bilden die Sentinel-Missionen. Anstatt eines einzelnen, großen Satelliten wie Envisat setzen EU und ESA nun auf kleinere Einzelmissionen mit spezialisierten Aufgaben. Das Vorgehen bietet neben einer größeren Ausfallsicherheit auch mehr Flexibilität: So haben etwa Radar-Instrumente zur Vermessung des Erdbodens einen viel größeren Energieverbrauch als optische Kameras. Während sich die verschiedenen Instrumente auf dem Envisat-Satelliten das begrenzte Energie-Budget teilen mussten, sind die einzelnen Sentinel-Missionen nun eng auf ihren Zweck zugeschnitten.
Ständig aktuelle Satellitenbilder dank Sentinel-2
Sentinel-2A und -2B sind baugleiche Erdbeobachtungssatelliten mit Sensoren, die von der Erde zurück reflektierte elektromagnetische Strahlung bei verschiedenen Wellenlängen aufnehmen: Sie decken die Wellenlängen des sichtbaren Lichts sowie Teile des Spektrums der Infrarotstrahlung ab. Sentinel-2A ist bereits seit Juni 2015 im All, Sentinel-2B nun ebenfalls. „Wenn beide zusammen die Erde umkreisen und jeweils laufend Streifen von 290 Kilometern Breite beobachten, kann jeder Ort auf der Erdoberfläche – mit Ausnahme der Pole – alle 5 Tage abgedeckt werden“, sagt Claudia Künzer, Geowissenschaftlerin und Leiterin der Abteilung „Landoberfläche“ am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD), des Earth Observation Center (EOC) des DLR. „Die gelieferten Bilder haben dabei eine Auflösung von bis zu 10 Metern pro Pixel. Die Kombination der Sentinel-2-Daten mit denen der Radarsatelliten von Sentinel-1 ermöglicht uns zudem, auch Regionen unserer Erde zu untersuchen, die häufig durch Wolkenbedeckung für den Blick optischer Systeme verborgen bleiben“, so Künzer.
Offene Daten für vielfältige Anwendungen
Der Nutzen der aufgenommenen Daten geht dabei weit über die Verwendung als Satellitenfotos hinaus: „Aus den Rohdaten leiten wir im Erdbeobachtungszentrum nach umfangreicher Verarbeitung geowissenschaftliche Informationsprodukte ab, etwa im Kontext des globalen Wandels. Sie sollen bei der Beantwortung drängender, gesellschaftsrelevanter Fragen helfen, etwa zu städtischen Lebensräumen, Agrar- und Waldökosystemen, Küsten und Flusseinzugsgebieten, oder den Hochgebirgsregionen unseres Planeten, aber auch Aufschluss über meteorologische Fragestellungen und Naturgefahren bieten“, sagt Künzer.
Dabei ist vor allem Expertise in der Verarbeitung großer Datenmengen gefragt: „In unseren Forschungsabteilungen ‚Landoberfläche‘, ‚Atmosphäre‘ und ‚Georisiko und zivile Sicherheit‘ werten wir mit innovativen Methoden des „Big Data Processing“ – insbesondere basierend auf langjährigen Zeitreihenanalysen – die Daten aus, um sie zu geowissenschaftlichen Informationsprodukten zu veredeln. Landnutzungsinformationen, globale Siedlungsmuster, die Quantifizierung von Überflutungsereignissen weltweit, Bodenabsenkungskarten, oder auch Informationen zur Dynamik großer Gletscher sind nur einige Beispiele unseres Portfolios“, sagt Künzer.
Für diese oder andere Anwendungen der Copernicus-Daten sind Forscher, Unternehmen und Bürger nicht allein auf die Initiative oder eine Erlaubnis von offizieller Seite angewiesen. In einem Internetportal werden die Daten unter einer offenen Lizenz jedem zur Verfügung stehen, der sie ansehen oder verarbeiten will. So können sich Geschäftsmodelle, gemeinschaftlich entwickelte Anwendungen oder künstlerische Interpretationen der Daten entwickeln, die der Gesellschaft im Ganzen zugutekommen.
Satellit Sentinel-2B erfolgreich gestartet
Offizielle Webseite zu Copernicus von BMVI und DLR
Deutschsprachiger ESA-Infotext zu Erdobeobachtungsprogrammen
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