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Portrait

Die Virenkennerin

Prof. Dr. Ulrike Protzer ist Institutsdirektorin des Instituts für Virologie am Helmholtz-Zentrum München und Leiterin des Instituts für Virologie an der TU München. Bild: HMGU

Ulrike Protzer hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt der Viren zu entschlüsseln – mit dem Ziel, wirkungsvolle Therapien für Infektionskrankheiten zu finden. Mit ihrem Team forscht sie vor allem zu Hepatitis B – und zum neuartigen Coronavirus. Das macht sie zu einer gefragten Expertin in den Medien.

Der Saal ist abgedunkelt, die Scheinwerfer richten sich allein auf Ulrike Protzer. Vorn auf der Bühne steht sie, in der Hand ein Mikrofon, sie trägt einen roten Blazer und spürt, wie alle Zuhörer im Raum sie gespannt anschauen. „Viren sind außerordentlich lästig“, so beginnt sie ihren Vortrag. „Sie legen nicht nur den Computer lahm, sondern auch Sie selbst.“ Es ist eine Einführung in die Virologie, die sie hier gibt, aufgezeichnet von einem renommierten Fernsehsender. Wer sich heute die Filmsequenzen anschaut, fühlt sich mitgenommen auf eine Zeitreise zurück ins Jahr 2017 – in eine Zeit also, als Coronaviren noch kaum jemandem etwas sagten und niemand außer den Fachleuten eine Pandemie für möglich hielt.

„Viruserkrankungen sind schon in den Jahren zuvor immer stärker in den Fokus gerückt – auch, wenn sich viele Menschen der Bedrohungen durch Viren nicht mehr bewusst waren“, sagt Ulrike Protzer heute im Rückblick. Die 57-Jährige ist Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München leitet das Institut für Virologie an der Technischen Universität München – und das bereits seit 2007. Der Vortrag damals im Fernsehstudio sagt viel über sie aus: Ihr ist es wichtig, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu vermitteln – und sie schafft es, auch die kompliziertesten Zusammenhänge so zu erklären, dass ein Laienpublikum sie versteht. „Die Corona-Pandemie trägt ohne Frage dazu bei, dass die Gesellschaft erkennt, wie wichtig die Virus-Forschung ist.“

Seit Monaten ist Ulrike Protzer eine gefragte Expertin in den Medien. Hier in einem ZDF-Spezial. Bild: ZDF

So viele Interviews wie jetzt in Corona-Zeiten hat sie allerdings noch nie gegeben während ihrer langen Karriere. Zwei Fernsehteams waren heute schon da, sie fragten nach ihren Einschätzungen zur aktuellen Entwicklung der COVID-19-Fallzahlen. Ruhig und unaufgeregt erklärt sie die virologischen Zusammenhänge, und geduldig beginnt sie immer wieder ganz am Anfang. „Ein Virus ist kein Lebewesen. Es ist ein Proteinmantel, der eine Erbinformation schützt. Es braucht Zellen dazu, um sich zu vermehren“, so erklärte sie es schon in dem Vortrag im Fernsehstudio, damals vor drei Jahren. „Warum machen die Viren krank?“, fragte sie rhetorisch, um die Antwort gleich nachzuliefern: „Damit wir helfen, sie zu verbreiten.“ Ein Virus wie SARS-CoV-2 sorge für Husten und Schnupfen, damit es sich über Tröpfchen und Aerosole weiterverbreiten kann. So nüchtern, so technisch hört es sich an, wenn Ulrike Protzer über Viren spricht.

Wer bei ihren Auftritten wie jenem im Fernsehstudio nicht nur hinhört, sondern auch hinsieht, merkt rasch ihr Faible für bayerische Accessoires – der Blazer etwa ist mit Hirschhornknöpfen geschmückt. Ihr gefalle das einfach, sagt Protzer, die sich in Bayern ausgesprochen wohl fühlt. Sie selbst ist im nördlichen Zipfel des Freistaats aufgewachsen, in Franken. Dort begann auch ihr Weg in die Medizin: In Erlangen studierte sie, verbrachte dann ein halbes Jahr im afrikanischen Durban, schloss ein Semester in Basel an und machte schließlich ihre Prüfungen zur Fachärztin für Innere Medizin. Erster Arbeitsort war ein Krankenhaus in Frankfurt, Einsatzgebiet: quer durch alle Abteilungen. „Immer wieder arbeitete ich damals mit Patienten, die Infektionskrankheiten hatten. Oft waren es Hepatitis-Patienten, und ich hatte den Eindruck: In der Forschung wird dieses Thema nicht so stark behandelt, wie ich es aus der Praxis für notwendig halte.“

"Ich halte Hepatitis B für die häufigste, vernachlässigte Krankheit der Welt."

Für sie wurde dieser klinische Einblick zum Lebensthema. In Mainz entstand damals ein neues Labor, das sich mit Hepatitis-Viren auseinandersetzte, und Ulrike Protzer genoss es, sich in das neue Thema einzudenken. „Ich war auf der Suche nach einer intellektuellen Herausforderung“, so formuliert sie es im Rückblick, und fortan arbeitete sie auf beiden Seiten, so wie sie es bis heute tut: in der Patientenversorgung ebenso wie in der Forschung. Die Hepatitis B ist seit jenen Anfängen ihr wichtigstes Feld geblieben – „ich halte sie für die häufigste, vernachlässigte Krankheit der Welt“, sagt sie und verweist auf die Todeszahlen: Tuberkulose ist weltweit die Infektionskrankheit mit den meisten Todesopfern, direkt gefolgt von der Hepatitis B. Aber jetzt in Corona-Zeiten verändert sich diese Statistik, die derzeit von den Corona-Opfern angeführt wird. Auch in ihrem Institut wird derzeit mit Volldampf zu SARS-CoV-2 geforscht, aber nicht nur. „Wir kriegen derzeit jede Menge Mails von Patienten mit Hepatitis B, die schreiben: Bitte hört nicht auf mit der Erforschung unserer Krankheit“, sagt Ulrike Protzer. Sie bringt dann gern einen Hoffnungsschimmer ins Spiel, der sowohl für COVID-19 als auch für Hepatitis B gilt. Dann erzählt sie davon, dass Hepatitis C inzwischen therapierbar ist – „und das, obwohl diese Krankheit erst viel kürzer bekannt ist als Hepatitis B. Dieses Beispiel zeigt mir immer, welche wahnsinnigen Fortschritte möglich sind, wenn Biotechnologie, Pharmaunternehmen und akademische Forschung zusammenarbeiten.“

Jetzt, in dem denkbar arbeitsreichen Sommer, freut sie sich allmählich auf den Winter. Dann wird sie wieder Zeit haben für ihr großes Hobby, das Skifahren, so hofft sie. Dass die Alpen so nah sind, ist für sie einer der großen Standortvorteile von München – zusammen natürlich mit der international herausragenden Forschungs- und Biotechnologie-Landschaft.

Aktuelle Forschung, Zahlen und Fakten zu SARS-CoV-2

Helmholtz-Jahrestagung

Am 12.10.2020 von 14:00 bis 16:00 Uhr findet die Helmholtz-Jahrestagung statt. Dieses Jahr virtuell, an drei Standorten und offen für alle. Es wird unter anderem um die COVID-19-Pandemie gehen. Unsere Expertinnen und Experten berichten über Fortschritte bei der Entwicklung von Wirk- und Impfstoffen. Auch Ulrike Protzer wird zu Gast sein. Weitere Informationen und das vollständige Programm finden Sie hinter dem folgenden Link:

Helmholtz-Jahrestagung 2020

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