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Interview

„Die Sprache der Wissenschaft kennt keine Grenzen“

Bild: Ordan, Julien Marius, 2018 CERN

In Jordanien ist der erste große Teilchenbeschleuniger im Nahen Osten entstanden. Dort arbeiten unter anderem Forscher aus Israel, Iran und den palästinensischen Gebieten zusammen. Wir sprachen mit Rolf Heuer, Ex-CERN-Chef und Aufsichtsratsvorsitzender des Projektes.

Seit Sommer 2018 erzeugt der erste große Teilchenbeschleuniger im Nahen Osten brillantes Synchrotronlicht.  Das Acronym SESAME steht für Synchrotron-light and Experimental Science and Applications in the Middle East. Ex-CERN-Chef Rolf Heuer ist Vorsitzender im Aufsichtsrat dieses einzigartigen Gemeinschaftsprojektes. 

Das Interview führten wir im November 2018.

SESAME ist eine von etwa 60 Synchrotronquellen weltweit und die einzige im Nahen und Mittleren Osten. Die Region hat viele Probleme. Wie kam es zu der Entscheidung, dort einen Teilchenbeschleuniger zu bauen?

Wissenschaft kann die Völkerverständigung fördern. Das hat die Erfahrung am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf gezeigt. Wissenschaftler sprechen über alle kulturellen und ideologischen Grenzen hinweg mit einer Sprache – der Sprache der Wissenschaft. SESAME sollte auch in diesem Sinne einen Beitrag leisten. 

Warum eine Synchrotronstrahlenquelle und nicht ein anderes wissenschaftliches Großprojekt?

Ein Teilchenbeschleuniger, der Synchrotronstrahlung produziert, war deshalb naheliegend, weil diese Strahlung für viele verschiedene Forschungsgebiete ein phantastisches Instrument ist. Das Spektrum der Anwendung reicht von der Physik über die Chemie, die Biologie und die Medizin bis hin zur Archäologie. Mit SESAME konnte eine Einrichtung geschaffen werden, die vielen Forschern in der Region hilft.

Einige der beteiligten Länder sind finanziell in Bedrängnis. Die Budgets für Wissenschaft sind teilweise sehr gering. Wie konnten sie dennoch davon überzeugt werden, in das Projekt zu investieren?

Wissenschaftlerin an einem der Experimentierplätze. Bild: Arthur Tainturier / Helmholtz

Bei Projekten dieser Art braucht man immer Personen, die sich der Sache annehmen und die Idee konsequent und mit viel Engagement vorantreiben. Das war kein leichter Weg. Geholfen haben dabei zwei Dinge: Gerade bei schmalen Budgets einzelner Länder ist es sinnvoll, gemeinsam etwas aufzubauen. Ein wichtiges Argument war außerdem, dass eine Anlage wie SESAME dabei hilft, den Brain Drain, also das Abwandern talentierter, junger Wissenschaftler in andere Teile der Welt, abzuschwächen. Und vielleicht sogar einen Brain Gain zu erzeugen. 

Funktioniert das schon?

SESAME ist – wie allen anderen Anlagen dieser Art – für alle Wissenschaftler offen. In einer ersten großen Ausschreibungsrunde wurden fast 100 Anträge gestellt. Für nur zwei Beamlines ist das außergewöhnlich viel. Das zeigt, wie groß das Interesse in der Region ist. Und natürlich arbeiten auch eine Menge Leute daran, die Anlage zum Laufen zu bringen. Wenn einer der Mitarbeiter, die bei SESAME ausgebildet wurden, zu einer anderen Synchrotronquelle geht, sehen wir das übrigens als sehr positives Zeichen. Es zeigt, dass die Ausbildung funktioniert.

Wer ist an SESAME beteiligt?

Ägypten, Iran, Israel, Jordanien, Pakistan, Palästina, Türkei und Zypern.  

Wie hoch ist der jeweilige finanzielle Beitrag, den die Länder leisten?

Die Beiträge bemessen sich an der wirtschaftlichen Leistungskraft des Landes und sind entsprechend sehr unterschiedlich. Das Gesamtbudget liegt bei etwa fünf Millionen Euro pro Jahr. Die größten Beitragszahler tragen etwa eine knappe Millionen Euro. Der geringste Beitrag liegt bei 50.000 Euro pro Jahr. Im Unterschied zur Finanzierung des CERN werden die Beiträge nicht jedes Jahr neu verhandelt, sondern sind langfristig festgelegt.

Bild: Arthur Tainturier / Helmholtz

Spielen die Sanktionen gegen den Iran eine Rolle?

Für Wissenschaftler aus dem Iran ist es kein Problem nach Jordanien zu reisen und zu forschen. Durch die Sanktionen ist es aber sehr schwierig Geld aus dem Iran zu überweisen. Das ist das Hauptproblem an der Stelle.

Warum wurde Jordanien als Standort gewählt?

Es gab einen Wettbewerb, in dem das Land letztendlich den Zuschlag erhalten hat. Der Vorteil von Jordanien ist, dass Wissenschaftler aus allen beteiligten Ländern und Regionen in den Staat einreisen können. Das ist bei vielen anderen Ländern in der Region nicht selbstverständlich. Darüber hinaus hat Jordanien auch Grund und Boden und zum Teil auch Gebäude zur Verfügung gestellt. Die Regierung und der Königshof stehen voll hinter dem Projekt.

Wie hat Deutschland den Aufbau von SESAME unterstützt? 

Es waren von Anfang an deutsche Wissenschaftler am Aufbau beteiligt. Der entscheidender Trigger, der von der Idee zur tatsächlichen Umsetzung geführt hat, war die Entscheidung, die Berliner Synchrotronquelle BESSY I, die 1999 abgeschaltet wurde, als Vorbeschleuniger für SESAME zu nutzen. Damit war plötzlich Hardware da, mit der man arbeiten konnte. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist bis heute in das Projekt involviert, nicht zuletzt durch viele Wissenschaftler, die an Helmholtz-Synchrotronquellen arbeiten. Vor kurzem war eine Delegation von Helmholtz bei SESAME. Bei dieser Gelegenheit hat der Helmholtz-Präsident verkündet, mehr als 3,5 Millionen Euro in das Projekt für eine zusätzliche Strahllinie zu investieren. Bei diesem Besuch sind auch ein paar interessante Ideen für Forschungsprojekte bei SESAME entstanden, von denen hoffentlich bald mehr zu hören sein wird. 

Wissenschaftliche Kooperationen zwischen Ländern, bei denen es auf politischer Ebene kriselt, sind keine Seltenheit.  Wie ist Ihre Erfahrung? 

Äusserst positiv. Am CERN konnte ich ständig erleben, dass Menschen aus verfeindeten Nationen oder Regionen gemeinsam forschen und sich gegenseitig ihre Arbeiten erklären. Da steht man dann oft lächelnd daneben. Ich bin davon überzeugt, dass das eine sehr positive Wirkung hat, auch wenn das alleine natürlich keinen Frieden bringt. Man lernt übrigens auch viel von anderen Kulturen, die manchmal ganz anders an Probleme im Arbeitsalltag herangehen als man es gewohnt ist. Es ist bereichernd.

Helmholtz inverstiert 3,5 Millionen Euro in das multinationale Projekt SESAME in Jordanien

Panorama-Ansicht der Anlage. Bild: Arthur Tainturier / Helmholtz

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