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Ausstellung

Die Kunst der Forschung

<b>Lebendes Kunstwerk</b> Dieser Design-Fisch gehört zur Arbeit "Sterile" der Künstler Revital Cohen und Tuur Van Balen und ist im Rahmen der Ausstellung "assemble | standard | minimal" noch bis 3.5.2015 im Projektraum der Schering Stiftung, Unter den Linden 32-34, 10117 Berlin, zu sehen.

Forscher und Künstler haben mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint: Es geht ihnen um die großen Themen des Lebens, jedem auf seine Weise. Wenn sie zusammenarbeiten, führt das zu verblüffenden Ergebnissen.

Das Kunstwerk bewegt sich, es ist quicklebendig: Drei blasse Fische schwimmen in einfachen Glasbehältern, jeder für sich, zur Schau gestellt in grellem Licht. Im Projektraum der Schering Stiftung in Berlin sind die speziell gezüchteten Albino-Goldfische derzeit zu sehen. Der japanische Wissenschaftler Etsuro Yamaha hat in die Embryonen sogenannte Morpholinos injiziert. Diese Substanz unterdrückt die Gene, die dafür zuständig sind, dass sich die Fortpflanzungsorgane ausbilden.

Für Etsuro Yamaha ist die Arbeit mit solchen veränderten Fischen der Forschungsalltag. Für das Londoner Künstlerpaar Revital Cohen und Tuur Van Balen sind diese Fische Kostbarkeiten, die sie unter dem Titel „Sterile“ als Objekte ausstellen und damit den Goldfisch als kulturhistorisches „Werk“ einordnen. Wie weit kann und soll der Mensch ins Leben eingreifen – diese Frage stellen sie dabei in den Mittelpunkt. 45 sterile Fische stellte Yamaha im Auftrag der Künstler her, vergleichbar vielleicht mit einer limitierten Anzahl von Grafikabzügen.

Es sind die großen Themen des Lebens, die Künstler und Wissenschaftler gleichermaßen beschäftigen, jeden auf seine Weise: die Bausteine des Lebens, der menschliche Körper, die Natur, die Weiten des Universums, Emotionen wie Liebe, Sehnsucht oder Hass. Die Wissenschaftler wollen die Welt objektiv erkennen und sachlich über ihre Forschung berichten, die Künstler reflektieren sie subjektiv und sprechen den Betrachter durch ästhetische Mittel an. Das Ziel, sagt Heike Catherina Mertens, sei aber ähnlich: Künstler wie Wissenschaftler seien angetreten, um die Welt zu begreifen und zu gestalten, den Horizont zu erweitern und Grenzen zu übertreten. Mertens ist in der Schering Stiftung Vorstand des Bereichs Kultur. Sie plädiert dafür, die Disziplinen zusammenzudenken: „Nur im Dialog zwischen Kultur und Wissenschaft, nur wenn wir zusammendenken, was von der Antike bis zur Renaissance zusammen gehörte, haben wir die ganzheitliche Erfahrung unserer Gesellschaft.“ Die Schering Stiftung will diesen Dialog fördern. Deshalb unterstützt sie Künstler, die sich mit wissenschaftlichen Fragen auseinandersetzen – so wie Revital Cohen und Tuur Van Balen. Daneben fördert die Stiftung interdisziplinäre Symposien und Workshops.

Eine besondere Anziehungskraft haben Kunst und Wissenschaft schon immer aufeinander ausgeübt, manchmal vereinten sie sich sogar in einer Person: Die Naturforscher Maria Sibylla Merian und Alexander von Humboldt etwa schufen beeindruckende Gemälde. Heute hat dieses Verhältnis eine andere Qualität erreicht. Immer öfter wenden sich Künstler der Wissenschaft zu, sie nutzen auch ähnliche Methoden – sie recherchieren, experimentieren und werten Daten aus. Umgekehrt wird in der Wissenschaft etwa die Visualisierung wichtiger; ein Trend, der mit den immer komplexeren Zusammenhängen zu tun hat. Und noch eins haben die Wissenschaft von heute und die bildende Kunst gemeinsam: Sie stoßen auf großes öffentliches Interesse.

<b>SpaceLiner</b> Der Raum "Schweben und Stürzen" der Ausstellung "Outer Space" thematisierte den uralten Menscheheitstraum, die Schwerkraft zu überwinden. Hier war das Modell des Hyperschallflugzeuges zu sehen. Bild: DLR (CC-BY 3.0)

Eine spektakuläre Ausstellung in der Bundeskunsthalle, die gerade zu Ende gegangen ist, hat die beiden Welten zusammengebracht: "Outer Space. Faszination Weltraum" hieß die Schau, an der das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt war. Die Wissenschaftler haben die Kuratoren inhaltlich beraten. Zugleich stellte das DLR eine ganze Reihe von Exponaten zur Verfügung, so etwa ein Modell des Hyperschallflugzeugs SpaceLiner und eine Prise Mondstaub aus der sowjetischen Luna-24-Mission.

Die Weiten des Universums seien dankbare Themen für den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft, findet Andreas Schütz, der Pressesprecher des DLR. Die Faszination über die Schönheit des Alls, die eigene Winzigkeit und die Fülle des Unbekannten ließen sowohl Wissenschaftler als auch Künstler über grundsätzliche Fragen reflektieren: Wie ist das Universum entstanden? Ist irgendwo noch einmal Leben entstanden? Und gibt es eine weitere intelligente Zivilisation? Interessant sei, so Schütz, dass Kooperationen wie jene mit der Bundeskunsthalle auch auf das eigene Zentrum zurückwirken. "Die Mitarbeiter sind stolz, wenn der Zentrumsname etwa in Frank Schätzings neuem Roman erwähnt wird oder das Zentrumslogo an der Bundeskunsthalle zu sehen ist." Die eigene Arbeit erfahre noch einmal eine ganz andere Aufmerksamkeit und Wertschätzung.

Für die Luft- und Raumfahrtforscher ist die Zusammenarbeit mit Künstlern keine Neuigkeit. "Wir sind prinzipiell aufgeschlossen", sagt Andreas Schütz. "Es werden viele großartige, einmalige Projekte an uns herangetragen." So wurden etwa wichtige Szenen aus dem Film "Baikonur" an Bord eines DLR-Flugzeugs gedreht - im Parabelflug, so dass die Schauspieler schwerelos vor der Kamera agierten. Manche Ideen und Kunstwerke lassen die Mitarbeiter des DLR aber auch mit den Schultern zucken, dann stoßen doch Welten aufeinander. Künstler seien eben Freigeister, meint Schütz und schmunzelt.

Für die Ausstellung "Outer Space" wurden sie gebeten, eine Biene aus dem Bienenstock vom Dach der Bundeskunsthalle in den Weltraum zu schicken. Zusammen mit dem deutschen Astronauten Alexander Gerst ging die in Kunstharz gegossene "Bundesbiene" im Mai 2014 an Bord der ISS. So einfach, wie es sich die Kuratoren dachten, war es allerdings nicht. Die Biene musste sich einer intensiven Unbedenklichkeitsprüfung unterziehen, so sind die Vorschriften in der Raumfahrt. Das grundsätzliche Dilemma ist aber ein anderes: Es gehört schlicht nicht zu den Aufgaben einer Forschungseinrichtung, Kunstprojekte zu fördern. "Für uns in der Kommunikationsabteilung kann die Beschäftigung mit Kunst leider nur ein Nebengeschäft sein. Wir haben dafür zu wenig Zeit und eigentlich keine Mittel", sagt Andreas Schütz. Wenn eine Zusammenarbeit klappt, stecke dahinter oft eine Menge persönlicher Einsatz der Beteiligten, eine Portion Idealismus - und manchmal sei es auch nur möglich, weil bürokratische Hürden umschifft würden.

<b>Unwirklicher Arbeitsplatz</b> Der Künstler Rolf Giegold macht in der Antarktis Aufnahmen für seine Installation "day by day". Bild: Volker Ortmann

Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz- Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), in Bremerhaven hat deshalb eine institutionalisierte Form der Zusammenarbeit mit Künstlern gefunden. Zuletzt sind die AWI-Forscher regelrecht bestürmt worden von Anfragen: Die Künstler sähen sich als Seismographen für gesellschaftliche Entwicklungen, so erklärt man sich am AWI das Interesse – und die Folgen des technischen Fortschritts, insbesondere der menschengemachte Klimawandel und die damit einhergehenden Veränderungen unseres Planeten, rückten dadurch in ihren Blickwinkel. Das ist eines der Kernthemen der Bremerhavener Forscher.

Um dem großen Interesse gerecht zu werden, ging das AWI eine Kooperation mit dem Hanse- Wissenschaftskolleg in Delmenhorst ein. Es gibt nun einmal im Jahr eine Ausschreibung und einen transparenten Wettbewerb: Künstler bewerben sich mit einem Konzept und bekommen dann, wenn sie ausgewählt werden, ein Stipendium. Dadurch können sie mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten und beispielsweise an einer Expedition teilnehmen. Für das AWI sei diese Art der Kooperation ein großer Erfolg, sagt Projektbetreuerin Kinga Jarzynka: „Die Kunst vermittelt Wissen anders als in den klassischen Fachgesprächen. Damit erschließen wir neue Zielgruppen für unsere Forschung.“

Einer der Stipendiaten von 2014/15 hat bewusst damit gespielt, dass die Wissenschaft üblicherweise hinter verschlossenen Türen stattfindet: In seiner Videoinstallation „day by day“ reflektiert Rolf Giegold die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler am wohl kältesten Arbeitsplatz der Welt, auf der Neumayer-Station III in der Antarktis. Er vermittelt dem Betrachter ein Gefühl für die Unwirtlichkeit. Die Ausstellung wird am 29. April in der Arbeitnehmerkammer in Bremerhaven eröffnet.

Bei den neuesten Projekten werden immer öfter nicht nur die Forschungsgegenstände zum Objekt für die Künstler, sondern auch die Wissenschaftler selbst. Die Künstler hinterfragen ihre Arbeitsweisen und Methoden. So wie das Londoner Künstlerpaar Revital Cohen und Tuur Van Balen, das die Albino-Goldfische in Berlin ausstellt: Sie schauten dem Embryologen Etsuro Yamaha bei seiner Forschungsarbeit über die Schulter, akribisch studierten sie seine Handbewegungen. Aus ihren Beobachtungen konstruierten sie schließlich eine Maschine, die Yamaha ersetzen könnte: Wie am Fließband kann sie aus Eizellen und Sperma sterile Fische herstellen. Ein Roboter, der Leben erschafft. Er steht derzeit auf Stand-by.

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