UN-Klimakonferenz
„Die Bremser haben sich geoutet“
Am vergangenen Sonntag ist die Weltklimakonferenz mit einem ernüchternden Ergebnis zu Ende gegangen. Welche Schlüsse Wissenschaftler für künftige Gipfeltreffen ziehen.
Die COP 25 stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Erst sollte der ursprünglich für Brasilien geplante Gipfel infolge der neuen Präsidentschaft von Jair Bolsenaro nach Santiago de Chile umziehen, ehe dort nach sozialen Unruhen die Lage zu unsicher wurde. Dann zog der Tross nach Madrid, um dort statt wie geplant am Freitag erst am Sonntagmittag zu Ende zu gehen – die längste Weltklimakonferenz, die bislang stattfand. Geschichte schrieb die COP aber nicht deswegen, sondern weil das Ergebnis viele Teilnehmer und Beobachter zutiefst enttäuschte.
„Die Welt steht nach der Konferenz faktisch an dem Punkt, wo sie sich bereits vor einem Jahr in Kattowitz befand: Unfähig zu größeren Anstrengungen und uneinig in Sachen ökonomischer Kooperationsmechanismen“, urteilt der Klimaökonom des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) Reimund Schwarze. Ein solches Auf-der-Stelle-treten könne sich die Staatengemeinschaft angesichts des galoppierenden Klimawandels eigentlich nicht mehr erlauben. Auch der Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zog kritisch Bilanz. Er sagte der Plattform www.klimareporter.de, von der Konferenz in Madrid gehe ein Signal der Uneinigkeit aus. „Ich wäre dafür, dass sich eine Allianz der Willigen bildet, aus Ländern, die beim Klimaschutz vorangehen wollen.“
Gescheitert ist der Gipfel an allen drei zentralen Herausforderungen, vor die er zuvor gestellt worden war. So zeigte keiner jener Staaten, die einen hohen CO2-Ausstoß haben, Bereitschaft, ambitionierter auf nationaler Ebene in Sachen Klimaschutz voranzugehen. Einziger Lichtblick: Die EU-Kommission. Sie will mit dem Green Deal bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen. „Das ist allerdings auch zunächst nur ein Bekenntnis, das es noch einzulösen gilt“, betont Reimund Schwarze. Vieles von dem werde erst im nächsten Sommer oder Herbst umgesetzt werden, manches zu spät, um dem kommenden Klimagipfel im nächsten Jahr noch einen Impuls geben zu können. Die Zahl derjenigen Staaten, die mit ehrgeizigen Klimazielen die Erderwärmung bremsen wollen, sei eher kleiner geworden, die der Gegner, angeführt von den USA, Brasilien, Australien und Japan dagegen, deutlich lauter und fordernder als in den bisherigen Verhandlungen.
Auch beim internationalen Regelwerk zum Handel mit Emissionen und Emissionseinsparungen hat der UFZ-Klimaökonom in Madrid keine Fortschritte beobachten können. Diese Regeln sollen eigentlich sicherstellen, dass es weder zu Doppelzählungen von CO2-Einsparungen noch zu Übertragungen von Fake-Gutschriften aus der Zeit des Kyoto-Protokolls kommt. „Doch das Thema war so komplex und so kontrovers, dass die Länder das Regelwerk dazu noch einmal verschoben haben“, sagt Schwarze. Auch bei der Frage, wie die internationale Gemeinschaft den vom Klimawandel besonders gebeutelten Insel- und niedrig liegenden Küstenstaaten wie Bangladesch oder Ländern in Afrika hilft, herrscht nach dem fast zweiwöchigen Gipfel Ernüchterung. „Obwohl es neue Zusagen zu Finanzhilfen von Deutschland und Schweden zum Anpassungsfonds gab, bremsten auch diese Länder im Konzert der anderen Industrieländer beim Aufbau einer gesonderten Finanzierungslinie für Verluste und Schäden des grünen Klimafonds der UN“, bilanziert er. So seien gerade mal 90 Millionen Euro zusätzlich für den Anpassungsfonds zur Verfügung gestellt worden.
Hans-Otto Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, erklärt, in Madrid seien die Knackpunkte deutlich geworden. „Die Bremser haben sich geoutet, man kann sich auf ihr Denken einstellen und versuchen, durch weitere Aufklärung zu überzeugen“. Hier müsse es weitergehen, denn es könne nicht sein, dass eine Minderheit der Mehrheit die Konsequenzen ihres Handelns aufzwingen. „Man sollte sie zwingen, zu der Notwendigkeit Stellung zu beziehen, dass die Produktion den Emissionspfaden zum 1,5-Grad-Ziel angepasst werden muss, statt weiterhin die Welt mit fossilen Energien zu fluten“, sagt der Mitverfasser des 1,5-Grad-Berichts des IPCC. Zugleich warb Pörtner für mehr Forschung. „Es braucht größere Bemühungen, um CO2 aus der Luft zu recyceln, und um Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe konkurrenzfähig zu machen.“
Im kommenden Jahr tritt das Paris-Übereinkommen in Kraft, das macht die nächste COP im schottischen Glasgow im November 2020 so wichtig. Doch UFZ-Forscher Schwarze ist derzeit nur wenig optimistisch. „Wir werden diese Krise erneut erleben, denn warum sollten sich die Voraussetzungen im kommenden Jahr verändern“, sagt er. Handelskriege und Zerwürfnisse in den internationalen Organisationen wie G20 schwächten derzeit die Kräfte des Multilateralismus. Deshalb müsse man aus dem Scheitern von Madrid die richtigen Schlüsse für 2020 ziehen. Ein Beispiel: Es braucht eine starke Präsidentschaft. In Madrid, berichtet Schwarze, fehlten Dokumente in der Plenarsitzung oder wurden verwechselt, der Zugriff auf die Website funktionierte nicht und die Unterhändler seien nicht rechtzeitig fertig geworden, so dass ein wertvoller Tag verschenkt wurde. Die chilenische Führung war häufig abwesend, wie die spanische Vertretung monierte. „In Glasgow brauchen wir ein ähnlich effizientes Team wie beim Abschluss des Übereinkommens von Paris unter der genialen Führung des Laurent Fabius“, sagt Schwarze.
Auf der Agenda der COP25 steht zudem der sogenannte Warschau-Mechanismus für Schäden und Verluste durch den Klimawandel. Die reichen Industrieländer sind größtenteils verantwortlich für die Klimakrise. Der im Jahr 2013 auf dem Klimagipfel in der polnischen Hauptstadt verabschiedete Mechanismus beschreibt, wie Industrieländer ärmeren Staaten, die sich an die Klimaauswirkungen weder anpassen noch deren Folgen bewältigen können, einen Ausgleich ermöglichen können. Überprüft werden soll nun, ob der Mechanismus geschädigte Staaten wirklich effektiv unterstützt. Und Von entscheidender Bedeutung werde es auch sein, dass die EU im Vorfeld der nächsten COP China stärker in die Führungsverantwortung nimmt. „Dieses Mal waren sie eher Bremser und haben sich in entscheidenden Momenten auf die Rolle der Führung der Entwicklungsländer zurückgezogen statt die Brasilianer in der Schwellenländergruppe zurückzupfeifen“. Gelingen könne dies nur durch eine diplomatische Anstrengung auf höchstem Niveau. Gelegenheit dafür bietet der EU-China-Gipfel im September 2020 in Leipzig. Damit das glückt, sagte Schwarze, müsste die EU schon dort mit einem verbesserten Klimaziel für 2030 in die Gespräche gehen.
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