Portrait
Die Bergsteigerin in der Epigenetik
Susan Gasser kam eigentlich aus Abenteuerlust aus Amerika in die Schweiz – und hat von dort aus seither wesentliche Beiträge geleistet, um dem Gedächtnis des Erbguts auf die Spur zu kommen.
Die Lektüre dieses einen Buches war regelrecht elektrisierend, erinnert sich Susan Gasser: 20 Jahre alt muss sie damals gewesen sein, eine junge Studentin der Philosophie, als sie „Die Entstehung der Arten“ von Charles Darwin in die Finger bekam. „In diesem Moment habe ich gewusst: Das ist es wert, dass ich mich eingehend damit beschäftige“, erinnert sich Gasser. Heute schmunzelt sie darüber, wie diese eine Lektüre sie vom geplanten Lebensweg abbrachte, aber damals war es für sie eine schwere Entscheidung: Sie änderte ihr Studienfach, schwenkte um auf Biologie an der University of Chicago – und legte damit den Grundstein für eine Forscherkarriere, die sie unter die weltweit führenden Experten im Bereich der Epigenetik katapultieren sollte.
„I’m easily satisfied by the very best“
Einen maßgeblichen Anteil daran hat ohne Frage die Arbeitsauffassung, die Susan Gasser demonstrativ in ihrem Büro ausstellt: Ein Foto von Winston Churchill hat sie an ihre Tür geklebt, darauf in Englisch sein berühmtes Zitat „I’m easily satisfied by the very best“. Susan Gasser nickt ernst: Sehr elegant drücke dieser eine Satz eine Einstellung aus, die auch in der Wissenschaft entscheidend sei. Und noch etwas illustriert diese kleine Randnotiz: Die Art, wie spielerisch sie selbst zwischen zwei Sprachen und zwei Welten wandelt – dem Englischen, ihrer Muttersprache, und dem Deutschen, das sie in ihrem Alltag häufig verwendet. Ihr Büro mit dem Winston-Churchill-Zitat hat Susan Gasser in Basel, sie ist dort emeritierte Direktorin des Friedrich-Miescher-Instituts für biomedizinische Forschung. Alle entscheidenden Schritte in ihrem Werdegang hat sie in der Schweiz genommen – „dabei fing das mit Schweiz für mich als Abenteuer an“, erinnert sie sich, „aber die Entscheidung war wegweisend.“
Mit der Liebe begann diese Schweizer Epoche: Im Philosophie-Studium lernte Susan Gasser ihren späteren Mann kennen, einen Schweizer. Als bei beiden die Dissertation anstand, entschieden sie sich, in die Schweiz zu gehen. „Wir waren 22, vielleicht 23 Jahre alt, und ich dachte, nach der Diss gehe ich gleich wieder zurück in die USA“, erinnert sich Susan Gasser. Mit Europa hatte sie zu der Zeit schon gute Erfahrungen gemacht, sie war als Stipendiatin bereits ein Jahr in Schweden gewesen und hatte jeweils ein halbes Jahr in Freiburg und in Frankreich gelebt. Und jetzt also die Wissenschaft in Europa: Ihre Doktorarbeit schrieb sie zwar auf Englisch, aber Deutsch war die Umgangssprache, erinnert sie sich – und ist dankbar dafür: „Die deutsche Sprache ist sehr regelhaft. Man denkt und schreibt ein bisschen vorsichtiger als auf Englisch; vielleicht hängt das mit der sehr präzisen Arbeitsweise zusammen“, sagt sie. Diese Präzision in Arbeit und Sprache sei etwas, sagt sie, das ihr gerade als Studentin sehr geholfen habe.
Nach dem Doktorat in Basel und einer Postdoc-Stelle in Genf übernahm sie 1986 in Basel die Leitung einer Gruppe am Institut für experimentelle Krebsforschung. Zuerst studiert sie den dreidimensionalen Aufbau des Genoms und später beschäftigt sie sich mit der Epigenetik, also der Frage, wie Gene gesteuert und vererbt werden. „Es geht, vereinfacht gesagt, um das Gedächtnis des Erbguts“, erläutert sie: Während eines Lebens wirken Umweltfaktoren auf das Erbgut ein, außerdem kann der Lebensstil eines Mensches die Steuerung seiner Gene ändern. Ob das menschliche Erbgut ein Gedächtnis hat, durch das eine geänderte Genexpression vererbbar ist, ist unklar. In einigen einfacheren Organismen scheint es möglich.
Außerhalb ihres Labors treiben Susan Gasser zwei Dinge an: erstens die Bergsteigerei. „Damit habe ich erst hier in der Schweiz angefangen“, erzählt sie, „ich habe schon etliche 4.000-Meter-Gipfel bestiegen.“ Sie nehme aber die einfachen Routen und gehe nicht die steile Wand hoch, fügt sie dann hinzu. Und zweitens die Förderung von jungen Wissenschaftlerinnen – „mir liegt das Thema der dual career von Lebenspartnern sehr am Herzen“, sagt sie, „genau die Fragestellung, mit der mein Mann und ich vor 40 Jahren selbst konfrontiert waren.“ Das Ehepaar Gasser fand damals die richtige Balance zwischen Familie und Karriere; ihr 33-jähriger Sohn ist heute selbst Professor. Dieses Engagement für andere brachte Susan Gasser unter anderem den Women in science-Award ein, und die Juroren begründeten ihre Entscheidung mit eindeutigen Worten: „Sie stellt ein role model dar für Wissenschaftlerinnen in Europa und darüber hinaus“, sagten sie in ihrer Laudatio.
Susan Gasser selbst sieht jetzt, wo sie emeritiert ist, vieles in einem anderen Licht. „Einige meiner Schüler werden erfolgreicher sein als ich selbst es war“, sagt sie. Bei diesem Satz klingt ihre bescheidene Art durch, ihr Understatement – und auch ein bisschen Stolz. Dass sie etwas weitergeben konnte, sagt sie, sei für sie als Wissenschaftlerin das größte Geschenk.
Strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme
Zwischen September 2019 und Februar 2020 findet die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme statt.Susan Gasser gehört zu dem hochkarätig besetzen Gremium aus internationalen, unabhängigen Wissenschaftlern, die die Programme unter die Lupe nehmen. Die Gutachter prüfen, ob die Forschungsprogramme richtig aufgestellt sind, und erarbeiten Empfehlungen für die Neuausrichtung der Helmholtz-Programme in den kommenden Jahren.
Die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme
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