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Higgs-Teilchen

Detektivarbeit am CERN

Foto: DESY/Lars Berg

Am weltweit größten Teilchenbeschleuniger LHC am CERN betreiben Forscher zwei Universaldetektoren. Einer von ihnen ist der Compact Muon Solenoid (CMS) und hat eine entscheidende Rolle bei der Entdeckung des Higgs-Teilchens gespielt. Die DESY-Wissenschaftlerin Kerstin Borras wird 2014 stellvertretende Sprecherin des CMS – eine Ehre für die Physikerin. Im Interview spricht sie über die nächsten Schritte ihrer Forschung – und warum die Gravitation eine Schlüsselrolle spielt.

Am CMS arbeiten 2680 Forscher sowie 1140 Techniker und Ingenieure von 182 Instituten aus 42 Ländern – wird Ihnen angesichts dieser Zahlen nicht etwas mulmig, wenn Sie an Ihre neue Aufgabe denken?

Es ist sehr aufregend und es kribbelt im Bauch, ja. Aber ich kenne viele bereits, mit denen ich direkt zusammenarbeiten werde. Ich war kürzlich am CERN und wurde von so vielen Menschen beglückwünscht – der Rückhalt ist großartig.

Warum ist die Wahl gerade auf Sie gefallen?

Zusätzlich zu meiner Aufgabe als Leiterin der DESY-Gruppe, die am CMS-Experiment arbeitet, bin ich Vorsitzende des Konferenz-Komitees, einem zentralen Organ der internationalen Zusammenarbeit: Es kümmert sich darum, welche der 2680 Physiker auf Konferenzen vortragen können und dass die Vorträge fair verteilt werden. Da muss man viel Diplomatie beweisen. Außerdem habe ich ein Detektorprojekt geleitet und dabei wohl entsprechende Führungsqualitäten bewiesen.

Wie groß ist das Gewicht des DESY unter den 182 am CMS beteiligten Instituten?

Mit rund 90 Mitarbeitern stellen wir nach dem CERN und dem Fermilab das drittgrößte Kontingent.

Mit den beiden Universal-Detektoren CMS und ATLAS entdeckten Physiker unter anderem 2012 das Higgs-Teilchen. Worauf arbeiten sie jetzt hinaus?

Dass wir das Higgs-Teilchen gefunden haben, ist ein historischer Meilenstein. Es war ein fehlender Baustein im Standardmodell, dem wir Jahrzehnte hinterher gejagt sind. Jetzt geht es darum, seine Eigenschaften zu bestimmen. Sind sie so, wie sie vorhergesagt wurden? Und ist das gefundene das Higgs im Standardmodell oder eines von mehreren Higgs-Teilchen, die aus dem erweiterten Standardmodell hervorgehen, aus dem supersymmetrischen? Es wäre sensationell, wenn wir Hinweise auf Supersymmetrie finden könnten.

Was genau bedeutet Supersymmetrie?

Das Universum besteht aus 72 Prozent dunkler Energie und 24 Prozent dunkler Materie. Unser Standardmodell beschreibt nur die restlichen vier Prozent. Wir wissen noch gar nicht, was dunkle Materie oder dunkle Energie ist. Im Modell der Supersymmetrie, bei dem jedes Teilchen ein Spiegelteilchen hat, ist das leichteste supersymmetrische Teilchen ein Kandidat für dunkle Materie. Das würde uns enorm weiterbringen. Außerdem kann man in der Supersymmetrie die vier Grundkräfte vereinheitlichen: Wir haben im Moment die Gravitation, die starke Kraft, die elektromagnetische Kraft und die schwache Kraft. Die elektromagnetische und die schwache Kraft sind bereits in der elektroschwachen Kraft vereinheitlicht. Auch die starke Kraft ist in unserem Standardmodell eingebettet, nur die Gravitation noch nicht. Wenn man diese vier Kräfte vereinheitlicht beschreiben könnte, wäre das ein ganz großer Schritt. Von den neuen Versuchen ab Anfang 2015 erhoffen wir uns Hinweise darauf, welche Modelle als Erweiterung des Standardmodells infrage kommen. Dazu werden wir die Kollisionsenergie von acht auf 14 Tera-Elektronenvolt (TeV) erhöhen.

Können Sie diese Energiemenge mit einem Beispiel verdeutlichen?

Bei den Experimenten treffen Protonen aufeinander, jedes Proton hat dabei sieben TeV, zusammen also 14. Das entspricht der Kollisionsenergie einer Mücke, die mit zwei Stundenkilometern auf der Haut landet, nur eben auf einen unvorstellbar kleinen Punkt extrem konzentriert. Nun sind die Protonen nicht einzeln unterwegs, sondern werden in Paketen zu 100 Milliarden Protonen aufeinander geschossen. Wenn die aufeinander treffen, wird dabei insgesamt eine Bewegungsenergie frei, als ob zwei Elefantenherden mit 120 Tieren mit 40 Stundenkilometern aufeinander zu rasen.

Wenn Tausende von Menschen an einem Projekt zusammenarbeiten, treffen die unterschiedlichsten Meinungen aufeinander – warum blockieren die sich nicht gegenseitig?

Wir ziehen alle an einem Strang und bündeln unsere Kräfte, sogar auf globaler Ebene. Weil wir uns auf bestimmte Strategien geeinigt haben, die wir verfolgen wollen. Wir sind uns alle einig darin, was wir erreichen wollen: Wir wollen wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

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