Direkt zum Seiteninhalt springen

Weltraumteleskop

Der tiefe Blick in Raum und Zeit

Aufnahme des Carinanebels. Bild NASA, ESA, CSA, and STScI

Die NASA präsentiert die ersten wissenschaftlichen Bilder des James-Webb-Teleskops. Der tiefste Blick ins All, der den Menschen je gelungen ist. Welche Antworten erwarten die Forscher:innen von dem Hubble-Nachfolger?

Wer Forschende aus der Astronomie, Astrophysik oder Kosmologie fragt, was sie vom James-Webb-Weltraumteleskop erwarten, blickt unweigerlich in strahlende Augen. Kaum ein Bereich des Weltraums wird sich nicht mit dem neuen Instrument erforschen lassen: von den Nachbarplaneten unseres Sonnensystems über entlegene Regionen der Milchstraße bis hin zu fernen Galaxien und den allerersten Sternen des Universums. Dabei war das James-Webb-Weltraumteleskop nicht von Beginn an als Universal-Observatorium geplant – es hat sich vielmehr im Laufe der mehrere Jahrzehnte dauernden Planungen dazu entwickelt.

„In den 80er-Jahren wurde zunehmend klar, dass die Rotverschiebung sehr bedeutsam ist“, erklärt Mark McCaughrean, leitender wissenschaftlicher Berater für Wissenschaft und Erkundung bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Gemeint ist die Rotverschiebung des Lichts: ein physikalischer Effekt, welcher aus der ständigen Ausdehnung des Universums folgt. Dadurch wird die Wellenlänge allen Lichtes gestreckt, das sich im Raum ausbreitet. Im Laufe der Jahrmilliarden wurde so das sichtbare Licht besonders ferner Sterne und Galaxien zu unsichtbarer Infrarotstrahlung.

Weil sich das Licht zudem nur mit einer endlichen Geschwindigkeit – der Lichtgeschwindigkeit – durch den Raum ausbreitet, bedeutet der Blick auf ferne Objekte im Universum gleichzeitig einen Blick in dessen Vergangenheit. Das Licht einer Nachbargalaxie in einer Entfernung von einer Million Lichtjahre zeigt uns, wie diese Galaxie vor einer Million Jahre aussah. Mit zunehmender Entfernung verliert diese einfache Faustregel ihre Gültigkeit, doch im Prinzip gilt: Betrachten wir ferne Galaxien in mehreren Milliarden Lichtjahren Entfernung, so sehen wir das Universum in einer früheren Phase seines Bestehens, die mehrere Milliarden Jahre zurückliegt.

Aufgrund der Rotverschiebung ist das Licht dieser fernen Galaxien jedoch nicht mehr das vertraute Sternlicht, das wir von unserem Nachthimmel kennen. Es ist vielmehr langwellige Infrarotstrahlung – und das James-Webb-Weltraumteleskop wurde konzipiert, genau diese schwache Infrarotstrahlung aus den Weiten des Universums einzufangen. „Es wurde schnell klar, dass ein großes Infrarot-Weltraumteleskop noch viele weitere Möglichkeiten eröffnet, und das Zeug zu einem echten Allzweck-Observatorium hat“, so Mark McCaughrean. Seit 2002 gehört er der Wissenschafts-Arbeitsgruppe für das James-Webb-Weltraumteleskop an, wo er das astrophysikalische Gebiet der Sternentstehung vertritt.

Unverstellter Blick auf junge Sterne und ferne Planeten

„Wenn neue Sterne entstehen, geschieht dies im Inneren großer Gas- und Staubwolken. Doch gerade der Staub fängt sichtbares Licht ab, sodass solche Sternentstehung-Regionen nicht ohne weiteres einsehbar sind“, erklärt Mark McCaughrean. Die warme Materie in solchen Regionen gibt jedoch auch Infrarot-Strahlung ab. Diese kann, anders als gewöhnliches Licht, den Staub ungestört passieren. „Insbesondere die langwellige Infrarot-Strahlung wird uns sehr junge Protosterne zeigen, die womöglich gerade einmal 100.000 Jahre alt sind“ – ein kurzer Zeitraum im Leben von Sternen, die zwischen einigen Jahrmillionen und etlichen Jahrmilliarden alt werden können.

Das erste Bild des James-Webb-Teleskops zeigt den Galaxienhaufen SMACS 0723, vier Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Quelle: ESA

Auch Planeten, die gerade erst in den „protoplanetaren Scheiben“ um solche jungen Sterne entstehen, wird das James-Webb-Weltraumteleskop aufdecken. „Überall in der Milchstraße und sogar in nahen Nachbargalaxien werden wir solche Vorgänge beobachten können“, so Mark McCaughrean. Überhaupt sind Exoplaneten, also Planeten um ferne Sterne, ein zentraler Fokus für das neue Weltraumteleskop. „30 Prozent der Beobachtungszeit am James Webb ist für die Erforschung von Exoplaneten vorgesehen“ – ein Forschungsgebiet, erklärt Mark McCaughrean, das zu Beginn der Planungen für das James-Webb-Weltraumteleskop in den 1980er-Jahren noch gar nicht existierte.

Heute sind einige Tausend Planeten bekannt, die ferne Sterne umkreisen. Das neue Weltraumteleskop wird nie dagewesene Einblicke in die chemische Zusammensetzung dieser fernen Welten erlauben. „Die Bausteine organischer Materie sind Moleküle wie Wasser, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Ammoniak oder Methan. All diese Moleküle geben Infrarot-Strahlung mit charakteristischen Wellenlängen ab“, sagt Mark McCaughrean. Ferne Sternsysteme lassen sich so erstmals systematisch nach jenen Molekülen durchmustern, die als Voraussetzung für die Entstehung von Leben gelten.

Von den Nachbarplaneten zum Anfang des Universums

Auch in unserem eigenen Sonnensystem wird das James-Webb-Weltraumteleskop neue Einblicke ermöglichen. Unsere eigene Erde und die inneren Nachbarplaneten Venus und Merkur kann es jedoch nicht beobachten, da es knapp außerhalb der Erdumlaufbahn die Sonne umkreist, von der es zur Kühlung stets abgewandt sein muss. Dafür kann es den Mars, den Asteroidengürtel, die Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun sowie Pluto und des eisigen Kuipergütel an der Grenze des Sonnensystems beobachten.

In den frostigen Außenbezirken unseres Planetensystems, so sind sich ForscherInnen sicher, warten zahlreiche neue, eisige Körper auf ihre Entdeckung. Dass sie eine komplexe chemische Zusammensetzung voller organischer Moleküle haben, offenbarte bereits die Raumsonde New Horizons mit ihrem Vorbeiflug am Pluto im Jahr 2015. Und auch das Rätsel um einen hypothetischen „Planet Neun“, der die Sonne in riesiger Entfernung umkreisen könnte, wird sich mit dem James-Webb-Weltraumteleskop womöglich aufklären lassen.

„Zudem können wir ganz neue Einblicke in unsere Gasriesen erwarten. Diese Körper haben keine festen Oberflächen, sondern bestehen aus zunehmend wärmeren Schichten verschiedener Gase, je tiefer man in die Atmosphären hineinschaut“, erklärt Mark McCaughrean. Beim Blick durch ein Teleskop, das sichtbares Licht einfängt, sind diese tiefen Schichten durch Sonnenlicht überstrahlt, das von den oberen Wolkenschichten reflektiert wird. „Im Infaroten können wir hingegen viel tiefer hineinschauen, mehrere Hundert oder vielleicht sogar Tausende Kilometer tief. Das wird es uns erlauben, dreidimensionale Karten vom Aufbau der Gasplaneten zu erstellen, die wir bisher nicht haben.“

Für Mark McCaughrean ist diese Erforschung des Sonnensystems ein Beispiel für die gelungene Integration verschiedener Forschungsbereiche. Denn die ersten Planungen für das James-Webb-Weltraumteleskop zielten nur auf die Erforschung ferner Sterne und Galaxien. Beobachtungen unserer eigenen Nachbarschaft waren nicht vorgesehen: „Es kostete Zeit und Geld, die Navigationssysteme des James Webb so anzupassen, dass sie überhaupt mit den Himmelskörpern unseres Sonnensystems zurechtkommen, weil diese sich viel schneller über den Himmel bewegen als die Sterne.“ Es habe sich jedoch gelohnt, verschiedene astrophysikalische Disziplinen zusammenzubringen, um größere politische Unterstützung für das Projekt zu gewinnen, das letztlich mehrere Jahrzehnte und Investitionen von rund 10 Milliarden US-Dollar erforderte, bis nun endlich die Forschung losgeht.

Mark McCaughrean beschreibt das Wechselspiel zwischen Politik und Wissenschaft so: „Um Geld für ein großes Instrument zu bekommen, muss man einen klaren wissenschaftlichen Nutzen aufzeigen. Man muss erklären können: Das wissen wir heute, das wollen wir als nächstes messen, mit einem solchen Gerät können wir das erreichen.“ Doch wissenschaftliches Fortkommen ist nicht immer planbar: „Wir wissen, dass jedes Instrument, das zehn-, oder sogar hundertmal besser ist als sein Vorgänger, die Chance auf völlig unerwartete Überraschungen birgt.“ Für Mark McCaughrean ist dies der aufregendste Aspekt des James-Webb-Weltraumteleskops: „Ich wünsche mir, dass wir eine Maschine gebaut haben, die uns aufzeigt: Manche unserer bisherigen Vorstellungen vom Universum waren vollkommen falsch. Denn oft sind es gerade die Entdeckungen, die niemand vorhergesagt hat, welche uns ganz neue Türen öffnen.“

James-Webb-Teleskop: Das Auge der Menschheit ist eiskalt

Leser:innenkommentare